Werner Kramer (links) und Rolf Hofstetter von der Arbeitsgruppe STADELaktiv im Nagra-Doppelinterview.

«Man muss offen darüber sprechen, was man will»


Mit der Arbeitsgruppe «STADELaktiv» erhebt sich eine neue Stimme in der Region, die den Dialog um das Tiefenlager aktiv mitgestalten will. Wer und was steckt dahinter? Wir haben Werner Kramer und Rolf Hofstetter zum Doppelinterview getroffen.

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Auch ausserhalb der Politik und der Regionalkonferenz gibt es Initiativen, die sich dem Jahrhundertprojekt Tiefenlager widmen: Was sind deren Ziele, wer steckt dahinter und wie bringen sie sich in das Projekt ein? Wir haben nachgefragt.

Den Auftakt in unsere Interview-Serie machen Werner Kramer und Rolf Hofstetter von der Arbeitsgruppe «STADELaktiv».

Der Standortvorschlag der Nagra ist rund ein Jahr her: Was ging Ihnen damals durch den Kopf?
Rolf Hofstetter: Ich dachte: typisch Stadel. In Jura Ost gab es viel Widerstand, im Weinland sowieso. Aber die Stadler? Die nehmen alles. Das war schon beim Fluglärm und beim Kiesabbau so. Stadler lassen sich viel gefallen und fordern wenig. Das ist nicht nur negativ, deshalb gefällt es mir hier auch so gut. Aber ich dachte, jetzt sollte man mal langsam über Geld reden.

Werner Kramer: Aber schockiert hat es dich auch nicht, oder?

Hofstetter: Nein, es gibt ja Gründe dafür. Ich habe Vertrauen ins Vorgehen und die Methodik der Nagra. Den Müll, den wir verursachen, müssen wir entsorgen. Da muss man aufrichtig sein.

Kramer: Ich habe ein bisschen damit gerechnet. In den letzten Jahren wurde die Informationstätigkeit in unserer Region forciert. Bei «9/11» weiss ich noch ganz genau, wo ich war. Der Standortvorschlag hat mich nicht derart beschäftigt. Es war wohl ein folgerichtiger Entscheid. Wenn hier nachweisbar der sicherste Standort ist, dann darf man nicht dagegen sein.

Werner Kramer (links) und Rolf Hofstetter äussern sich zu den Plänen ihrer Arbeitsgruppe «STADELaktiv».

«Den Müll, den wir verursachen, müssen wir entsorgen. Da muss man aufrichtig sein.»


Rolf Hofstetter, STADELaktiv

Hat das Interesse am Projekt Tiefenlager seither wieder abgenommen?
Hofstetter: Ja, ganz klar. Viele Bekannte von mir, die nicht hier wohnen, haben dieses Thema wieder vergessen. Der Standortvorschlag war ein mediales Blitzlicht.

Kramer: In unserer Gemeinde ist das aber nicht viel anders. Deshalb muss man es aktiv angehen.

 

Das haben Sie getan und im Frühling die Arbeitsgruppe STADELaktiv gegründet. Wie kam es dazu?
Hofstetter: Es geht auf den Neujahrsapéro zurück. Da haben wir das Thema in den Fokus gerückt. Danach nahmen die Dinge ihren Lauf. Mir geht es ums Momentum: Ich will, dass wir jetzt über das Projekt Tiefenlager sprechen. Und nicht wieder die Faust im Sack machen und sich später beklagen.

Wir geben uns ein Zeitfenster von rund einem Jahr. Wir sind acht Personen in der Arbeitsgruppe. Will auch in einem Jahr niemand sonst aus der Bevölkerung über das Thema sprechen, werte ich das als Zeichen, dass alle mit dem Projekt einverstanden sind. Dann gehen wir stattdessen zusammen ein Bier trinken.

Kramer: Genau, ein Jahr Zeit geben wir uns. Wir arbeiten ehrenamtlich, beziehen kein Sitzungsgeld und wollen völlig unabhängig sein. So können wir jederzeit ohne Verpflichtungen aufhören.

 

Wenn Sie komplett unabhängig sein wollen: Wie finanzieren Sie sich?
Kramer: Wir kosten aktuell noch nichts. Wir haben beim Gemeinderat eine Anfrage deponiert, ob sie administrative Kosten und Events übernehmen würden. Wir haben zwar noch keine definitive Zusage erhalten, aber die klare Erwartung, dass die Gemeinde diese Kosten übernimmt. Die Zusammenarbeit ist konstruktiv. Der Gemeinderat hat gemerkt, dass wir nicht gegen ihn sind.

Zu den Personen
Werner Kramer leitet die monatlichen Sitzungen von «STADELaktiv» und ist verantwortlich für die Kommunikation mit den Fachstellen und Behörden und gegen aussen. Er lebt seit 1984 in der Gemeinde Stadel und ist pensioniert. Zuvor war er Lehrer an der Primarschule Stadel sowie Schulleiter.

Rolf Hofstetter amtet als Stellvertreter von Werner Kramer und ist für die Protokollführung verantwortlich. Hofstetter ist in Neerach aufgewachsen und wohnt seit dem Jahr 2000 in der Gemeinde Stadel. Er arbeitet im Sales-Bereich eines Telekom- und IT-Security-Unternehmens.

Rolf Hofstetter (links) und Werner Kramer wollen der Bevölkerung von Stadel eine Stimme geben.

Ihr Slogan lautet: «Tiefenlager – aber bitte fair». Was bedeutet für Sie in diesem Zusammenhang «fair»?
Kramer: Fair heisst: Dass wir als Standortgemeinde nicht über den Tisch gezogen werden. Was verursacht wird, muss bezahlt werden.

Hofstetter: Fair heisst: inkludiert werden. Ich habe die Behörden noch nie sagen hören: Liebe Stadler, formuliert eure Wunschliste. Davor muss man doch keine Angst haben! Diese Dinge müssen auf den Tisch. Man muss offen darüber sprechen, was man will.

 

Wenn für diese Anliegen eine neue Arbeitsgruppe notwendig wird, dann fehlt Ihnen offenbar etwas in diesem Prozess. An was fehlt es?
Kramer: Es mangelt an Kommunikation. Wir haben eine Kiesabbaufläche, die seit Jahrzehnten rekultiviert werden sollte. Dieser Prozess geht viel zu zögerlich vorwärts. Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, die Umsetzung des bestehenden Gestaltungsplans zu forcieren, Nägel mit Köpfen zu machen und als Resultat die Fläche für die Landwirtschaft und Natur zurückzugewinnen. Die Landfläche, die für das Tiefenlager verloren geht, wird auf der anderen Strassenseite zur Verfügung gestellt. Aber da kommt nichts. Ich verstehe das nicht. Das Tiefenlager ist von nationalem Interesse, also sind auch Sonderentscheidungen zu treffen, die sich über andere Richtlinien hinwegsetzen.

Was mich zudem verunsichert, ist die Situation rund um die Familie, die ihr Haus verlassen muss. Da gab es unterschiedliche Aussagen der verschiedenen Akteure, was nicht gerade vertrauenserweckend ist. Hier legen wir den Finger drauf. Das muss fair ablaufen.

Wenn wir uns umhören, dann heisst es oft, man könne ja doch nichts tun. Oder: Wir wissen ja gar nichts. Hier setzen wir an. Es sind zehn Personen aus Stadel in der Regionalkonferenz vertreten, aber kaum jemand weiss das!

Werner Kramer: «Fair heisst: Dass wir als Standortgemeinde nicht über den Tisch gezogen werden.»

Dann war es keine Option, Ihre Sorgen in die Regionalkonferenz einzubringen?
Kramer: Die Regionalkonferenz frustriert mich. Es hat mich wütend gemacht, dass dort viele Personen seit Jahren arbeiten und viel Sitzungsgeld kassieren, aber sie nichts zu sagen haben. Eine Scheinpartizipation. Man hat das Gefühl, man könne mitreden und Vorschläge machen, aber entscheiden tun andere. Nämlich die ganz zuoberst. Diese Ohnmacht herrscht bei uns.

Ich habe dann aber tiefer gegraben und herausgefunden, dass die Regionalkonferenz doch da und dort Einfluss nehmen konnte, zum Beispiel beim Standort der Oberflächenanlage. Nur: Das weiss man nicht.

Die Regionalkonferenz hat nie kommuniziert, auch die Gemeinde hat ihre Stärken nicht in der Kommunikation. Es gibt zwar viele Informationen, man kann sie nachlesen, wenn man denn wollte. Aber dieses Hol-Prinzip funktioniert nicht. Man muss die Informationen unter die Stadler Bevölkerung bringen, ihr eine Stimme geben. Das werden wir aktiv tun.

 

Wie tun Sie das konkret?
Kramer: Es ist noch nicht definitiv, aber ich möchte zum Beispiel ein Happening im Haberstal veranstalten. Mit Bier, Wurst und Mineral. Dann setzen wir alle Mitglieder der Regionalkonferenz aus der Gemeinde Stadel an einen Tisch, damit man sie mit Fragen löchern kann.

Ansonsten kommunizieren wir über das Stadler Dorfblatt und über die Website der Gemeinde. Wir betonen dabei stets, dass wir nicht das Sprachrohr des Gemeinderats sind. Wir wollen ihm auch nicht in den Rücken fallen, im Gegenteil: Wir wollen ihm helfen, seinen Job zu machen. Das ist kein einfacher, das ist uns bewusst. Die Regionalkonferenz soll auch weitermachen, aber sie ist viel zu gross und sollte sich zuerst gesundschrumpfen, damit sie wieder effektiv und wirksam wird.

Hofstetter: Viele andere, gerade in der Regionalkonferenz, haben viel gearbeitet und betonen das auch. Aber sie haben eben diese Kommunikation nicht geschafft. Sie sind nicht bei den Leuten. Deshalb machen wir das jetzt.

Was sind die ersten Eindrücke? Welche Themen beschäftigen die Bevölkerung von Stadel?
Hofstetter: Abgeltungen sind ein grosses Thema. Man möchte finanziell entschädigt werden für die Aufgabe, die man übernimmt. Die Sicherheit ist auch ein wichtiger Punkt.

Kramer: … das sind diese Bestrebungen, dass man noch eine unabhängige Stelle von der unabhängigen Stelle schafft.

Hofstetter: So viele Experten gibt es gar nicht.

Kramer: Es gibt halt eine pauschale Verunsicherung bei den Menschen. Die Nagra hat in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens nicht so glücklich gewirkt und kommuniziert. Oft selbstherrlich, das muss man sagen. Aber die Nagra hat dazugelernt und ich finde es toll, dass sie auch jüngere Menschen anstellt, die die Dinge anders angehen. Die Zeit der selbstherrlichen Patrons ist vorbei.

Hofstetter: Herr Braun, der CEO der Nagra, ist ja auch neu. Er wird nicht wütend, wenn immer die gleichen Fragen auftauchen. Er erklärt sie einfach nochmals.

Kramer: Über diese Geduld habe ich gestaunt. Es kommen die immergleichen Fragen. Und es wurde immer wieder mit Ruhe, Anstand und Verständnis von Grund auf erklärt.

Rolf Hofstetter: «Stadler lassen sich viel gefallen und fordern wenig.»

Finden Sie es frustrierend, dass sich die Menschen von sich aus kaum für das Thema interessieren?
Kramer: Wir sind noch nicht frustriert, weil wir immer noch daran glauben, dass wir die Bevölkerung aktiv beteiligen können.

Hofstetter: Ich bin auch überhaupt nicht frustriert. Ich sehe eine Chance, die Menschen jetzt zu kitzeln und zu motivieren. Wenn sie nicht darauf reagieren, dann hat niemand Stress mit dem Thema und alles ist gut.

Kramer: Ich verspüre übrigens wenig Opposition und Verzweiflung in unserer Gemeinde. Ich verspüre eher Realismus. Vielleicht rührt daher auch diese Ohnmacht. Dazu möchte ich aber noch etwas anderes sagen…

 

Ja, bitte?
Kramer: Wir finden es unstatthaft, dass LoTi (Nördlich Lägern ohne Tiefenlager, Anmerkung der Redaktion) immer noch sagt, sie wollen das Tiefenlager nicht. Ich finde es unzulässig, dass man den Menschen die Hoffnung macht, man könne es noch verhindern.

Wenn irgendetwas das Tiefenlager verhindern kann, dann sind es geologische Fakten. Das Referendum auf Bundesebene ist nämlich auch ein Witz. Die ganze Schweiz ist froh, wenn es zu uns kommt. Dieses Referendum wird niemand unterstützen.

 

Auch nicht, wenn sich Ihre Region unfair behandelt fühlt?
Kramer: Dann vielleicht schon. Wenn es unfair wird, dann könnte es eine Solidaritätswelle auslösen, ja. Aber genau deshalb können es sich Nagra, ENSI und Co. gar nicht erlauben, uns unfair zu behandeln. Sonst kämen sie schön in die Bredouille.

«Wenn wir uns umhören, dann heisst es oft, man könne ja doch nichts tun. Oder: Wir wissen ja gar nichts. Hier setzen wir an.»


Werner Kramer, STADELaktiv

Gibt es auch bei der Nagra Punkte, für die Sie gar kein Verständnis haben?
Hofstetter: Ja, der Rückbau des Infopavillons war ein Schock für mich!

Kramer: Der war aber auch unattraktiv…

Hofstetter: Egal. Ersatzlos gestrichen? Das geht nicht! Die Nagra verschwindet aus der Region und niemand beschwert sich.

Kramer: Nur: Wenn niemand mehr hingeht, dann musst du irgendwann schliessen.

Hofstetter: Dann hätte man einen Bildschirm aufstellen können oder einen Self Service-Container, was weiss ich? Aber sicher nicht alles wegnehmen. Das hätte Aufruhr und Verunsicherung auslösen müssen, wie ich finde.

Kramer: Aber hat es nicht…

 

Was erwarten Sie sonst noch von der Nagra oder den anderen Akteuren?
Kramer: Dass man mit fairen Angeboten arbeitet, zum Beispiel für die Familie im Haberstal. Für mich wirkt hier das Vorgehen wie eine Verzögerungstaktik, abgesprochen zwischen den Entschädigungspflichtigen und den Amtsstellen des Bundes.

Ausserdem braucht es klarere Ansagen. Was bedeutet es konkret, wenn das Tiefenlager nach Stadel kommt? Nur wenn man dies weiss, kann man sich positionieren und Forderungen formulieren, welche unsere Behörden dann an den richtigen Stellen einbringen können. Aber das ist schwierig, weil sehr vieles noch unklar ist. Das macht es für die Bevölkerung unverständlich.

Hofstetter: Da muss ich dir widersprechen, sorry. Ich bin der Meinung, man hätte das schon lange definieren müssen. Mit dem Standortvorschlag hätte man der Region ein Paket auf den Tisch legen müssen und sagen: das ist der Deal. Warum wurde das nicht gemacht? Es hiess, man habe es bewusst aus dem Sachplanverfahren ausgeklammert. Entweder hatten sie keinen Mut – das wäre die provokative These – oder, wenn man es harmonischer sieht; man wollte nicht, dass dieser Deal den Entscheid manipuliert. Es soll nur um die Sicherheit gehen. Das war dann auch die Argumentation.

Meine These lautet: Alle 3 Standorte sind sicher. Also hätte man den Deal auf den Tisch legen können. Sie haben es selber gesagt: Es ist bald ein Jahr her seit dem Standortvorschlag. Und wir sind kein bisschen weiter. Das kann nicht wahr sein!

Würden Sie eigentlich auch Personen aus umliegenden Gemeinden in Ihre Arbeitsgruppe aufnehmen?
Kramer: Nein. Wir arbeiten nur innerhalb unserer Gemeinde, mit unseren Ressourcen. Wenn sich in Weiach oder Glattfelden ähnliche Gruppen formieren, dann wären wir sicher zum Austausch bereit.

Hofstetter: Wir wollen klein bleiben. Wenn man grösser wird, leidet die Wirksamkeit. Hier können wir etwas bewirken.

Kramer: Die Identität ist sehr wichtig! Deshalb schreibe ich oft von Stadel, Schüpfheim, Raat und Windlach. Man darf nicht nur von Stadel reden. Es ist wichtig, dass alle Ortsteile erwähnt werden, weil alle betroffen sind.

 

Wie geht es nun weiter?
Kramer: Wir erarbeiten unsere Strukturen. Dann sind wir aktiv und gehen auf die Bevölkerung zu. Wir wollen das Thema auch in die Schule bringen. Ein Angebot aufbauen, das altersgerecht ist. Stadler Lehrpersonen sowie Schülerinnen und Schüler sollen im Bereich sichere Lagerung von radioaktiven Abfällen Bescheid wissen. Wenn man hier wohnt, braucht es meiner Meinung nach ein Grundwissen zu diesem Thema.

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