Technischer Bericht NTB 90-38
Sondierbohrung SiblingenBau- und Umweltaspekte, Bohrtechnik
Die Nagra (Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle) hat 1980 in der Nordschweiz in einem rund 1200 km2 grossen Gebiet mit der Durchführung eines umfassenden geologischen Untersuchungsprogrammes begonnen. Ziel des Programmes ist die Beschaffung der erdwissenschaftlichen Erkenntnisse zur Eignungsbewertung des paläozoischen Untergrundes zur Endlagerung hochradioaktiver Abfälle.
Die Untersuchungen gliedern sich in ein Tiefbohrprogramm, eine flächenhafte geophysikalische Erkundung der Gesteins- und Strukturverhältnisse, ein hydrogeologisches Untersuchungsprogramm zur Abklärung der Wasserfliesswege im tiefen Untergrund und in ein neotektonisches Untersuchungsprogramm zur Erkennung aktiver Erdkrustenbewegungen im Untersuchungsgebiet.
Mit den Tiefbohrungen sollten die geologischen Verhältnisse im Grundgebirge und seiner Sedimentüberdeckung erkundet werden. Zusätzlich sollten sie im weiteren regionalen Rahmen hydrodynamische und geochemische Daten liefern für die Erstellung eines mathematischen Modells der hydrogeologischen Verhältnisse zwischen der Nordabdachung der Alpen im Bereich der Zentral- und Ostschweiz und dem Schwarzwaldmassiv.
Die Sondierbohrung Siblingen liegt ca. 1.5 km nordwestlich des Dorfrandes von Siblingen, Kanton Schaffhausen, auf der Siblinger Höhe im Schaffhauser Tafeljura. Sie wurde als siebte und bislang letzte Bohrung der Phase I des Tiefbohrprogrammes Nordschweiz niedergebracht. Die Bohrung erreichte eine Endtiefe von 1522.0 m.
Nach einem mehrjährigen Bewilligungsverfahren, welches auch das Bundesgericht beschäftigte, konnte am 16. Mai 1988 mit den Vorbereitungsarbeiten zum Bau des Bohrplatzes und am 1. September 1988 mit der Aufnahme der Bohrarbeiten begonnen werden. Der Abschluss der Bohrarbeiten am 3. April 1989 leitete in die Testphase über, welche bis zum 30. April 1989 andauerte.
Die Bauarbeiten zur Bohrplatzerstellung konnten im vorgesehenen Zeitrahmen abgewickelt werden. Die vorgängig ausgeführten Bodenuntersuchungen dienten nicht nur der detaillierten Festlegung der eigentlichen Erdarbeiten, sondern führten bei der späteren Rekultivierung zu einer sinnvollen Ergänzung des vorhandenen Drainagenetzes. Die Bewirtschaftbarkeit des Grundstückes konnte somit verbessert werden und die Ertragsfähigkeit wurde nicht negativ beeinträchtigt.
Leider ist es nach Abschluss der Betriebsphase während den Abbrucharbeiten auf dem Bohrplatz zu einem tragischen Arbeitsunfall gekommen. Einer von zwei Monteuren des EKS, die mit dem werkinternen Auftrag zum Abbau des Elektroanschlusses beschäftigt waren, erlitt durch einen Stromstoss tödliche Verletzungen. Ursache für diesen Unfall war das Nichteinhalten elektrotechnischer Sicherheitsvorschriften.
Zum Schutz des Grundwassers wurden die Arbeitsflächen des Bohrplatzes mit einem Asphaltbelag und entsprechender Entwässerung versehen und das Standrohr sowohl im anstehenden Fels wie im Bohrkeller dicht eingebettet bzw. angeschlossen. Die Effizienz dieser Massnahmen wurde durch ein in Zusammenarbeit mit dem Amt für Gewässerschutz des Kantons Schaffhausen konzipiertes Grundwasserüberwachungsprogramm überprüft. Ein Einfluss der Bohrarbeiten auf das vorhandene genutzte Grundwasservorkommen konnte nicht festgestellt werden.
Trotz der relativ grossen Entfernung des Bohrplatzes zum Dorfrand von Siblingen wurde die Lärmsituation durch Überwachungsmessungen beim nächstliegenden Einzelhof resp. Wohnquartier überprüft. Die Resultate zeigten, dass zu keinem Zeitpunkt irgendwelche Personen durch Lärmimmissionen vom Bohrplatzbetrieb beeinträchtigt wurden.
Die Entsorgung sämtlicher Flüssig- und Feststoffe erfolgte gemäss dem mit dem Baudepartement des Kantons Schaffhausen erarbeiteten und von diesem genehmigten Entsorgungskonzept. Dieses hat sich bewährt, es gab an den EntsorgungssteIlen keinerlei Anlass zu Beanstandungen.
Das Verkehrsaufkommen durch LKW-Transporte wurde während der ganzen Betriebsphase registriert und ergab eine geringe Belastung von weniger als 20 Fahrten pro Woche. Grössere Frequenzen, aber über eine kürzere Zeitspanne, brachten die nicht registrierten Baustellentransporte beim Herrichten und Rekultivieren des Bohrplatzes.
In der Sondierbohrung Siblingen wurde ein gestrafftes wissenschaftliches Programm, z. T. unter Einsatz alternativer Untersuchungsmethoden ausgeführt. In Abstimmung auf eine Beschränkung der Untersuchungen auf unmittelbar endlagerbezogene Fragen wurde ein neues bohrtechnisches Konzept mit einer starken Reduktion des Bohrdurchmessers im Kristallin umgesetzt, welches in konsequenter Weise eine Synthese der Explorationstechnik des Bergbaues mit der Tiefbohrtechnik darstellte. Damit konnte unter Beibehaltung der Anforderungen hinsichtlich Informationsgewinn und -qualität, wissenschaftlicher Datenausbeute sowie Minimierung des technischen Risikos auch ein ökonomisch optimiertes Sondierprojekt realisiert werden.
Mit der Bohrung wurden jurassische und triadische Sedimente durchfahren. Das Kristallin wurde auf einer Teufe von 348.6 m erreicht und bis 1522.0 m erbohrt.
Die Bohrung wurde im Seilkernbohrverfahren über ihre gesamte Länge gekernt. Dazu kam erstmals im Rahmen des Tiefbohrprogrammes eine vollhydraulische Kernbohranlage mit Top-Drive des Typs Wirth B8A zum Einsatz. Diese wurde mit einer eigens für diesen Bohrauftrag entwickelten, schallgekapselten Antriebseinheit vorwiegend elektrisch betrieben, wobei jedoch wahlweise auch auf einen Dieselantrieb umgeschaltet werden konnte.
Die Sedimente sowie das Top des Kristallins wurden mit 6 1/4" × 4" Kernbohrkronen und speziellem 5 1/2" Seilkerngestänge erbohrt. Ab 490.9 m bis zur Endteufe kamen 96 mm × 57 mm Bohrkronen mit 3 1/2" Seilkernequipment zum Einsatz.
Neben einem Standrohr und einer bis 171.9 m eingebauten 9 5/8" Ankerverrohrung wurden aus bohr- und untersuchungstechnischen Gründen zusätzlich eine 7" Zwischenverrohrung im Muschelkalk bei 338.0 m und eine 5" Endverrohrung im oberen Kristallinbereich bei 490.4 m abgesetzt. Mit Ausnahme der 5" Verrohrung, welche man nach Abschluss der Bohrphase zum Teil wieder ausbaute, wurden alle Verrohrungen bis zu Tage zementiert.
Bereits in dem mit konventioneller Tonsüsswasserspülung erbohrten Sedimentbereich erzwangen teils vollständige Spülungsverluste infolge stark geklüfteter Gebirgsstrecken und unterhydrostatische Druckverhältnisse vielfache Bohrlochabdichtungsmassnahmen.
Auf der 1173.4 m langen Kristallinstrecke wurde ein tektonisch unterschiedlich stark beanspruchter, leukokrater Biotit-Cordierit-Granit erbohrt. Dieser trat wechselweise in Form eines frischen, massigen Granits und in Strecken von stark geklüftetem, hydrothermal überprägtem und von Scherzonen durchsetztem Granit auf.
Das wechselnde strukturelle und texturelle Gefüge sowie steilstehende Kluftstrukturen stellten erhebliche Anforderungen an die Entwicklung und Auswahl der Kernwerkzeuge.
Erschwerend wirkten sich stark unterhydrostatische Druckverhältnisse im Zusammenwirken mit der Verwendung von Klarwasserspülung ohne bohrtechnische Additive aus. Vollständige Zirkulationsverluste und Bohrlochinstabilitäten machten mehrere Sanierungsmassnahmen in Form von Rückzementationen und Bohrlochabdichtungsarbeiten nötig.
Infolge der schwierigen Bohrlochbedingungen konnten die Werkzeuge oft nicht in ihrem optimalen Parameterbereich gefahren werden, die starke Klüftung des Gebirges reduzierte in Hinblick auf eine maximale Kernausbeute die durchschnittliche Länge der Kernmärsche.
Dennoch konnte die Bohrung mit sehr gutem technischen und auch ökonomischen Erfolg abgeteuft werden. Es traten keine bedeutenden technischen Havarien oder aufwändige Sonderarbeiten auf. Alle bohrtechnischen Leistungswerte konnten im Vergleich zu den vorangegangenen Kristallinbohrungen massgeblich gesteigert und gleichzeitig die spezifischen Bohrmeterkosten erheblich gesenkt werden.
Die wissenschaftlichen Untersuchungen im Bereich der überlagernden Sedimente konnten programmgemäss durchgeführt werden. Die angetroffenen Gebirgsverhältnisse im Kristallin zwangen zu oftmaligen Programmanpassungen und einem höheren Aufwand zur hydraulischen Charakterisierung des Gebirges. Demgegenüber konnte jedoch die nachfolgende Testphase zeitlich stark reduziert werden.
Das wissenschaftliche Programm konnte vollumfänglich und erfolgreich realisiert werden.
Sämtliche Arbeiten in Siblingen wurden durch die Aufsichtskommission, bestehend aus Vertretern der Gemeinde Siblingen, des Kantons Schaffhausen und des Bundes begleitet.
In der Berichterstattung dieser Kommission an den Bundesrat wurde der Nagra attestiert, dass sie sich bei der Ausführung der Arbeiten an die Auflagen und gesetzlichen Vorschriften hielt.