Serie: Wer weiss was?
Es gibt sie heutzutage für alle erdenklichen Themen und Fachgebiete: Expertinnen und Experten. Doch was ist das eigentlich genau, ein Experte? Wer entscheidet, ob jemand Expertin ist oder nicht? Und wer kontrolliert die Expertinnen und Experten des Jahrhundertprojekts Tiefenlager?
Das beleuchten wir in unserer dreiteiligen Serie. Heute starten wir mit einem Blick in die Vergangenheit, und dem Universalexperten Alexander von Humboldt.
Egal ob Geologie, Botanik, Geografie oder Klimatologie: Der Universalgelehrte Alexander von Humboldt galt in mehreren naturwissenschaftlichen Disziplinen als Experte. Humboldt wurde 1769 in Berlin geboren und erforschte während Jahrzehnten die Welt. Zwei grosse Forschungsreisen führten ihn nach Lateinamerika und Russland. Humboldts Ansatz war es, die Welt in ihrer Gesamtheit zu erforschen, denn er war überzeugt: «Alles hängt mit allem zusammen.»
So erstaunt es nicht, dass Humboldt den zu seiner Zeit aktuellen Stand des Wissens in verschiedenen Disziplinen vorantrieb. Nach ihm wurden Berge, eine Meeresströmung und sogar eine Pinguinart benannt. Seine Entdeckungen und sein Wissen hielt er in unzähligen Briefen und Büchern fest. Allein die Erkenntnisse seiner Amerikareise füllten mehr als 30 Bücher. Johann Wolfgang von Goethe, ein Freund Humboldts, sagte denn auch: «Wohin man rührt, er ist überall zu Hause.»
Einer der letzten seiner Art
Alexander von Humboldt galt als Universalgelehrter, weil er in verschiedenen Naturwissenschaften die Grenzen des Wissens verschob, indem er Entdeckungen machte oder sich aufgrund seiner Erkenntnisse für neue Theorien einsetzte. Heutzutage gibt es keine Universalgelehrten mehr. Es ist schlicht nicht mehr möglich, in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen am Puls der Forschung zu sein. Zu viel Wissen wurde in den Jahrhunderten seit Humboldts Tod angehäuft. In jeder Naturwissenschaft gibt es zahlreiche Subdisziplinen, auf welche man sich spezialisieren kann und auch muss, wenn man die Grenzen des Wissens verschieben will.
Auch die Nagra hat in ihrer über 50-jährigen Geschichte neues Wissen aufgebaut. Zu verdanken ist dies hochspezialisierten Expertinnen und Experten, beispielsweise Nikitas Diomidis oder Daniel Traber. Letzterer ist Geologe. Genauer gesagt Hydrogeologe. Er erforscht seit über 20 Jahren die Tiefengrundwässer der Nordschweiz. Es geht darum, die Fliesssysteme verschiedener Tiefengrundwässer zu verstehen und deren Alter und Verweilzeiten im Untergrund zu bestimmen. Als Mitautor von zahlreichen Papers und Berichten gehört er punkto Tiefengrundwasser zu den führenden Experten der Schweiz.
Nikitas Diomidis hingegen erforscht, wie verschiedene Materialien über lange Zeiträume rosten. Oder wie man in der Fachsprache sagt: korrodieren. Dieses Wissen ist von grosser Bedeutung, wenn es um das Design des Endlagerbehälters geht. Nebst diversen Langzeitexperimenten in Felslabors ist Diomidis auch an der Entwicklung neuartiger Untersuchungsmethoden beteiligt: Dank Neutronen-Computertomographie und 2000 Jahre alten römischen Nägeln sollen Korrosionsprozesse im Boden genauer verstanden werden.
Das Wissen rund um das Tiefenlager der Schweiz wurde nicht von einer einzelnen Person erarbeitet. Es gibt keinen Alexander von Humboldt des Tiefenlagers. Mehrere Generationen von hochspezialisierten Forscherinnen und Forschern haben sich der Entsorgung radioaktiver Abfälle verschrieben. Nur durch die Kombination der Expertise und des Wissens von zahlreichen Individuen lässt sich das Jahrhundertprojekt Tiefenlager stemmen.
Würde Alexander von Humboldt heute erneut geboren: Es wäre spannend zu sehen, wohin ihn seine wissenschaftliche Karriere führen würde. Würde er ein Generalist bleiben oder würde er als hochspezialisierter Forscher die Grenzen des Wissens erneut verschieben?