
Allein schon der grosse Abstand des Tiefenlagers zur Erdoberfläche schafft viel Sicherheit. Und unten in der Tiefe ist es das Gestein Opalinuston, das den langfristigen Schutz von Mensch und Umwelt gewährleistet. Zu verdanken ist das drei Eigenschaften, die das Tongestein hat.
Erstens ist der Opalinuston für Wasser praktisch undurchlässig. Zweitens dichtet er einmal entstandene Risse wieder ab. Und drittens bleiben strahlende Teilchen, sogenannte Radionuklide, an ihm kleben.
All das bremst die Bewegung radioaktiver Teilchen so stark, dass aus dem Endlager in grosser Tiefe höchstens kleinste, unschädliche Mengen ins Grundwasser respektive in die Umwelt gelangen.
Zwar gibt es nebst dem Opalinuston zusätzlich technische Barrieren, die der Ausbreitung radioaktiver Stoffe entgegenstehen. Aber für die Langzeitsicherheit des geologischen Tiefenlagers ist der Opalinuston mit Abstand am wichtigsten. Jahrzehntelange Forschung und zahlreiche wissenschaftliche Experimente haben nachgewiesen, wie zuverlässig das Tongestein radioaktive Abfälle im tiefen Untergrund einschliesst.
Kleine Teilchen, grosse Wirkung
Im Erdzeitalter Jura waren weite Teile Europas von einem flachen Meer bedeckt. Dieses war im Mittel nur 20 bis 50 Meter tief. Auf seinem Grund lagerten sich vor etwa 175 Millionen Jahren kleinste Gesteinspartikel ab, die Flüsse ins Meer geschwemmt hatten. Darunter waren viele Tonminerale, entstanden vor allem aus verwittertem Granit. So bildete sich in ein paar Hunderttausend Jahren eine Schlammschicht, aus der später der gut 100 Meter dicke Opalinuston wurde.
Um die drei entscheidenden Eigenschaften des Tongesteins zu ergründen, muss man ins mikroskopisch Kleine gehen. Die Tonminerale sind aus winzigen Plättchen aufgebaut, zwischen denen sich Wasser einlagert. Auch die kleinen Poren zwischen diesen Mineralen binden Wasser. Somit enthält der Opalinuston zwar gut zehn Prozent Wasser, das sich aber fast nicht bewegt. Das ist der Grund, wieso das dichte Tongestein praktisch wasserundurchlässig ist.
Dringt von aussen trotzdem Wasser ein, etwa durch einen Riss, so quillt der Opalinuston auf. Dadurch nimmt sein Volumen zu, sodass die undichte Stelle wieder verschlossen wird. Diese Selbstabdichtung ist in verschiedenen wissenschaftlichen Tests nachgewiesen worden.

Könnte man die winzigen Tonplättchen zusammenfügen, wäre die Fläche enorm: Aus einem Gramm Opalinuston würden etwa 100 Quadratmeter. Und weil diese Plättchen elektrisch negativ geladen sind, bleiben an dieser grossen Fläche positiv geladene Teilchen haften. Die meisten radioaktiven Stoffe in den Abfällen sind Metalle und als solche positiv geladen, sodass sie von den Tonplättchen zurückgehalten werden.
Schon etwa 200 Jahre nach Einlagerung des Atommülls beträgt die Strahlung in den Endlagerbehältern nur noch wenige Prozent der anfänglichen Menge. Die dickwandigen Behälter aus Stahl schliessen die hochaktiven Abfälle für mindestens 1000 Jahre komplett ein. Tun sie das nicht mehr vollständig, gelangen zwar Radionuklide in die verfüllten Lagerstollen. Doch von diesen strahlenden Teilchen bleiben fast 90 Prozent bereits in der Stollenverfüllung stecken. Diese besteht aus einem Tongranulat, das den Hohlraum zwischen den Behältern und dem Opalinuston schliesst.
Es gibt verschiedene Arten von Radionukliden. Viele von ihnen kommen gar nicht weit und zerfallen schon im Endlagerbehälter. Andere schaffen es etwas weiter. Und nur wenige überwinden eine noch grössere Distanz, bis auch ihnen die „Luft ausgeht“ – wie auf einem Marathon.
Das fast Undenkbare eingerechnet
Um die Langzeitsicherheit des Tiefenlagers nachzuweisen, rechnet die Nagra selbst unwahrscheinliche Szenarien durch. So zeigen die Sicherheitsanalysen zum Beispiel, dass der gesetzlich vorgeschriebene Schutz von Mensch und Umwelt sogar dann noch erreicht würde, wenn der Opalinuston nur 50 statt 100 Meter dick wäre. Oder wenn ein nicht vollständig abgedichteter Riss im Tongestein quer durch die Lagerstollen verlaufen würde: Selbst dann läge die austretende Strahlendosis noch deutlich unter dem zulässigen Maximalwert.

Solche Annahmen werden als konservativ bezeichnet. Damit werden sehr unwahrscheinliche Szenarien abgedeckt. Deren Nichteintreten ist nicht nachweisbar, und Prognosen darüber sind nicht zuverlässig. Zwar bewirken konservative Annahmen, dass negative Folgen für Mensch und Umwelt mit hoher Wahrscheinlichkeit überschätzt werden. Doch sie dienen eben dazu, bestehende Ungewissheiten zu überbrücken.
Für den Bau des geologischen Tiefenlagers kommen in der Schweiz drei Regionen infrage: Nördlich Lägern, Zürich Nordost und Jura Ost. Die Nagra hat diese Standortregionen in den letzten Jahren vertieft geologisch untersucht. Dabei hat sich bestätigt, dass die maximal zulässige Strahlendosis trotz konservativer Annahmen in allen drei Regionen bei Weitem nicht erreicht würde.
Weil die Sicherheitsreserven in Nördlich Lägern am grössten sind, will die Nagra dort das geologische Tiefenlager bauen. Dafür reicht sie im November 2024 beim Bund das sogenannte Rahmenbewilligungsgesuch ein.

Woher kommt der Name Opalinuston?
Der Opalinuston heisst so, weil in dem Tongestein das Fossil Leioceras opalinum häufig zu finden ist. Es handelt sich dabei um einen sogenannten Ammoniten. In dem schneckenförmigen Gehäuse, das wie ein Opal schillerte, lebte ein tintenfischähnliches Wesen. Dank Luftkammern im «Schneckenhaus» bewegten sich die Ammoniten wie U-Boote im Wasser. Als sie verendeten, sanken sie auf den Meeresgrund und versteinerten.
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