Ersetzt Transmutation von Atommüll das Tiefenlager?


Nein, es braucht in jedem Fall ein Tiefenlager. Auch nach der Transmutation der hochaktiven Abfälle würde radioaktiver Abfall zurückbleiben. Dieser muss in einem Tiefenlager entsorgt werden. Und: Es bräuchte neue Kernreaktoren. Deren Bau ist heute verboten.

Update


In den letzten Tagen gab es mehrere Artikel zum Thema Transmutation in den Medien, in denen auch wir zitiert wurden. Manche Artikel haben das Thema Transmutation aus unserer Sicht sehr präzise, andere verkürzt dargestellt. Auch nach diesen Berichten halten wir fest: Ein Tiefenlager braucht es in jedem Fall. Die Nagra ist eine private Organisation und in der Schweiz zuständig für den Bau eines Tiefenlagers. Die Technologie Transmutation beobachten wir seit Jahrzehnten. Dass Transmutation von manchen hochradioaktiven Abfällen (Brennelementen) theoretisch möglich ist, ist bekannt. Mit der Schweizer Firma Transmutex haben wir Daten ausgetauscht. Die Berechnungen von Transmutex über den hochaktiven Abfall der Schweiz halten wir für plausibel: Eine Reduktion des Volumens und der Langlebigkeit des hochradioaktiven Abfalls wäre wohl theoretisch möglich. Allerdings fiele dann mehr schwach- und mittelaktiver Abfall an. Und man müsste mehrere Transmutationsreaktoren und eine Wiederaufbereitungsanalage bauen, was in der Schweiz verboten ist. Fazit: Ein Tiefenlager braucht es so oder so.

Transmutation ist eine Technologie an der zurzeit weltweit geforscht wird – beispielsweise durch das Schweizer Unternehmen Transmutex. Bislang existiert weltweit kein industriereifer Transmutationsreaktor. Trotzdem fasziniert Transmutation viele Menschen: Durch Transmutation könnte das Volumen sowie die Langlebigkeit der hochaktiven Abfälle stark reduziert werden. Ein Tiefenlager bräuchte es aber trotzdem. Denn auch ein Transmutationsreaktor produziert Atommüll. Und die schwach-​ und mittelaktiven Abfälle der Schweiz können nicht transmutiert werden.

 

Am 22. Mai fand im Neuwis-Huus in Stadel eine Veranstaltung zur Transmutation von radioaktivem Abfall statt. Tim Vietor von der Nagra-Geschäftsleitung ordnete am Anlass ein, was es für das Schweizer Tiefenlager bedeuten würde, wenn die Transmutation in der Schweiz technisch und politisch möglich wäre.

Tim Vietor

Im Fokus der Transmutation liegen die abgebrannten Brennelemente aus den Kernkraftwerken. Sie machen den grössten Teil der hochaktiven Abfälle der Schweiz aus. Sie sind nicht nur hochaktiv, sondern auch langlebig. Hier würde die Transmutation ansetzen:

Schritt 1: Wiederaufarbeitung der Brennelemente

Der Brennstoff eines frischen Uran-​Brennelements für Schweizer Kernkraftwerke besteht zu 100 Prozent aus Uran. Ein abgebranntes Uran-​Brennelement besteht immer noch zu rund 95 Prozent aus Uran. Bei den restlichen fünf Prozent handelt es sich um Spaltprodukte und Transurane, die bei der Kernspaltung im Reaktor entstehen. Ein Teil dieser Spaltprodukte und Transurane sind hochradioaktiv und langlebig. Sie sind der Grund, weshalb abgebrannte Brennelemente für hunderttausende von Jahren von Mensch und Umwelt getrennt gelagert werden müssen.

In einer neuartigen Wiederaufarbeitungsanlage würden die hochaktiven Brennelemente maschinell zerlegt und in einer Vielzahl von chemischen Bearbeitungsschritten in ihre einzelnen elementaren Bestandteile aufgetrennt: Die hochaktiven Spaltprodukte und Transurane könnten so für die Transmutation extrahiert werden. Einen Grossteil des zurückbleibenden Urans könnte für die Herstellung neuer Brennelemente wiederverwendet werden.

Schritt 2: Transmutation im Reaktor

Transmutex forscht an einem Reaktor, der als Hauptbrennstoff das Element Thorium verwendet. Ein Teilchenbeschleuniger setzt den Reaktor in Gang und erhält die Spaltreaktion aufrecht. Dabei wird Energie erzeugt. In diesem neuartigen Reaktor könnten die hochaktiven und langlebigen Stoffe in immer noch hochaktive, aber kurzlebigere Stoffe, transmutiert werden.

Schritt 3: Tiefenlager

Auch ein Transmutationsreaktor produziert also hochradioaktive Abfälle. Anstelle von hunderttausenden von Jahren, müsste der Abfall nach der Transmutation aber «nur» noch hunderte von Jahren getrennt von Mensch und Umwelt gelagert werden. Auch dafür bräuchte es aber ein Tiefenlager. Nebst den hochaktiven Transmutationsabfällen würden in diesem Tiefenlager auch die schwach-​ und mittelaktiven Abfälle eingelagert, welche nicht transmutiert werden können.

Transmutation in der Schweiz?

Seit der Annahme des Energiegesetzes 2017 durch das Schweizer Stimmvolk dürfen in der Schweiz keine neuen Kernkraftwerke mehr bewilligt werden. Die Gesetzgebung der Schweiz erlaubt also die Einführung der Transmutationstechnologie Stand heute nicht.

Die Transmutation des hochaktiven Abfalls der Schweiz würde einen Wiedereinstieg der Schweiz in die Kernenergie bedeuten. Es bräuchte eine neuartige Wiederaufarbeitungsanlage sowie mehrere Transmutationsreaktoren. Diese Nuklearanlagen müssten zur Industriereife gebracht sowie in der Schweiz zugelassen werden. Die Anlagen bräuchten einen Standort, wo sie gebaut und über viele Jahrzehnte betrieben werden könnten, um den hochaktiven Abfall der Schweiz zu transmutieren.

Fazit

Transmutation ist zurzeit eine theoretische Möglichkeit, das Volumen und die Langlebigkeit von hochaktiven Abfällen zu reduzieren. Die heutige Gesetzgebung der Schweiz lässt die Einführung einer solchen Technologie nicht zu. Auch ein Transmutationsreaktor würde Atommüll produzieren, welcher in einem Tiefenlager entsorgt werden müsste. Schwach-​ und mittelaktive Abfälle können nicht transmutiert werden und müssen ebenfalls in einem Tiefenlager entsorgt werden. Egal was die Zukunft also bringt: die Schweiz braucht so oder so ein Tiefenlager.

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