Ist der radioaktive Abfall eine Gefahr für unser Trinkwasser? Ob als Frage gestellt oder als Schlagzeile gesetzt: Die Sorge an sich ist sehr verständlich, weil Wasser unser wichtigstes Lebensmittel ist. Und deshalb ist sein Schutz so zentral. Das Tiefenlager für den strahlenden Abfall der Schweiz wird nicht trotz des Grundwassers gebaut – es ist umgekehrt: Die Lagerung der Abfälle in der Tiefe schützt das Wasser langfristig.
Zugegeben: Dass ein solches Lager unser Lebenselixier schützen soll, mag auf den ersten Blick widersprüchlich erscheinen. Denn bei dessen Bau geht man just in die Richtung, wo es Grundwasser hat – in die Tiefe.
Wasser auf unterschiedlichen Ebenen
Zur Erklärung bietet sich ein Vergleich mit einem mehrstöckigen Haus an. Der Untergrund ist aus verschiedenen Gesteinsschichten aufgebaut, die wie Stockwerke übereinanderliegen. Auf einigen dieser Etagen gibt es Grundwasser.
Wir selbst stehen auf dem Hausdach. Hinunter bis ins Erdgeschoss sind es über 1000 Meter oder rund 300 Millionen Jahre zurück in der Zeit. Das oberste und somit jüngste Stockwerk besteht aus eiszeitlichen Ablagerungen der letzten gut 2,5 Millionen Jahre. In dem durchlässigen Gemisch aus Kies und Sand befindet sich wie in einem Schwamm das Grundwasser, das wir als Trinkwasser nutzen. Deshalb muss dieses Stockwerk auch bereits beim Bau des Tiefenlagers besonders gut geschützt werden.
In der Regel ist es so: Je durchlässiger ein Stockwerk respektive Gestein ist, desto rascher bewegt sich das Wasser darin. So ist das nutzbare Grundwasser manchmal nur wenige Jahre alt, weil frisches Regen-, Fluss- oder Seewasser nachsickert.
Ganz anders ist das bei Wasser, das sich in tieferen Stockwerken befindet: Solches Tiefengrundwasser liegt da teils schon seit Jahrtausenden, manchmal sogar seit mehreren Hunderttausend Jahren. Seine Verbindungswege zur Erdoberfläche sind so lange, dass es nur sehr langsam erneuert wird. Und das hohe Alter des Wassers zeigt auch, wie gut die einzelnen Stockwerke voneinander getrennt sind.
Wo die Zeit praktisch stillsteht
Der Opalinuston, ein unscheinbar graues Gestein, ist so dicht, dass er praktisch kein Wasser durchlässt. Das ist der Hauptgrund, wieso dort das Lager für die radioaktiven Abfälle gebaut werden soll. Weil sich im Opalinuston fast nichts bewegt, steht die Zeit darin praktisch still. In dieser „Zeitkapsel“ können die radioaktiven Elemente so weit zerfallen, bis sie fürs Grundwasser und damit für Mensch und Umwelt ungefährlich sind.
Das Tongestein ist gut 100 Meter dick und liegt im Standortgebiet Nördlich Lägern in rund 800 Metern Tiefe – also tief unten im „Haus“ und damit weit vom nutzbaren Grundwasser entfernt. In dem Gebiet im Zürcher Unterland will die Nagra das geologische Tiefenlager bauen. Das sehr dichte Gestein entstand vor etwa 175 Millionen Jahren auf dem Meeresgrund, wo sich kleinste Teilchen Schicht für Schicht ablagerten. Bis heute ist in seinen mikroskopisch kleinen Hohlräumen Wasser aus früheren geologischen Zeiten eingeschlossen. Dieses Porenwasser hat sich über die Hunderttausenden oder gar Millionen von Jahren nur sehr langsam verändert.
Übrigens: Anders als das nutzbare Grundwasser im obersten Stockwerk wäre so manches Tiefengrundwasser nicht trinkbar. Denn je länger ein Wasser im Untergrund liegt, desto mehr Minerale werden aus dem Gestein herausgelöst. Das führt zum Beispiel dazu, dass solches Wasser oft sehr salzig ist oder natürlich vorkommende Schadstoffe enthalten kann – das können sogar radioaktive Elemente sein. Darum eignet es sich oft nicht als Trinkwasser oder für die Bewässerung.
Kleinste Teilchen auf Wanderschaft
In allen drei möglichen Standortregionen, welche die Nagra in den letzten Jahren vertieft untersucht hat, schliesst der Opalinuston die radioaktiven Abfälle so gut ein, dass das Grundwasser langfristig geschützt ist. Allerdings hat die Region Nördlich Lägern, wo die Nagra das Tiefenlager bauen will, in dem Punkt eine zusätzliche Sicherheitsreserve.
So haben Untersuchungen gezeigt, dass das Opalinuston-Porenwasser dort älter ist als in den beiden anderen Regionen. Was ist der Grund für den Altersunterschied? Zwar sind die Stockwerke gut voneinander getrennt, sodass es zwischen den Gesteinsschichten fast keinen Wasseraustausch gibt. Über sehr lange Zeiträume wandern aber trotzdem Teilchen durchs Gestein.
Durch diesen physikalischen Vorgang – Diffusion genannt – gleichen sich Unterschiede in der Konzentration von Stoffen mit der Zeit an, eben zum Beispiel von Wasser. Damit können auch radioaktive Teilchen von den Abfällen in Bewegung geraten, wenn auch äusserst langsam und in sehr kleinen Mengen.
Ein Plus an Sicherheit in Nördlich Lägern
Ober- und unterhalb des Opalinustons gibt es Stockwerke mit Tiefengrundwasser drin. In Nördlich Lägern ist der Abstand zur nächsten Schicht, in der solches Wasser fliesst, gross. Zudem bewegt es sich darin nur langsam. Aus dem Grund ist das Opalinus-Porenwasser in dieser Region am wenigsten verdünnt und somit am ältesten. Das wiederum zeigt, dass die radioaktiven Abfälle in Nördlich Lägern besonders gut eingeschlossen sind.
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