Neerach: 1.-August-Rede von Philipp Senn


Philipp Senn, Leiter Kommunikation und Public Affairs der Nagra, wurde die Ehre zuteil, an der Bundesfeier in Neerach die Festansprache zu halten.

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An der Bundesfeier von Neerach war Philipp Senn, Leiter Kommunikation und Public Affairs der Nagra, eingeladen, um die Festansprache zu halten. Wir drucken die Rede an dieser Stelle ab. Es gilt das gesprochene Wort.

Liebe Neeracherinnen und Neeracher
Liebe Riedterinnen und Riedter
Geschätzte Gäste

Vor genau einem Jahr hatten Sie hohen kantonalen Besuch: Die Regierungsrätin Carmen Walker Späh hat Ihnen ihre Gedanken zum letztjährigen Nationalfeiertag mitgegeben. Da fragt sich bestimmt die eine oder der andere, wer dieser Philipp Senn denn sei, und auch mit der Organisation, die ich vertrete, mit der Nagra, haben vermutlich die wenigsten schon direkt zu tun gehabt.

Darum gestatten Sie, wenn ich mich ganz kurz vorstelle: Sie sehen es: Es ist der 46. 1. August, den ich mehr oder weniger miterlebe. Und Sie hören es: Mein Dialekt zeigt noch immer richtig an, dass ich einiges Rhein abwärts zuhause bin – genauer in Liestal – das ist dort, wo um die Fasnachtszeit im grossen Stile Feuer angezündet werden. Es sind dann natürlich keine 1.-August-Feuer, sondern brennende Chienbesen, welche durch die Altstadt getragen werden. Den heutigen Abend würde ich im Kreise der Familie verbringen, hätte ich nicht die Ehre, hier bei Ihnen in Neerach zu sein. Für die freundliche Einladung bedanke ich mich an dieser Stelle ganz herzlich.

Nun wurde die Einladung ja nicht an mich als Privatperson gerichtet, sondern ich wurde in meiner Funktion als Chef Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit der Nagra angefragt. Die Nagra ist jene Organisation, welche im Auftrag der Schweiz nur ein paar Kilometer entfernt von hier – in Stadel – ein Tiefenlager für den gesamten atomaren Abfall des Landes bauen wird.

Wie passt das zusammen, wenn gerade am hohen Nationalfeiertag einer spricht, der an einem weniger gefreuten Thema mitarbeitet? Ich finde das spannend und möchte im Folgenden der Frage nachgehen, wie das zu unserer Kultur, unserem Zusammenleben, unserem Land passt. Mir sind drei wichtige Punkte in den Sinn gekommen, die in diesem Sinn viel über uns und unser Land aussagen.

Es sagt erstens etwas aus über unsere politische Kultur.

Viele Leute wollen reden und mitreden in dieser Schweiz – in diesem kleinen, aber aussergewöhnlich vielfältigen Land mit nicht weniger als vier Sprachregionen und vielen Regionalkulturen. In diesem Land mit einer aufwändigen föderalen Struktur, die eine intensive Koordination verlangt zwischen Gemeinden, Kantonen und Bund.

Und viele Leute wollen gehört werden in diesem Land. Und dabei ist eben etwas ganz wichtig: Wir hören einander – in aller Regel – zu. Und das, auch wenn wir damit rechnen müssen, dass unser Gegenüber nicht die gleiche Meinung vertritt. Die Fähigkeit, dass wir einander zuhören können, dass wir einander zuhören wollen, ist sicherlich ein erfolgreiches Merkmal unserer politischen Kultur.

Möchte man schwierige Themen angehen – wie zum Beispiel Atommüll-Entsorgung – und will man Generationenprojekte realisieren – wie ein Tiefenlager – ist diese Fähigkeit von grossem Wert.

Dass ich heute hier stehe, sagt zweitens etwas aus über das Vertrauen in das «System Schweiz» mit seinen staatlichen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Kräften.

Als die Nagra vor fast einem Jahr das Zürcher Unterland – beziehungsweise genauer die Region Nördlich Lägern, wie es offiziell heisst – als Standort für ein Tiefenlager vorgeschlagen hat, hat niemand gejubelt. Die Reaktionen in der Region waren aber grösstenteils sehr pragmatisch. Und so habe ich sinngemäss Leute sagen hören:

Die beteiligten Fachleute werden ihre Arbeit schon richtig gemacht haben. Wenn Nördlich Lägern denn die beste Region für ein Tiefenlager ist – jä nu, dann übernehme man eben die Verantwortung dafür, ein Projekt mitzutragen, welches kein Wunschkandidat ist. Die Behörden werden schliesslich den Vorschlag der Nagra ja noch genau überprüfen. Und: Zum Schluss hat die Politik und fakultativ sogar das Stimmvolk das letzte Wort.

Auch wenn solche Zitate nicht von allen mitgetragen werden: Eine ausländische Zeitung schrieb gar, die Schweiz habe mit ihrer pragmatischen Reaktion auf den Vorschlag der Nagra politische Reife gezeigt.

Niemand ist unfehlbar. Und genau deshalb ist es wichtig, dass ein solches Projekt von verschiedenen Schultern getragen wird: Der Bund, der die Standortwahl leitet. Die projektierende Nagra, welche wissenschaftlich abgestützte Vorschläge erarbeitet. Die Sicherheitsbehörden und Expertengremien, welche die Arbeiten überwachen. Und nicht zuletzt die Region und der Kanton, welche das Projekt begleiten und die regionalen Anliegen einbringen. Alle Beteiligten profitieren vom Grundvertrauen ins «System Schweiz», auch wenn sie das Vertrauen jeden Tag wieder erneut erarbeiten müssen. Und das sehen wir als Nagra – neben unserer technisch-wissenschaftlichen Arbeit – als sehr wichtige Aufgabe.

Und drittens sagt mein heutiger Auftritt etwas aus über eine schweizerische Fähigkeit, auf die wir ebenfalls sehr stolz sein dürfen: Die Schweiz kann Jahrhundertprojekte.

Schon vor über 140 Jahren hat die ganze Welt anerkennend in die Schweiz geschaut, als der Gotthardscheiteltunnel eröffnet worden ist. Und jüngst die NEAT, sie gehört heute zu den grössten Bauprojekten, welche die Schweiz je gestemmt hat, und es war und ist ein grosser Erfolg. Ich kann mich gut erinnern an die Eröffnung des Gotthard-Basistunnels: Medienschaffende aus aller Welt haben mit Staunen darüber berichtet, dass dieser längste Eisenbahntunnel der Welt sogar ein Jahr früher fertig wurde als geplant. Heute fahren wir in einer Selbstverständlichkeit durch dieses Jahrhundertbauwerk.

Die schweizerische Ingenieurskunst wird auf der ganzen Welt geschätzt: Wussten Sie, dass zum Beispiel die Golden Gate Bridge in San Francisco – eines der weltweit bekanntesten Wahrzeichen – vom Schweizer Ingenieur Othmar Ammann gebaut wurde?

Es ist aber bei Weitem nicht nur gute Facharbeit, die dafür sorgt, dass «die Schweiz Jahrhundertprojekte kann». Es ist vielmehr auch die Erkenntnis, dass Grossprojekte wie die NEAT, aber natürlich auch das Tiefenlager, nur dann gut gelingen, wenn wir sie gemeinsam anpacken.

Gemeinsam anpacken geht dann am besten, wenn die verschiedenen Interessen frühzeitig zusammengebracht werden: Die Ziele der projektierenden und bauenden Organisationen, die Anliegen der vom Projekt Betroffenen. Betrachten wir noch einmal das Beispiel Gotthard-Basistunnel: Da wurde zum Beispiel die Berggemeinde Sedrun mit der Grossbaustelle Zwischenangriff frühzeitig einbezogen, die Verantwortlichen haben die lokalen Interessen eingebracht und rückblickend wurde das Dorf vom Projekt nicht überfahren, sondern gestärkt.

Vergleichbares ist auch beim Projekt Tiefenlager am Laufen oder vorgesehen: Der Bund hat die betroffenen Regionen zu verschiedenen Fragen bereits vor Jahren an der Standortsuche beteiligt. Auf der Basis dieser bereits etablierten Zusammenarbeit wird die Nagra das Projekt weiterentwickeln und bauen – im Dialog mit der betroffenen Region – und dazu gehört auch Neerach. Ich bin überzeugt, im Dialog werden wir ein gutes Projekt erarbeiten und das Tiefenlager gemeinsam (er-)schaffen.

Darum lassen Sie uns am Nationalfeiertag stolz sein, auf das gegenseitige Zuhören. Dankbar sein, dass wir auf ein grundsätzlich stabiles «System Schweiz» vertrauen können. Und Freude daran haben, dass wir gemeinsam grosse Ziele und Projekte erreichen können. Ich danke Ihnen für das Zuhören. Und wünsche Ihnen allen einen wunderbaren 1.-August!

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