Wenn man über ein Tiefenlager spricht, denken viele Menschen an Atommüll, der Hunderttausende Jahre lang strahlt. So lange sollen Mensch und Umwelt vor den radioaktiven Abfällen geschützt werden. Das ist richtig, aber nicht genug. Auch während des Baus und Betriebs des Tiefenlagers müssen schädliche Auswirkungen verhindert werden. Im Fachjargon: Das Projekt muss «umweltverträglich» sein. In der Schweiz gibt es eine Vielzahl von Bauvorhaben, welche eine sogenannte Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) bestehen müssen. Von grossen Landwirtschaftsbetrieben und Industrieanlagen über neue Skilifte und Golfplätze bis hin zu Wasser- und Windkraftanlagen: Bei grösseren Bauvorhaben schauen die Behörden genau hin, ob die umweltrechtlichen Vorschriften eingehalten werden – sie führen eine UVP durch.
Die wichtigen Umweltthemen
Die Bundesbehörden beurteilen, ob die Bau- und Betriebsphase des Tiefenlagers umweltverträglich sind. Dazu nimmt die Nagra den Ist-Zustand im Haberstal und Umgebung auf, wo die Oberflächenanlage des Lagers gebaut werden soll. Im sogenannten Umweltverträglichkeitsbericht (UVB) wird der Ist-Zustand festgehalten. Wichtige Themen sind etwa Flora, Fauna und Lebensräume, Grundwasser, Boden und Fruchtfolgeflächen. Um den Ist-Zustand zu ermitteln, arbeitet die Nagra mit externen Fachpersonen zusammen.
Wellblech, Eidechsen und Ringelnattern
Im Bereich Flora, Fauna und Lebensräume geht es in erster Linie darum, gefährdete Tier- und Pflanzenarten zu identifizieren. «Momentan sind wir regelmässig vor Ort und untersuchen mögliche Lebensräume, in denen die geschützten Tier- oder Pflanzenarten vorkommen könnten», erklärt Seraina Kauer, Fachspezialistin Raumplanung und Umwelt bei der Nagra. Damit man die relevanten Tierarten findet, sind im Haberstal und Umgebung Wellbleche ausgelegt, welche sich erwärmen. Darunter verstecken sich gerne Blindschleichen und Eidechsen, und unter Umständen trifft man auch seltenere Arten, wie beispielsweise Ringelnattern, an. «Wenn wir schützenswerte Arten finden, müssen wir Massnahmen ergreifen, um die Lebensräume zu schonen oder die Auswirkungen unseres Projekts auf diese Arten zu mindern. Falls das nicht geht, müssen wir sogenannte Ausgleichs- und Ersatzmassnahmen umsetzen», so Kauer. Zum Beispiel müsste die Nagra dann innerhalb des Kantons geeignete Ersatzlebensräume schaffen, in welche die Arten umgesiedelt werden könnten. Zuerst müssen aber umweltschonendere Projektvarianten geprüft werden.
Das Wichtigste in Kürze
Das Jahrhundertprojekt Tiefenlager hat zum Ziel, Mensch und Umwelt bis in die ferne Zukunft vor unserem Atommüll zu schützen. Damit auch der Bau und Betrieb des Tiefenlagers für Mensch und Umwelt verträglich ist, muss das Tiefenlager die sogenannte Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) bestehen. Dabei beurteilen die Bundesbehörden, ob unser Projekt alle umweltrechtlichen Vorschriften einhält. Sie ordnen zudem Massnahmen an, damit unser Projekt die UVP besteht. Wichtige Themen für die UVP sind Flora, Fauna & Lebensräume, Grundwasser sowie Boden und Fruchtfolgeflächen. Die UVP ist ein wichtiger Teil des Bewilligungsverfahrens für das Tiefenlager.
Messstellen fürs Grundwasser
Im Bereich Grundwasser geht es darum zu verstehen, wo es Grundwasser gibt, ob es nutzbar ist und wie es fliesst. Im Dorfbachtal und im Windlacherfeld, das in der Nähe vom Haberstal liegt, gibt es aufgrund der Kiesvorkommen bereits Messdaten. Im Haberstal selbst wurden noch keine Grundwasseruntersuchungen gemacht. Im Oktober sind deshalb sogenannte Geoelektrikmessungen geplant. «Aufgrund dieser Ergebnisse werden wir anschliessend vier kleine Bohrungen – zwischen 10 und 30 Meter tief – durchführen», erklärt Kauer. Die Bohrarbeiten finden zwischen November 2023 und Januar 2024 statt. Die Bohrlöcher werden im Anschluss zu Messstellen ausgebaut, um zusätzliche Daten zum vorhandenen Grundwasser zu erheben.
Ersatzflächen für die Landwirtschaft
Qualitativ sehr gutes Landwirtschaftsland wird als Fruchtfolgefläche bezeichnet. Rund 40 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche der Schweiz gelten als solche und sind speziell geschützt. Auch im Haberstal gibt es Fruchtfolgeflächen. Beansprucht ein Projekt solche Flächen, muss an einem anderen Ort innerhalb des Kantons eine gleichwertige Ersatzfläche geschaffen werden. Beispielsweise können qualitativ schlechtere Böden so aufgewertet werden, dass sie neu als Fruchtfolgeflächen gelten. Im Herbst finden im Haberstal Bodenuntersuchungen statt, um den Ist-Zustand aufzunehmen.
Das Projekt optimieren
Bei komplexen Bauvorhaben wie dem Tiefenlager gilt ein mehrstufiges UVP-Verfahren. «In einem ersten Schritt geht es darum, einen groben Überblick über alle relevanten Umweltthemen und vorhandenen Lebensräumen zu erhalten. Daran arbeiten wir zurzeit», sagt Kauer. Danach äussern sich die Behörden mehrmals zu den Berichten – diese Berichte werden immer detaillierter. Es gehe letztendlich auch darum, das Projekt während den kommenden Jahren zu optimieren: «Wenn wir beispielsweise herausfinden, dass sich irgendwo ein sehr wertvoller Lebensraum einer geschützten Art befindet, dann werden wir versuchen, das Projekt so umzugestalten, dass dieser Lebensraum geschont wird. Oder: Wenn wir Wanderrouten von schützenswerten Amphibien beeinträchtigen, dass wir Korridore für deren Wanderung schaffen», erklärt Kauer.
Welche Massnahmen die Nagra umsetzen muss, entscheiden am Ende die Bundesbehörden. Sie begleiten das Projekt auch während der Bau- und Betriebsphase. So stellen sie sicher, dass das Tiefenlager nicht nur zukünftige, sondern auch jetzige Generationen schützt.
Was ist eine UVP genau?
Ähnliche Beiträge
Sind neue Kernkraftwerke im Tiefenlager eingerechnet?
Der Bundesrat stellt eine Kehrtwende in der Schweizer Energiepolitik zur Diskussion. Das könnte auch einen Einfluss auf die Entsorgung der radioaktiven Abfälle haben: Dann nämlich, wenn tatsächlich neue Kernkraftwerke gebaut würden.