Zwei Männer mit Schutzhelmen und Stirnlampen stehen in einem Bergwerk. Die Szenerie ist düster. Der Linke blickt den rechten an, welcher an der Kamera vorbeiblickt.

(Atomare) Spannung aus dem hohen Norden


Ein atomares Tiefenlager im hohen Norden: Die schwedische Serie «White Wall» greift in einem packenden Storytelling ein aktuelles Thema auf und zeichnet ein düsteres Bild. Das ist über weite Strecken sehr authentisch – doch dann überwiegt die Science Fiction.

Es liegt Schnee. Viel Schnee. Weiss und Grau dominieren die Landschaft. Die Atmosphäre: kalt und unwirtlich. Ein Ort, irgendwo in Nordschweden, eine Bar, die von aussen wirkt wie eine Baubarracke oder eine Forschungsstation in der Antarktis, ein Parkplatz, dazwischen die weite Landschaft, viel Wald. Vor allem aber: ein schier endloses Feld mit Reihen von grauen Stahlzylindern. Bald sollen diese verschwinden, denn hier in einer ehemaligen Mine entsteht ein Tiefenlager für Atommüll: Das ist die Szenerie, mit der die ARTE-Serie «White Wall» die Zuschauer:innen empfängt – und die sofort deutlich macht: Es liegt etwas Bedrohliches, Lebensfeindliches in der Luft, schwer fassbar, aber umso unheimlicher.

Ein Rätsel im Fels

Schon in den ersten Minuten der achtteiligen Serie «White Wall» bricht sich das Unheil zum ersten Mal Bahn: Kurz vor der Eröffnung des Tiefenlagers erschüttert eine Explosion die Mine, Menschen sterben, andere kommen mit leichteren Verletzungen und einem Schock davon, Standortleiter Lars steht vor einem Rätsel. Die Betreiberfirma will von einer Verzögerung der Eröffnung nichts wissen, ist doch nur ein Stollen betroffen – spielt den Vorfall herunter und deklariert ihn als menschliches Versagen. Derweil beschliesst Lars mit ein paar Eingeweihten, der Sache auf den Grund zu gehen und entdeckt im Stollen ein unbekanntes weisses Gestein. Um dieses Gestein, die titelgebende «Weisse Wand» dreht sich fortan der Plot der Serie. Diese hält die Spannung mit geschickten Cliffhängern bis zur letzten Episode aufrecht.

Vom Macher zum Zweifler

Lars wandelt sich im Lauf der Geschichte vom betont rationalen, nicht zuletzt von ökonomischen Überlegungen getriebenen Kaderangestellten zum obsessiv Suchenden. Aktivisten, die das Endlager verhindern wollen, ein Wachmann, den zunehmend Skrupel plagen, eine kritische Radiomoderatorin mit zynisch-bissigen Kommentaren, die zunehmend skeptische Chefgeologin, Minenarbeiter Magnus, der angesichts der «weissen Wand» in eine Art Wahn fällt, der Leiter der ehemaligen Erzmine, der ein Geheimnis zu hüten scheint, sowie eine «graue Eminenz» – der Geologe Henrik, der zunehmend als Mahner auftritt, tragen das ihre zu dieser Geschichte bei, die sich letztlich als eine Art Metapher der menschlichen Hybris lesen lässt. Irgendwann kapituliert Henrik, der als externer Berater beigezogen wird, denn auch vor der Wand und zieht sich zurück. «Ihr solltet Archäologen, Anthropologen und auch Theologen beiziehen», sind seine letzten Worte, die er Lars mitgibt, bevor er in sein Auto steigt und diesen unheimlichen Ort im hohen Norden verlässt.

Die «weisse Wand» wirft für Lars (Mitte) und seine Mitstreiter viele Fragen auf.

Die Grenzen der Wissenschaft

Bietet «White Wall» einen Blick in die Zukunft mit einem Szenario, das auch in der Schweiz denkbar wäre? Tatsächlich zeichnet die Serie über weite Strecken ein realistisches Bild von den Herausforderungen und (technischen) Lösungen, die sich um ein atomares Tiefenlager stellen – mitsamt allen Nebengeräuschen: auf der einen Seite die Betreiber, die (und das unterscheidet das Szenario von der Schweiz) primär von ökonomischen Überlegungen getrieben sind und die beteiligten Expert:innen, allen voran Lars, der Prototyp des von der technologischen Machbarkeit überzeugten Machers. Auf der anderen Seite die Mahner und Skeptikerinnen rund um Aktivistin Astrid und Radiomoderatorin «DJ Lenin» und die betroffene Bevölkerung, die zwischen Vertrauen in die Fachleute und Bangen vor der Zukunft und dem Verlust ihrer Heimat schwankt. Dazwischen Wissenschaftler:innen wie Helen und ihr akademischer Ziehvater Henrik, die sich der Sache mit wissenschaftlicher Akribie und  Hartnäckigkeit nähern. Doch letztlich wird klar: Bei diesem Projekt sind die Grenzen der Wissenschaft erreicht. «White Wall» – soviel sei verraten – bietet kein «Happy End», sondern eine Auflösung, die mehr Fragen als Antworten liefert. Das Tröstliche daran: Dieses Ende lässt sich getrost ins Reich der Science Fiction verbannen. Doch die sieben Episoden davor sind spannend und sehenswert, greifen sie doch viele Fragen auf, die wir uns jetzt oder in naher Zukunft auch in der Schweiz stellen (müssen).

Wo kann ich die Serie streamen?


Bilder: Arte France © Fire Monkey & All3Media International

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