Das geologische Tiefenlager der Schweiz muss die radioaktiven Abfälle bis zu einer Million Jahre sicher einschliessen, damit Mensch und Umwelt auch langfristig davor geschützt sind. Das Einlagern solcher Abfälle in tiefen Gesteinsschichten gilt weltweit als sicherste Lösung für deren Entsorgung. In der Schweiz ist sie im Gesetz vorgeschrieben.
Davon schon oft gehört und gelesen? Weit weniger bekannt ist die Grundidee hinter der Tiefenlagerung. Also die Frage, wieso der Atommüll so weit unter die Erde gebracht werden soll. Die Antwort ist etwas unangenehm, weil dieser Entsorgungsform auch düstere Szenarien über die Entwicklung unserer Gesellschaft zugrunde liegen.
Schon im Jahr 2000 wurde eine Expertengruppe in einem Bericht für den Bund deutlich. So sei die Sicherheit aller oberirdischen Lager für radioaktive Abfälle auf lange Zeit «aufgrund des Risikos von Naturkatastrophen, Erosionsprozessen oder kriegerischen Ereignissen nicht gewährleistet». Und: Über lange Zeiträume könne «die Stabilität der Gesellschaft nicht nachgewiesen werden». Daher schlug die Gruppe das Konzept des geologischen Tiefenlagers vor, das 2003 ins Kernenergiegesetz geschrieben wurde.
Kollaps und Kontrollverlust
Die Geologie unten ist stabiler und berechenbarer als die Gesellschaft oben. Ob Kriege, Pandemien oder der Kollaps staatlicher Ordnung: Wie die gesellschaftlichen Verhältnisse in 100, 200 oder 1000 Jahren sein werden, lässt sich heute schlicht nicht vorhersagen.
Anders sieht es beim Gestein in grosser Tiefe aus, wo die Zeit praktisch stillsteht. Dort unten laufen Veränderungen seit jeher nur sehr langsam ab. So sind sie bis weit zurück in die geologische Vergangenheit bekannt, sodass gute Vorhersagen über künftige Entwicklungen gemacht werden können. Prognosen für den Zeitraum bis zu einer Million Jahre sind in der Tiefe somit wesentlich einfacher zu erstellen als für die unberechenbare Erdoberfläche mit ihren Bewohnern.
Mit dem geologischen Tiefenlager werden die radioaktiven Abfälle von der Gesellschaft abgekoppelt, vom Lebensraum der Menschen ferngehalten. Eingelagert im Gestein, mehrere hundert Meter in der Tiefe, erhalten sie genug Zeit, um durch Zerfall unschädlich zu werden. Diese Form der Sicherheit wird passiv erreicht, also bewusst ohne menschliches Zutun.
Kernkraftwerke oder Zwischenlager für radioaktive Abfälle werden aktiv überwacht und gesichert. Zwar ist das auch beim Tiefenlager eine Zeit lang der Fall, um seine Sicherheit zu kontrollieren. Doch langfristig muss das Lager passiv sicher sein, also ohne menschliche Überwachung.
So soll das Schweizer Tiefenlager aussehen – 3D-Animation
Sicherheit durch Distanz
Um Mensch und Umwelt vor der Direktstrahlung der radioaktiven Abfälle zu schützen, bräuchte es kein Lager in grosser Tiefe. Denn die Strahlendosis nimmt mit der Distanz stark ab. Werden die Abfälle zusätzlich mit Beton und Blei abgeschirmt, sinkt die Dosis weiter. So ist zum Beispiel auf dem Wanderweg, der direkt am Zwischenlager in Würenlingen vorbeiführt, keine erhöhte Strahlung messbar.
Das Tiefenlager soll vielmehr dafür sorgen, dass radioaktive Teilchen – sogenannte Radionuklide – nicht in schädlichen Mengen in die Umwelt respektive ins Grundwasser gelangen. Ob Granit, Salz- oder Tongesteine: Um die strahlenden Abfälle in der Tiefe lange genug einzuschliessen, kommt unterschiedliches Gestein infrage. In der Schweiz eignet sich der Opalinuston am besten. Das dichte Tongestein schliesst den Abfall sicher ein. Das Gestein liefert den mit Abstand grössten Beitrag an die Sicherheit des Schweizer Tiefenlagers.
Daneben gibt es weitere Hürden beziehungsweise Barrieren, um den Austritt schädlicher Mengen Radionuklide zu verhindern. Ein dickwandiger Stahlbehälter schliesst die hochaktiven Abfälle für mindestens 1000 Jahre komplett ein. In dieser Zeit klingt die Radioaktivität stark ab.
Ein Tongranulat ist eine zusätzliche Barriere, mit dem die Hohlräume zwischen den Behältern und dem Opalinuston aufgefüllt und damit die Stollen verschlossen werden. Und was oft vergessen geht: Alle radioaktiven Abfälle sind weder flüssig noch lose, sondern in fester Form gebunden.
Den richtigen Zeitpunkt wählen
Apropos auffüllen und verschliessen: Wann soll das Tiefenlager als Ganzes verschlossen werden? Also der Übergang von der aktiven zur passiven Sicherung der radioaktiven Abfälle erfolgen? In einem Bericht von 2018 im Auftrag des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorates (Ensi) empfehlen Fachleute, das Lager «möglichst bald» zu verschliessen.
Der Grund: Nach heutiger Planung dauert die Phase bis zum Verschluss womöglich über 100 Jahre. Diese lange Zeit soll den Experten zufolge eventuell verkürzt werden, denn: «Je länger der Prozess für die Entsorgung der radioaktiven Abfälle dauert, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Gesellschaft im Verlaufe des Prozesses die Kontrolle verlieren könnte.»
Mit dem Nagra-Konzept der fortlaufenden Verfüllung respektive Versiegelung der Lagerstollen sei «schon viel erreicht», wie es in dem Bericht weiter heisst. Letztlich ist es an den künftigen Generationen zu entscheiden, ab welchem Zeitpunkt sie das geologische Tiefenlager endgültig der Geologie überlassen wollen. Dafür müssen sie die Vor- und Nachteile gegeneinander abwägen. Die Nagra plant heute damit, dass das gesamte Tiefenlager nach einer 50-jährigen Beobachtungsphase um das Jahr 2125 verschlossen wird.
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