Technical Report NTB 19-02

Die Tiefengrundwässer in der Nordschweiz und im angrenzenden Süddeutschland: Beschaffenheit, Herkunft und unterirdische Verweilzeit

Zusammenfassung

Im vorliegenden Bericht sind die über die letzten 40 Jahre gewonnenen hydrochemischen Erkenntnisse über Grundwasser in den Sedimentaquiferen und im Kristallin der Nordschweiz und angrenzendem süddeutschen Gebiet zusammenfassend dargestellt und diskutiert. Präsentiert wird der geowissenschaftliche Kenntnisstand mit Status vor der TBO-Kampagne 2019-2022. Dieser Bericht liefert damit die regionale Grundlage für die Interpretation der Situation in den Standortgebieten im Rahmen der Geosynthese. Aufgeteilt in die tektonischen Regionen Molasse­becken, Faltenjura, Tafeljura, Hegau – Bodensee-Graben und kristallines Grundgebirge wurden zur Gewährleistung der Nachvollziehbarkeit zu früheren Arbeiten die bisher in zahlreichen Grundlagenberichten verwende­ten Bezeichnungen der hydro­geologischen Einheiten beibe­halten.

Übergeordnetes Ziel dieses Berichts ist es, basierend auf den Analysen von Tiefengrundwässern ein Verständnis der Fliesssysteme in den tief liegenden Aquiferen der Nordschweiz zu ent­wickeln. Die aus den hydrochemischen Parametern abgeleiteten Erkenntnisse können als unab­hängige Evidenzen für die Resultate der hydraulischen Untersuchungen und der hydrogeolo­gischen Modelle im Sinne einer Konsistenzprüfung betrachtet werden. Dazu wurde aus mehr als 3'100 Teildatensätzen, welche auf unterschiedliche Probenentnahmen und Analysen in verschie­denen Labors zurückgehen, für jede Lokalität eine repräsentative und möglichst alle Parameter umfassende Analyse (sog. "Referenzanalyse") erarbeitet. Basierend auf dieser Referenzanalyse und mit Hilfe hydrochemischer und isotopenhydrologischer Betrachtungen und Modelle werden für jede Lokalität Aussagen bezüglich Herkunft (Infiltrationsbedingungen), geochemische Ent­wicklung (Wasser/Gesteins-Wechselwirkungen, Mischung etc.) und Verweilzeit im Untergrund der Grundwässer gemacht. Im regionalen Vergleich erlaubt das so erarbeitete Verständnis Aus­sagen über Grundwasser-Fliesssysteme im tiefen Untergrund und liefert damit Argumente für den Grundwasserstockwerkbau und allfällige Hinweise auf formationsübergreifende Fliesssysteme (cross-formation flow).

Die hydrochemische Interpretation bezieht sich auf ein gegenüber dem Projekt Gewähr (Nagra 1985) vergrössertes Unter­suchungsgebiet mit allen geologischen Stand­ortgebieten der Nord­schweiz. Zudem wurde auch der nahegelegene süddeutsche Raum miteinbezogen. Bestehende Datensätze aus der Nordschweiz bis Stand 2014 (Schmassmann et al. 1984, Schmassmann 1990, Blaser & Scholtis 1991, Pearson et al. 1991, Schmassmann et al. 1992, Biehler et al. 1993, Traber et al. 2002, Waber et al. 2014a) wurden mit neueren Daten ergänzt (Stand 2019; vor den Tief­bohrungen in SGT Etappe 3). Für das angrenzende süddeutsche Gebiet (Hegau – Bodensee-Graben, Schwäbische Alb, süddeutsches Molasse­becken) wurde auf publizierte und unpublizierte Projektberichte zurückgegriffen (BLFW & GLA Baden-Württemberg 1991, unpublizierte Daten­erhebung Malmkalk-Oberschwaben 1993/1994, Interreg IIIA 2008). Diese in den diversen lokalen, regionalen und überregionalen Untersuchungsprogrammen dokumentierten Daten und Interpretationen über Grundwasser in den Sedimentgesteinsaquiferen und im Kristallin werden aufgrund neuer Erkenntnisse überprüft und entsprechend angepasst.

Die chemische Zusammensetzung und Isotopie eines Grundwassers wird durch seine Wech­selwirkung mit dem Gestein, möglichen Mischungen entlang des Fliesspfads und vorwiegend diffusivem Austausch mit über- und unterlagernden gering permeablen Einheiten bestimmt. Aufgrund der unterschiedlichen Mineralogie, Durchlässigkeit und Porenraumverteilung der Lithologien des Tertiärs und Juras gegenüber denjenigen der Trias, des Permokarbons und des kristallinen Grundgebirges ergeben sich für die Grundwässer in diesen Einheiten typische chemische Zusammensetzungen, Gehalte an gelösten Gasen und Isotopensignaturen. In den marinen Sedimentgesteinsaquiferen bleiben diese Unterschiede bis zu einem gewissen Grad auch bei der Mischung mit dem einzigen gleichen Endglied, dem ursprünglichen Meerwasser, erhalten.

Oberflächennahe Grundwässer sind meteorischen Ursprungs mit Verweilzeiten im Untergrund von wenigen Monaten bis einigen Jahrzehnten. Die chemische Typologie und Mineralisation von oberflächennahen Grundwässern ist charakteristisch für die Lithologie der jeweiligen hydro­geo­logischen Einheit und unterscheidet sich zwischen den Molasse-Einheiten, Malm-Aquifer, Haupt­rogenstein-Aquifer und Lias, den Keuper- und Muschelkalk-Aquiferen und den Einheiten des Buntsandsteins, Permokarbons und Kristallins.

In den tiefen Grundwässern wird in allen hydro­geologischen Einheiten der Einfluss von Mischun­gen mit älteren, auch nicht-meteorischen Grundwasserkomponenten bedeutender. Mischung und – mit zunehmender Verweilzeit im Untergrund – der Austausch mit Porenwasser in gering per­meablen Einheiten resultieren in einer Zunahme der Mineralisation und einer Veränderung der chemischen Typologie in Richtung des generellen Na-Cl-Typ Grundwassers. In den Molasse-Einheiten, im Malm-Aquifer und im Hauptrogenstein-Aquifer erfolgt die NaCl-Minerali­sation durch advektiv und diffusiv zugeführte Meerwasserkomponenten. In diesen Tiefengrund­wässern sind der maximale Cl-Gehalt und die Mineralisation geringer als in Meerwasser. In den Keuper-, Muschelkalk-und Buntsandstein-Aquiferen und dem Permokarbon ist die NaCl-Mineralisation mehrheitlich Mischungen mit durch Salzlösung geprägte Komponenten zuzuschreiben. In diesen Tiefengrundwässern können der maximale Cl-Gehalt und die Mineralisation diejenigen von Meerwasser überschreiten. Im kristallinen Grundgebirge sind Cl-Gehalte und Mineralisation vergleichsweise gering und es liegen Frischwässer oder schwach mineralisierte Grundwässer vor, welche ihre geringen Cl-Gehalte durch Austausch mit dem Porenwasser in den Kristallin­gesteinen erhalten. Die höchsten Cl-Gehalte und Mineralisationen treten einerseits im Permo­karbon bzw. in Permokarbon-Nähe auf und werden andererseits vom Lias bis in den Muschelkalk in den zentralen Bereichen des schweizerischen und süddeutschen Molassebeckens beobachtet, wo mehrheitlich stagnierende Verhältnisse vorherrschen.

Die mittleren Verweilzeiten solcher Mischungen im Unter­grund variieren über einen Bereich von wenigen hundert bis mehrere Millionen von Jahren. Aufgrund der vorliegenden Daten hängt die geochemische Entwicklung und Altersstruktur solcher Grundwässer von den geologischen und hydrogeologischen Verhältnissen und der Durchlässigkeit der hydrogeo­logischen Einheit ab. Einflüsse von holozänen Komponenten sind mit Ausnahme des Permo­karbons in den Tiefen­grundwässern aus allen hydrogeologischen Einheiten nahe den Infiltra­tionsgebieten vorhanden. Einflüsse von pleistozänen, kaltzeitlichen Komponenten sind in den Molasse-Einheiten, dem Malm-Aquifer, dem Muschelkalk-Aquifer, dem Buntsandstein-Aquifer und dem Kristallin ersichtlich. Im Malm-Aquifer und Kristallin beschränken sich solche Einflüsse auf das Gebiet des Hegau – Bodensee-Grabens und das anschliessende Süddeutsch­land. In den Molasse-Einheiten, dem Muschelkalk- und Buntsandstein-Aquifer sind solche Einflüsse auch im tektonisch unge­störten Molassebecken von nordöstlich des Faltenjuras bis zur Randzone des Hegau – Bodensee-Grabens vorhanden. Aus dem Hauptrogenstein-Aquifer (inklusive Birmenstorfer Schichten), Lias, Keuper-Aquifer und Permokarbon liegen keine Grundwässer vor, welche Anzeichen einer kaltzeitlichen Komponente aufweisen. In diesen Grundwässern ist die jüngste Komponente pleistozän-warmzeitlich (Keuper-Aquifer) oder deutlich älter (Lias, Permokarbon).

Über das ganze erweiterte Untersuchungsgebiet weisen die hydrochemischen Daten auf eine Kommunikation zwischen den Molasse-Einheiten und dem Malm-Aquifer hin. In tektonisch beanspruchten Regionen, insbesondere am Rand zum Faltenjura, gibt es Anzeichen, dass diese Kommunikation bis in den tiefer liegenden Hauptrogenstein-Aquifer und die Birmenstorfer Schichten reicht. Eine Verbindung zu tiefer liegenden hydrogeologischen Einheiten ist aber auch hier nicht offensichtlich. Ebenfalls über das ganze Untersuchungsgebiet zeigt sich eine hydrau­lische Verbindung zwischen dem Buntsandstein-Aquifer und dem direkt unterlagernden Permo­karbon bzw. Kristallin.

Über das gesamte erweiterte Untersuchungsgebiet weisen die hydrochemischen Daten auf eine Überlagerung von lokalen und regionalen Fliesssystemen in den Exfiltrationsgebieten und den tektonisch stark beanspruchten Regionen des Faltenjuras, der Vorfaltenzone und des Hegau – Bodensee-Grabens hin. Innerhalb des Falten- und teilweise auch des Tafeljuras liegen komplexe Verhältnisse vor und es kommt zu formationsübergreifenden Verbindungen entlang Störungs­zonen zwischen den hydro­geologischen Einheiten der Trias, des Permokarbons und des Kristallins (z.B. Thermalwässer Baden/Ennetbaden, Bad Schinznach). Im Hegau – Bodensee-Graben scheinen solche Verbindungen aufgrund der vor­liegenden Daten auf die Molasse-Einheiten und den Malm-Aquifer beschränkt zu sein. Im zentralen schweizerischen Molasse­becken und im süddeutschen Molassebecken östlich des Hegau – Bodensee-Grabens ist aufgrund der hydro­chemischen Verwandtschaft auch eine gewisse Kommunikation zwischen den Tiefen­grundwässern des Lias, des Keuper-Aquifers und Muschelkalk-Aquifers angezeigt. Dabei ist zu beachten, dass es sich hier um stagnierende Bedingungen in Grundwässern mit besonders hohen Verweilzeiten handelt.

Im tektonisch wenig beanspruchten Teil des Molassebeckens von nordöstlich des Faltenjuras bis zur Randzone des Hegau – Bodensee-Grabens zeigen die hydrochemischen Daten aus den ver­schiedenen hydrogeologischen Einheiten, dass die durch die Wechselwirkung mit dem Gestein erworbenen charakteristischen Unterschiede ungestört vorhanden sind. In diesem Gebiet ist ein intakter Stockwerkbau vorhanden, wobei die gering durchlässigen Lithologien des Doggers/Lias, des Gipskeupers und der Sulfatschichten (inklusive Salzlager) die Grundwasserstockwerke Tertiär/Malm-Aquifer, Keuper-Aquifer, Muschelkalk-Aquifer und Buntsandstein-Aquifer effi­zient trennen.