Nikitas Diomidis mit römischem Nagel

Was die Nagra von den alten Römern lernen kann


Endlagerbehälter schliessen den Abfall im Tiefenlager mehrere tausend Jahre ein. Im Laufe der Zeit beginnen die Behälter zu rosten. Welche chemischen Prozesse laufen dabei ab und wie und wo lagert sich der Rost genau ab? 2000 Jahre alte römische Nägel sollen Aufschluss darüber geben.

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«Und plötzlich hatte ich eine Idee für die Lösung eines Problems, dass mich schon lange beschäftigte: Wie kann man einen im Boden vergrabenen Gegenstand genau untersuchen, ohne ihn auszugraben?», sagt Nikitas Diomidis, Ressortleiter «Safety and Performance Assessment» bei der Nagra. «In einem Vortrag an einer Fachtagung ging es um Neutronenbildgebung», erinnert sich Diomidis. Das ist eine Untersuchungsmethode ähnlich wie Röntgen, aber mit Neutronenstrahlung anstelle von Röntgenstrahlung.

Das war 2017. Die Idee von damals ist mittlerweile zu einem grossangelegten Forschungsprojekt unter Führung der ETH Lausanne gereift. Im Fokus stehen dabei 2000 Jahre alte römische Nägel und die Entwicklung einer neuartigen Neutronen- und Röntgen-Computertomographie-Methode.

Ein Langzeitexperiment der Natur

In der Tiefenlagerforschung wurden römische Nägel schon früher in sogenannten Analoga-Studien untersucht. In diesen Studien macht man sich zunutze, dass in der Natur physikalische und chemische Prozesse – wie sie im Tiefenlager zu erwarten sind – über sehr lange Zeiträume bereits abgelaufen sind. Die römischen Nägel befinden sich seit ungefähr 2000 Jahren im Boden. Dort rosten, oder wie man in der Fachsprache sagt, korrodieren sie.

Auch die Endlagerbehälter der Nagra, in welchen der hochradioaktive Abfall verpackt wird, korrodieren. Die Langzeitexperimente der Nagra dauern aber maximal mehrere Jahrzehnte. Römische Nägel sind hingegen ein Korrosionsexperiment der Natur mit einer Laufzeit von 2000 Jahren. «Wenn wir die Prozesse und Mechanismen dahinter verstehen, können wir daraus wertvolle Informationen zur Korrosion unserer Endlagerbehälter ableiten», erklärt Diomidis.

Ein originaler römischer Nagel aus Avenches.

Genau hinschauen, ohne auszugraben

Ein Problem bei der bisherigen Untersuchung römischer Nägel gibt es jedoch: Wenn die Nägel ausgegraben werden, stört man das System. Es ist beispielsweise nicht möglich, die räumliche Verteilung der Korrosionsprodukte im Boden genau nachzuvollziehen.

Hier soll die neuartige Methode Abhilfe schaffen. Dabei wird ein Stück Boden, in welchem sich ein uralter römischer Nagel befindet, zuerst mit Neutronen- und danach Röntgen-Computertomographie dreidimensional gescannt. Jedes Element absorbiert Neutronen- und Röntgenstrahlung unterschiedlich. Pro Element erhält man also zwei Absorptionswerte, einen für die Röntgen-, einen für die Neutronenstrahlung. «Dank der Kombination der beiden Werte können wir die chemische Zusammensetzung des Materials herleiten. Und dank des 3D-Scans sehen wir auch die räumliche Verteilung der Korrosionsprodukte im Boden. Dadurch können wir die Korrosionsprozesse viel besser nachvollziehen als bis anhin», erklärt Diomidis.

Querschnitt einer Neutronen-Computertomographie

Neutronentomographie eines korrodierten Eisenstabs in Bentonit, durchgeführt an der ICON-Anlage für kalte Neutronenbilder am Paul Scherrer Institut.

Nicht nur für die Nagra interessant

Die neuartige Untersuchungsmethode ist nicht nur für die Endlagerforschung interessant: Archäologinnen und Archäologen erhoffen sich Erkenntnisse, um ausgegrabene korrodierte archäologische Artefakte besser erhalten zu können.

In der Bauindustrie sind grundsätzliche Fragen bei der Korrosion von Armierungsstahl im Beton noch offen. Mit der neuen Methode könnten die entsprechenden Prozesse direkt im Beton untersucht werden. Mit den gewonnenen Daten könnten zudem zuverlässigere Vorhersagemodelle für Bauwerke erstellt werden. Das Forschungsprojekt wird vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützt.

Das Forschungsprojekt

Der Korrosion auf der Spur


Das sogenannte CORINT-Projekt wurde Ende 2022 lanciert. Die Nagra fungiert als Partner. Weiterführende Informationen finden Sie auf der Projekt-Website.

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