Verblüffende Vielfalt an Gesteinen vor der eigenen Haustüre


Die Schweiz ist zwar ein kleines Land. Doch die geologische Vielfalt ist gross, selbst in der Nordschweiz. Am 6. Oktober ist Internationaler Tag der Geodiversität – ein Anlass, um auf Entdeckungstour zu gehen.

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Steine sind unbelebt, grau und gleichen einander wie ein Ei dem anderen: So lautet ein gängiges Vorurteil. Doch die Vielfalt an Formen und Farben sowie die Geschichten, wie Gesteine entstanden sind, zeigen das Gegenteil.

Genauso wie es die Vielfalt an Tieren und Pflanzen – die Biodiversität – gibt, existiert Vergleichbares in der Geologie. Und am 6. Oktober, dem Internationalen Tag der Geodiversität, wird diese Vielfalt gefeiert. Gesteine und geologische Prozesse bilden zudem die Grundlage für den biologischen Artenreichtum. Darum rief die Unesco im Jahr 2021 den weltweiten Tag aus. Doch man muss gar nicht hinaus in die weite Welt, um diese Vielfalt zu finden – sie ist vor der eigenen Haustüre greif- und erlebbar.

Wissen über Millionen von Jahren

Durch jahrzehntelange Forschung haben wir sehr viel Wissen über die Geologie der Nordschweiz gesammelt. Die Nagra tat dies mit dem Ziel, die beste Gesteinsschicht für den Bau des geologischen Tiefenlagers zu finden. Übrigens: Die Bohrkerne der zahlreichen Tiefbohrungen haben wir zusammengetragen in einem Archiv, das besucht werden kann.

Auch draussen in der Natur sind einige der erbohrten Gesteinsschichten zu finden. Wie aber sind solche Schichten aus der Tiefe überhaupt ans Tageslicht gelangt? Der Untergrund der Nordschweiz ist aus unterschiedlichen Gesteinsschichten aufgebaut – wie eine Torte aus verschiedenen Schichten. Und weil diese etwas schräg im Untergrund liegen, kommen sie am Nordrand der Schweiz an die Erdoberfläche. Dort sind sie dann als sogenannte Aufschlüsse sichtbar.

Die Ursache für die Schräglage der Gesteinsschichten im Untergrund der Nordschweiz war das Zusammentreffen der eurasischen mit der afrikanischen Kontinentalplatte. Dabei tauchte die nördliche Platte schräg ab unter die südliche, sodass im nördlichen Alpenvorland ein Becken entstand. Und weil dessen Boden schräg ist, sind auch die aufliegenden Gesteinsschichten leicht gekippt. Dabei liegen diese Schichten je tiefer, desto näher sie bei den Alpen sind.

Auf diesem geologischen Profil ist zu sehen, dass der Untergrund der Nordschweiz wie eine geschichtete Torte aufgebaut ist. In der Bildmitte ist übrigens die Lägern zu sehen (mehr dazu weiter unten).

Aus der grossen Vielfalt haben wir eine Auswahl an Gesteinen getroffen, die wir in Text und Bild kurz vorstellen. Die Reihenfolge orientiert sich nach dem Alter – oben die jüngsten, unten die ältesten. Für mehr Informationen seien die geologischen Karten von Swisstopo empfohlen, die es auch als App fürs Handy gibt.

Naturbeton durch Eiszeitgletscher


Direkt unterhalb der Hochwacht auf dem Höhenzug Irchel sind sehr alte eiszeitliche Ablagerungen zu sehen.
Rot, weiss, beige oder grau: Die Vielfalt an Steinen ist gross, aus denen die Nagelfluh zusammengesetzt ist.

Vor rund 2,6 Millionen Jahren stiessen die ersten eiszeitlichen Gletscher aus den Alpen ins Mittelland vor. Zwischen den Vorstössen gab es Warmzeiten, in einer solchen Zeit leben wir heute. Bei jeder Vergletscherung wurde Geröll aus dem Gebirge ins flache Alpenvorland verfrachtet. Das Schmelzwasser trug die Steine weiter und schliff sie in rundliche Formen.

Zu Beginn kam es etwa alle 40’000 Jahre zu einem Gletschervorstoss, vor rund einer Million Jahren wechselte der Zyklus auf 100’000 Jahre. Die grösste Vergletscherung fand vor einigen Hunderttausend Jahren statt, als fast die ganze Schweiz unter Eis lag. Die letzten Gletscher zogen sich vor etwa 12’000 Jahren aus dem Mittelland zurück.

Die sogenannten Deckenschotter zuoberst auf dem Höhenzug Irchel sind ein Zeugnis der ältesten eiszeitlichen Ablagerungen der Schweiz. Sie bestehen aus Kies und Sand, der sich mit der Zeit zu einer Art Naturbeton verfestigte, auch Nagelfluh genannt. Die späteren Gletscher hobelten rund um den Irchel viel Gestein ab, wobei der Hügel wie eine Insel im Eismeer stehenblieb. Gletschereis und Schmelzwasser schufen in der Nähe die Täler von Töss, Thur und Rhein.

Haifische im Schweizer Mittelland


Eismassen und Wasser schnitten sich tief in den Untergrund ein, sodass an den Flanken des Irchels viel ältere Ablagerungen zum Vorschein kamen. Diese Gesteine entstanden, als Flüsse riesige Mengen Steine, Sand und Schlick aus den Alpen ins Becken des Mittellandes verfrachteten.

Für das heutige Binnenland Schweiz besonders ist ein grauer Sandstein, den man zum Beispiel im unteren Tösstal findet – die Obere Meeresmolasse. Sie entstand, nachdem vor gut 20 Millionen Jahren ein Meer aus südwestlicher Richtung ins Gebiet der heutigen Schweiz vorgedrungen war. Der schmale Meeresarm war teils bis 100 Meter tief. Er zweigte vom Mittelmeer ab, das damals bis nach Lyon kam, und reichte bis nach Wien.

Übrigens: Für den Bau des Bundeshauses in Bern oder der Schweizerischen Nationalbank in Zürich ist Gestein aus dem bislang letzten «Schweizer Meer» verwendet worden.

Rohstoff aus dem fernen Osten


Oberhalb von Riedern am Sand (D) ist der Graupensand in einem ehemaligen Quarzwerk aufgeschlossen.
Der grobe Sand - oder feine Kies - enthält viel Quarz, der einst zu Glas verarbeitet wurde.

Als sich das Meer vor etwa 17 Millionen Jahren langsam nach Südwesten zurückzog, wurde quarzhaltiger Sand ins Mittelland gespült. Doch diesmal kam das Material nicht aus den Alpen. Nordöstlich der Schweiz hatte sich ein Flusstal eingeschnitten, die Graupensandrinne. Diese Rinne war bis zu 300 Kilometer lang. Darin wurden Quarzkörner, die an gerundete Getreidekörner (Graupen) erinnern, südwestwärts verfrachtet. Etwa im Raum Schaffhausen gelangten sie ins Meer.

Die Körner stammten aus verwittertem Granit des Böhmischen Massivs, das im Grenzgebiet von Deutschland und Tschechien liegt. Es ist der Rest eines Gebirges, das stark abgetragen wurde und viel älter ist als die Alpen. Ein eindrücklicher Aufschluss von Graupensand-Ablagerungen befindet sich bei Riedern am Sand (D) in einem ehemaligen Quarzwerk.

Der grobe Sand wurde früher an ein paar Orten abgebaut. Aus dem geschmolzenen Quarz entstand Glas, zum Beispiel in der Bülacher «Glasi». Auch als Formsand für Giessereien oder für Spiel- und Sportanlagen wurde der Sand verwendet – so manches Schulkind fand darin Haifischzähne.

Gruss aus der Dinosaurier-Zeit


Geologische Aufschlüsse müssen nicht fernab von Städten draussen im Wald liegen. Das zeigt das Beispiel der Stadt Baden (AG). Dort endet – oder beginnt – der gut zehn Kilometer lange Höhenzug Lägern.

Wuchtig wirken die Gesteinsschichten, die nahe an der Limmat schräg in den Himmel ragen. Der teils schmale Grat besteht aus Malmkalk. Das helle Gestein entstand durch Ablagerungen auf dem Meeresgrund vor etwa 155 Millionen Jahren in der Jura-Zeit. Das Erdzeitalter ist allgemein bekannt wegen der Dinosaurier-Filmreihe «Jurassic Park».

Die Lägern wurde, wie der übrige Faltenjura westlich davon, durch den Druck der Alpenfaltung vor etwa neun bis vier Millionen Jahren in die Höhe gedrückt. Durch den alpinen Schub geriet im tiefen Untergrund ein ganzer Gesteinsstapel in Bewegung. Ablagerungen aus Salz und Gips aus der Trias-Zeit (siehe unten) wirkten wie eine Schmierschicht, sodass der aufliegende Stapel ins Rutschen geriet.

Herzstück für die Entsorgung radioaktiver Abfälle


Bei Siblingen (SH) wurde der Opalinuston früher abgebaut, um daraus zum Beispiel Dachziegel zu brennen. Heute wird die alte Grube als Deponie für Bauschutt genutzt.
Der Ammonit namens Leioceras opalinum hat dem grauen Tongestein den Namen gegeben.

Vor rund 175 Millionen Jahren sanken kleinste Gesteinspartikel in sehr grossen Mengen auf den Grund des Jurameeres. Flüsse hatten das erodierte Material vom Festland ins Meer gespült. Aus dem Schlamm wurde später die gut 100 Meter dicke Schicht des Opalinustons. Das dichte Gestein ist praktisch wasserundurchlässig. Bilden sich Risse und dringt dennoch Wasser ein, quellen die Tonminerale auf. So werden solch undichte Stellen wieder verschlossen. Aus den Gründen eignet sich der Opalinuston sehr gut zur langfristigen Einlagerung radioaktiver Abfälle. In Nördlich Lägern, wo die Nagra das geologische Tiefenlager bauen will, liegt das Tongestein in 800 bis 900 Metern Tiefe.

Der Name Opalinus geht zurück auf den Ammoniten Leioceras opalinum, den man darin häufig findet. In dem schneckenförmigen Gehäuse, das wie ein Opal schillerte, lebten tintenfischähnliche Wesen. Dank Luftkammern im «Schneckenhaus» bewegten sich die Ammoniten wie U-Boote.

Scheuermittel, Weinrot, Lachs und Kokosnuss


Besonders vielfältig sind die Gesteine, die im Norden des Kantons Schaffhausen zu finden sind. In ehemaligen Steinbrüchen sind Schichten aufgeschlossen, die vor rund 200 bis 235 Millionen Jahren entstanden, in der letzten Phase des Erdzeitalters Trias (Keuper).

Da ist zum Beispiel der Stubensandstein. Die groben Sandkörner wurden früher genutzt, um die Holzböden in schwäbischen Stuben zu scheuern. Der helle Stein besteht vor allem aus Quarzkörnern. Sie stammen wie der Graupensand aus verwittertem Granit des Böhmischen Massivs (siehe oben). Flüsse mit starker Strömung schwemmten das erodierte Material bis ins Gebiet der Nordschweiz.

Unterhalb des Stubensandsteins wechseln sich bunte, weiche Schichten ab. Je nach Ursprungsgestein hatte der feine Schlamm eine andere Farbe. Darunter liegt der Schilfsandstein, der manchmal grünlich, meist aber weinrot ist. Ein weitverzweigtes Flusssystem, das bis hoch nach Skandinavien reichte, schwemmte den Sand in die Nordschweiz. Der feine Sandstein wurde unter anderem für Figuren auf dem Hauptbahnhof Zürich verwendet.

Und schliesslich zeugen Gipsablagerungen von einem verlandeten Meer. Der Gips wurde früher in der Region als Dünger abgebaut. Die Ablagerungen entstanden, als vom Meer abgeschnittene Salzseen langsam verdunsteten. Auffällig sind dabei die lachsfarbenen Schichten, welche die Qualität von Alabaster haben. Und der weisse Fasergips, der an Kokosnuss erinnert.

Weisses Déjà-vu – 100 Millionen Jahre älter


An vielen Stellen entlang des Hochrheins und im Wutachtal ist der Muschelkalk aufgeschlossen.
Der helle Kalkstein aus der Trias-Zeit ähnelt jenem aus der Jura-Zeit.

Ob entlang des Hochrheins ab Koblenz (AG) westwärts oder im Wutachtal am Nordrand von Schaffhausen: Der Muschelkalk ist an vielen Orten aufgeschlossen, wo er teils hohe Felswände bildet.

Der helle, fast weisse Kalkstein ist zwar leicht mit dem Malmkalk aus der Jurazeit zu verwechseln (siehe oben). Der Muschelkalk entstand aber schon vor rund 240 Millionen Jahren, also rund 100 Millionen Jahre früher. Wie der Jura-Kalk ist er auf dem Meeresgrund entstanden, und zwar in der mittleren Trias-Zeit. Als sich dieses Meer zurückzog und verdunstete, lagerte sich Gips ab. Danach durchzog ein weitverzweigtes Flusssystem die Ebene nördlich der heutigen Schweiz (siehe oben).

Ziegelrot mit perfekten Kreisen


In Stein (AG) direkt am Rhein kommt das Rotliegende ans Tageslicht. Im Hintergrund ist der Schwarzwald zu sehen.
Auffällig sind, nebst dem leuchtenden Ziegelrot, die perfekten grauen Kreise - oft mit einem schwarzen Punkt in der Mitte.

Ein Hingucker ist das Gestein, das bei Stein (AG) direkt am Rhein aufgeschlossen ist. Das sogenannte Rotliegende entstand vor etwa 270 bis 290 Millionen Jahren im Erdzeitalter Perm. Damals lag das Gebiet der heutigen Schweiz noch auf Äquatorhöhe. Erst später bewegte sich die darunterliegende Kontinentalplatte langsam nordwärts.

In dem heissen, trockenen Wüstenklima verwitterte ein Gebirge. Der Gesteinsschutt wurde durch Starkniederschläge talwärts gespült und in weiten Senken abgelagert. Daraus entstand auch das Rotliegende mit seinen perfekten, grünlich-grauen Kreisen.

Durch die Reaktion von Eisenteilchen mit Sauerstoff – eine Art Rostbildung – wurde das Gestein rot gefärbt. In den Kreisen, Reduktionshöfe genannt, ist dieser Vorgang aber durch einen komplexen chemischen Vorgang rückgängig gemacht worden. Dabei dürften die Erzminerale im Zentrum der Höfe der Auslöser gewesen sein. Diese Erze sind oft als schwarzer Punkt sichtbar. Darin wurden Spuren von Nickel, Kupfer, Cobalt, Uran, Vanadium, Arsen, Silber, Blei und Schwefel gefunden.

Harter «Tortenboden» am Rhein


Alle Gesteinsschichten der Nordschweiz liegen auf einem Sockel: dem harten, kristallinen Grundgebirge. Es ist wie ein «Tortenboden», auf dem diese Schichten aufliegen. Entstanden ist der Boden unter anderem aus Magma, das langsam abkühlte und erstarrte – eben kristallisierte.

Das Grundgebirge der Nordschweiz ist Teil der eurasischen Kontinentalplatte, die südwärts unter die Alpen abtaucht. Im Mittelland ist es nur in Laufenburg (AG) an der Erdoberfläche sichtbar. Dort durchbricht der Rhein dieses Gebirge, das sich nördlich davon als Schwarzwald-Massiv erhebt. Der «Tortenboden» ist weit über 300 Millionen Jahre alt.

geologisches Profil (Ausschnitt): Swisstopo

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