Barbara Franzen ist Leiterin der Regionalgruppe Nördlich Lägern im Forum VERA.

«Wenn die Region diese Last übernimmt, muss man sie ernst nehmen»


Zwischen Besorgnis und Motivation für das Projekt Tiefenlager: Barbara Franzen vom Forum VERA spricht über mangelndes Interesse aus der Bevölkerung und ihre Definition eines Geniestreichs.

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Auch ausserhalb der Politik und der Regionalkonferenz gibt es Initiativen, die sich dem Jahrhundertprojekt Tiefenlager widmen: Was sind deren Ziele, wer steckt dahinter und wie bringen sie sich in das Projekt ein? Wir haben nachgefragt.

Heute ist die Reihe an Barbara Franzen vom Forum VERA («Verantwortung für die Entsorgung radioaktiver Abfälle»):

Frau Franzen, der Standortvorschlag der Nagra ist rund ein Jahr her: Was ging Ihnen damals durch den Kopf?
Zwei Tage vor der Bekanntgabe sickerte in den Medien durch, dass es wohl Nördlich Lägern trifft. Als es dann soweit war, habe ich sofort gehandelt. Mir war klar, dass man darauf reagieren und informieren muss. Mit der FDP-Bezirkspartei Dielsdorf haben wir eine Medienmitteilung veröffentlicht. Und auch das Forum VERA hat sich mit einer Pressemitteilung geäussert. Für Forum Vera und die FDP ist klar: Die Sicherheit muss weiterhin an oberster Stelle stehen.

Speziell war, dass plötzlich viel mehr Akteure involviert waren und die Medien grosses Interesse zeigten. Zuvor waren wir als Mitglieder der Regionalkonferenz die Insider im Thema Tiefenlager. Nun sprach die ganze Schweiz darüber.

Etwas erschüttert war ich aber schon darüber, wie viele Menschen in der Region praktisch keine Ahnung vom Thema hatten.

 

War das frustrierend für Sie? Schliesslich ist es gerade Ihnen und dem Forum VERA wichtig, dass die Bevölkerung sich informieren kann.
Frustriert nicht. Es war eher ein Gefühl der Besorgnis, das in mir aufstieg. Ich war besorgt, dass Behörden und Verbände vielleicht zu wenig darauf vorbereitet sind, wenn uns empörte Sätze à la «Das hat man uns nicht gesagt» entgegenfliegen. Man kann dann nicht mit «ihr hättet euch ja schon lange damit auseinandersetzen können» antworten. Das kommt nie gut an – selbst wenn es wahr wäre.

Dass viele Menschen kaum über das Thema Bescheid wissen, ist aus meiner Sicht bedauerlich, weil es bei der Entsorgung der radioaktiven Abfälle um ein zentral wichtiges gesellschaftliches Thema geht.

Zur Person
Barbara Franzen ist Unternehmerin, FDP-Kantonsrätin, Präsidentin der FDP-Bezirkspartei Dielsdorf und Präsidentin der Schule Wehntal. Sie ist Mitglied in der Regionalkonferenz Nördlich Lägern und im Vorstand von Forum VERA Schweiz (Verantwortung für die Entsorgung radioaktiver Abfälle). Dort leitet sie die Regionalgruppe Nördlich Lägern.

Wie gestaltet das Forum VERA dieses Thema mit?
Zuerst müssen wir meistens betonen, dass das Thema Nutzung der Kernkraft nicht Teil dieser Diskussion ist. Das wird oft vermischt.

Unsere Mission betrifft die Lösung des Problems: Die aus verschiedensten Nutzungen entstandenen Abfälle müssen entsorgt werden. Das muss im Inland geschehen und es muss sicher sein. So lauten die gesetzlichen Vorgaben. Diese Ausgangslage muss man immer wieder von Grund auf erklären, weil sich eben die meisten nicht mit dem Thema auseinandersetzen. Wir möchten grundsätzlich die Bevölkerung informieren und setzen uns für einen sachlichen und transparenten Prozess ein.

Eine oft gehörte Kritik lautet: Für die Tiefenlagerung gibt es noch keine Lösung. Oder: Das Problem wird sich in Zukunft von alleine lösen, wenn man die Abfälle wiederverwerten kann. Tatsache ist: Wir sind jetzt gerade daran, eine tragfähige Lösung zu erarbeiten. Für das Forum VERA ist klar, dass wir das Problem nicht aufschieben dürfen. Wir können und müssen es jetzt lösen.

«Etwas erschüttert war ich schon darüber, wie viele Menschen in der Region praktisch keine Ahnung vom Thema hatten.»


Barbara Franzen, Forum VERA

Wo kann das Forum VERA die Region konkret unterstützen?
Wichtig ist, dass das Standortgebiet Nördlich Lägern nicht zum Spielball der Politik wird. Bisher konnte ich selbst keinerlei politische Beeinflussung wahrnehmen. Auch Regierungsrat Martin Neukom hat sich dementsprechend geäussert, man ist sich diesbezüglich einig. Für mich ein Meilenstein.

Im Forum VERA sind wir überparteilich unterwegs. Wir stellen Informationen und Unterlagen zur Verfügung und bieten Ausbildungsmodule an. Wir sind schon sehr lange dabei, dieses Wissen um den sachbezogen und nach besten wissenschaftlichen Kriterien geführten Prozess können wir weitervermitteln. Daher dürfen wir auch fordern: Wenn die Region diese Last übernimmt, muss man sie ernst nehmen. Hat sie konkrete Fragen, zum Beispiel zum Thema Transporte der Behälter, dann soll das behandelt und diskutiert werden.

Aktuell läuft das so und wir werden uns dafür einsetzen, dass es so bleibt.

 

Sie sind seit 2011 Mitglied der Regionalkonferenz. Wie motiviert man sich zur Mitgestaltung an einem Projekt, dessen Ende man gar nicht erlebt?
Meine Motivation ist, den kommenden Generationen eine Stabsübergabe zu ermöglichen. Wir schliessen das Verfahren nicht ab. Aber der Sachplan mit seiner Partizipation ist ein sauberer Prozess, die Rollen sind gut verteilt. Die Kompetenzen in der Regionalkonferenz sind klar definiert: Sie kann mitdiskutieren, aber sie trifft keine Entscheidungen in diesem Verfahren. Ich bin ein kleines Rädchen darin und sehe mich als Hüterin, die das Vertrauen in diesen Prozess in die Zukunft transferiert.

 

Welche Rolle spielt die Regionalkonferenz im Jahrhundertprojekt Tiefenlager?
Ich nehme das Wort selten in den Mund, aber für mich war die Gründung der Regionalkonferenz ein Geniestreich. Man konnte das Projekt frühzeitig in allen Standortgebieten breiter abstützen. Niemand wurde aussen vor gelassen. Keine Vereinigung kann heute sagen: Wir wurden nicht gefragt, oder wir konnten nicht mitwirken. Das schafft Akzeptanz. Und ohne Akzeptanz geht es nicht – gerade in der Schweiz, wo alles räumlich so eng beieinander liegt.

«Wichtig ist, dass das Standortgebiet Nördlich Lägern nicht zum Spielball der Politik wird.»


Barbara Franzen, Forum VERA

Machen die langen Zeiträume der Partizipation nicht das Leben schwer?
Klar macht es das nicht einfacher. Wie oft mussten wir den Menschen sagen: Leider sind noch keine Details bekannt. Dieses Unkonkrete ist es wohl auch, das vielen Menschen das Interesse am Thema nimmt. Es fehlt überdies der generelle Bezug zur Thematik. Das Thema  Kernkraft war in letzter Zeit längst nicht so virulent wie zu Zeiten der Anti-Atomkraft-Bewegung. Damals gab es Proteste, das Thema war allgegenwärtig.

 

Sie wohnen in Niederweningen. Wie nehmen Sie die Stimmung in der Bevölkerung heute wahr?
Als sehr ruhig. In der Regionalkonferenz dagegen ist das Interesse seit dem Standortvorschlag der Nagra merklich gestiegen, es kommen wieder mehr Mitglieder an die Versammlungen.

Was wir nicht vergessen dürfen: Wir sind jetzt in einer Art Zwischenphase. Es ist nicht einfach, das Projekt im jetzigen Stadium ganz konkret darzulegen. Noch immer ist Vieles offen. Es ist ein sehr langfristiges Projekt, das erfordert eine gewisse Hartnäckigkeit, man muss dranbleiben.

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Wie bleiben Sie mit dem Forum VERA dran?
Es gibt immer wieder neue Personen, die sich mit der Thematik befassen. Das ist in einem Projekt mit dieser Zeitspanne normal. Da gehört es dazu, dass man immer wieder erklären muss: Wo stehen wir im Projekt? Wie funktioniert der Prozess? Quasi die Grundlagen vermitteln.

Das braucht Geduld, aber das muss man aushalten können. Für mich ist es so genau richtig. Es ist ok, wenn es nicht so schnell geht. Die unabhängigen Experten und Gremien, die ständig gefordert werden – die haben wir – brauchen Zeit für die unabhängige Prüfung der Unterlagen der Nagra!

 

Was ist für die Region in nächster Zeit wichtig?
Dass es niederschwellige Informationen zum Projekt gibt. Das ist nicht einfach, weil die Thematik sehr komplex ist. Die Gemeinden müssen zudem ihre Rollen noch besser wahrnehmen können. Sie verwalten die Anliegen ihrer Bevölkerung wie Treuhänder. Das ist wichtig, damit die Interessen der lokalen Bevölkerung zur Geltung kommen. Auch wir vom Forum VERA werden uns darum bemühen, näher bei der Bevölkerung zu sein.

Das Projekt ist momentan auf einem guten Weg. Es wird bei den verfahrensführenden Behörden, der Nagra, den Kantonen und den Gemeinden ruhig weitergearbeitet und das ist gut so. Ich sehe aber eine Gefahr, dass das Thema in die Mühlen des Wahlkampfs gerät. Das wäre schlecht und auch unnötig, denn das Projekt Tiefenlager wird seine Aufmerksamkeit schon noch bekommen. Spätestens bei der Volksabstimmung auf nationaler Ebene.

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