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Die Rolle der Wissenschaft
«Die Geologie hat gesprochen.» So lautete die Begründung des Standortvorschlags für das Tiefenlager der Schweiz. Hinter diesem einfachen Satz steckt viel Wissenschaft. Lyesse Laloui, Professor des «Soil Mechanics Laboratory» an der ETH Lausanne, über seine Motivation unser aller Leben besser zu machen, die Forschungszusammenarbeit mit der Nagra sowie die Rolle der Wissenschaft im Jahrhundertprojekt Tiefenlager.
Herr Laloui, Sie haben kürzlich einen Ehrendoktortitel von der Heriot-Watt University für Ihr Engagement im Bereich Nachhaltigkeit bekommen. Welche Fragestellungen reizen Sie besonders?
Mich reizen Fragestellungen, die dazu beitragen, unser aller Leben besser zu machen. Wie können wir mehr Energie aus dem Untergrund gewinnen? Wie können wir den Untergrund als Energiespeicher nutzen? Oder aber: Wie können wir unerwünschte Stoffe wie radioaktiven Abfall oder CO2 sicher im Untergrund entsorgen oder speichern. Mich motiviert, dass unsere Forschung einen positiven Einfluss auf die menschliche Lebensqualität hat.
Seit 2005 forschen Sie gemeinsam mit der Nagra an der Entsorgung von radioaktivem Abfall. Woran genau?
Das «Soil Mechanics Laboratory» der ETH Lausanne forscht an verschiedenen Geomaterialien, also Böden oder Gesteinen. Unser Ziel ist besser zu verstehen, wie sich unterschiedliche Materialien unter verschiedenen Bedingungen verhalten. Was haben verschiedene Drücke oder Temperaturen für Auswirkungen auf ein Gestein? Je besser wir solche Prozesse verstehen, desto mehr technische Möglichkeiten stehen uns offen.
Können Sie ein konkretes Beispiel machen?
Die Nagra will das Tiefenlager in einem Tongestein, dem sogenannten Opalinuston bauen. Mit tiefen Bohrungen hat die Nagra Opalinuston-Bohrkerne an die Oberfläche geholt, welche wir und andere Universitäten im Labor untersucht haben. Dadurch hat sich das Wissen darüber, wie sich der Opalinuston in Tiefen von 800 bis 900 Metern verhält, verbessert. Wir wissen heute, dass man im Opalinuston auch in solch grossen Tiefen sicher Stollen bauen kann, ohne dass das Gestein zu stark geschädigt wird. Noch vor einigen Jahren hatte man im Bereich der Bautechnik in diesen Tiefen grosse Unsicherheiten. Hier konnten wir dazu beitragen, eine solide wissenschaftliche Datengrundlage schaffen.
Sie forschen in verschiedenen Bereichen mit unterschiedlichen Partnern und Organisationen. Unterscheidet sich die Zusammenarbeit mit der Nagra von Ihrer sonstigen Zusammenarbeit?
Die Forschung mit der Nagra würde ich als aussergewöhnlich bezeichnen, weil wir hier einen ganzen Prozess durchlaufen: Wir bekommen von der Nagra Gesteinsproben, welche wir im Labor analysieren. Aufgrund der gesammelten Daten entwickeln wir ein Modell. Dieses Modell überprüfen wir dann in gross angelegten Experimenten – beispielsweise im Felslabor Mont Terri, wo seit vielen Jahren im Opalinuston geforscht wird. Dass wir bei jedem Teilschritt mitforschen, ist ein Unterschied zu anderen Forschungsthemen. Zudem arbeiten wir seit vielen Jahren mit denselben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Nagra zusammen. Diese Kontinuität ist ebenfalls speziell und für einen langfristigen Wissensaufbau sehr wertvoll.
Was muss Ihrer Meinung nach gegeben sein, damit das Jahrhundertprojekt Tiefenlager ein Erfolg wird und wo sehen Sie die Rolle der Wissenschaft?
Meiner Meinung nach ist das Projekt bis jetzt ein Erfolg. Es ist ein Erfolg, weil in Bezug auf die Sicherheit des Lagers oder wie das Lager dereinst gebaut werden soll, viel geforscht wird. Die neusten Forschungserkenntnisse fliessen ständig in das Projekt mit ein. Wenn das Tiefenlager in rund 20 Jahren gebaut wird, sollte das mit bewährten technischen Verfahren gemacht werden, gestützt auf die neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse. Die Wissenschaft kann während der gesamten Projektdauer sicherstellen, dass das Tiefenlager auf dem neusten Stand der Forschung gebaut, betrieben und verschlossen wird. Darin sehe ich die Rolle der Wissenschaft.
Über Lyesse Laloui
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