Naturanaloga für ein Tiefenlager – die Natur macht es vor


Die Sicherheit geologischer Lager muss über sehr lange Zeiträume gewährleistet sein. Studien an Naturanaloga erlauben Rückschlüsse auf langsame geologische Abläufe.

Während eines Menschenlebens kann man viele geologische Prozesse nicht direkt mitverfolgen, da sie zu langsam ablaufen. Wissenschaftler können die fehlende direkte Beobachtung durch Rückschlüsse an sogenannten Naturanaloga ersetzen: Sie studieren und deuten Phänomene, die in der Natur ablaufen.

Mit Sicherheitsanalysen überprüfen wir von der Nagra die Langzeitsicherheit. Dafür sind umfassende Kenntnisse über das Verhalten des Lagersystems aus Experimenten und Studien notwendig. Wir untersuchen Prozesse und Situationen, die im Umfeld eines geologischen Tiefenlagers ablaufen, auch anhand von Beispielen in der Natur. Im Gegensatz zu kurzfristigen Laborexperimenten können wir so Abläufe studieren, die sich über Tausende von Jahren erstreckt haben.

Es gibt für viele Komponenten eines Tiefenlagers und für das Tiefenlager als Ganzes Naturanaloga (siehe Naturreaktoren).

Barrieren verhindern und verzögern die Freisetzung von radioaktiven Stoffen (Radionuklide) aus einem Tiefenlager.

Der hochaktive Abfall wird unter anderem durch technische Barrieren eingeschlossen. Dafür sieht die Nagra unterschiedliche Materialien wie Glas, Metalle und Tone vor. Natürliche Vorkommen und archäologische Funde liefern ihr wichtige Hinweise zum Langzeitverhalten dieser Materialien.

  • Glas
  • Metall
  • Ton

Glas hat eine vorteilhafte amorphe Struktur

Die Struktur von Glas ist amorph, das heisst, seine Bestandteile sind unregelmässig angeordnet. Beim Zerbrechen entstehen unebene muschelartige Flächen, anders als in einem Kristall, der meist entlang ebener Flächen bricht. In der Natur gibt es vulkanische Gläser (Obsidian), die aus amorphem Quarz bestehen und teils über Jahrmillionen in chemisch unverändertem Zustand erhalten geblieben sind.
Bei Senzeilles in Belgien wurden in einem Tongestein kleinste Glasperlen gefunden. Sie sind bei einem Meteoriteneinschlag vor 367 Millionen Jahren entstanden. Aufgrund ihrer geringen Grösse könnte man erwarten, dass sie nach so langer Zeit aufgelöst worden wären. Gut eingeschlossen in Ton zeigen diese Glasperlen jedoch keinerlei Umwandlungserscheinungen.

Wegen seiner Eigenschaften bildet Glas die innerste technische Barriere bei einem geologischen Tiefenlager für hochaktive Abfälle. Radioaktive Elemente werden in einer Glasmatrix eingegossen, weil diese schwer korrodiert. Die radioaktiven Stoffe bleiben für lange Zeit sicher eingeschlossen.

Glasflasche in Fischform aus el Amarna (Ägypten, zwischen 1390 und 1336 vor Christus). Foto: <a rel="noreferrer noopener" href="https://nagra.ch/wp-content/uploads/2022/07/FileAncient_Egyptian_glass_tilapia_British_Museum_EA55193-2.jpg" data-type="URL" data-id="https://nagra.ch/wp-content/uploads/2022/07/FileAncient_Egyptian_glass_tilapia_British_Museum_EA55193-2.jpg" target="_blank">Wikimedia Commons</a>, public domain
Glasflasche in Fischform aus el Amarna (Ägypten, zwischen 1390 und 1336 vor Christus). Foto: Wikimedia Commons, public domain

Metallrost als Schutzschicht

Stahl ist eine Eisenlegierung mit einem geringen Gehalt an Kohlenstoff, der den Rostvorgang verlangsamt. Bei Kontakt mit sauerstoffreichem Wasser rostet Eisen an der Oberfläche. Die entstehende Rostschicht bildet jedoch eine Schutzschicht für das darunterliegende Metall und verzögert das Fortschreiten des Rostvorganges.

Die Nagra schliesst die hochaktiven Abfälle und abgebrannten Brennelemente in dickwandige Endlagerbehälter aus Kohlenstoffstahl ein, bevor sie ins Tiefenlager kommen. Archäologische Funde von Metallgegenständen helfen den Wissenschaftlern, die Lebensdauer dieser Behälter zu beurteilen. Die Herstellung von Stahl ist seit 2700 Jahren bekannt, während Eisen bereits seit 3500 Jahren genutzt wird. Vor allem aus der Römerzeit sind viele Eisenfunde bekannt.

Wenn Rost schützt – Römisches Langzeitexperiment

Im Jahre 87 nach Christus vergruben römische Soldaten in Inchtuthil (Schottland) kistenweise Eisennägel vier Meter tief im Boden, um das wertvolle Material dem gegnerischen Zugriff zu entziehen. Die obersten Nägel sind stark korrodiert und bildeten eine feste Rostschicht, welche die darunterliegenden Nägel weitgehend schützte.

Zum Vergleich: Die hochaktiven Stoffe kommen erst mit der Bergfeuchtigkeit in Kontakt, wenn die dickwandigen Lagerbehälter aus Stahl (minimale Wandstärke 15 Zentimeter) durchkorrodiert sind. Das erwartet man in frühestens 10 000 Jahren. Erst dann können radioaktive Stoffe durch Wasser herausgelöst werden. Der Hauptteil der Radioaktivität ist bis dann abgeklungen. Die Bentonitverfüllung der Stollen und das umgebende Gestein sorgen weiterhin für den sicheren Einschluss.

Archäologie Römer Naturanalog Eisen

Ton quillt auf und hält dicht

Als Verfüllmaterial in den Lagerstollen soll Tonmaterial eindringendes Wasser von den Lagerbehältern fernhalten und allfällige austretende radioaktive Stoffe zurückhalten. Bentonit besteht hauptsächlich aus Tonmineralen und erfüllt beide Anforderungen. Er vermag viel Wasser zu binden und quillt dabei auf. Zudem besitzt er die Fähigkeit, radioaktive Stoffe langfristig zu binden und zurückzuhalten. Deshalb verfüllt die Nagra alle Hohlräume um die Abfallbehälter in den Lagerstollen eines Tiefenlagers mit quellfähigem Bentonit.

Risse im tonigen Boden. Wenn Ton austrocknet, schrumpft er und bildet Risse. Bei Regen wird das Wasser wieder eingebunden, der Ton quillt auf und die Risse schliessen sich. Foto: © <a rel="noreferrer noopener" href="https://www.flickr.com/photos/38476503@N08/4459581071" data-type="URL" data-id="https://www.flickr.com/photos/38476503@N08/4459581071" target="_blank">2010CIAT / NeilPalmer</a> <a rel="noreferrer noopener" href="https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/?ref=ccsearch&atype=rich" target="_blank">CC BY-SA 2.0</a>
Risse im tonigen Boden. Wenn Ton austrocknet, schrumpft er und bildet Risse. Bei Regen wird das Wasser wieder eingebunden, der Ton quillt auf und die Risse schliessen sich. Foto: © 2010CIAT / NeilPalmer CC BY-SA 2.0

Tonstein im Untergrund dient als geologische Barriere

Das Tiefenlager selbst wird in tonhaltigen Gesteinen wie dem Opalinuston gebaut. Gesteinsformationen, die hauptsächlich aus Ton bestehen, zeichnen sich durch ein hervorragendes Isolations- und Abdichtungsvermögen aus. Wie oben erwähnt, binden sie Wasser und gelöste Inhaltsstoffe während geologischer Zeiträume an sich. An der Erdoberfläche sind Tone weich und plastisch. In grösserer Tiefe bilden Tone festes Gestein. Auf Schadstoffe haben Tone eine Art «Bremswirkung». Sie vermögen viele Schadstoffe zurückzuhalten und zu binden.

Der 173 Millionen Jahre alte Opalinuston enthält in seinen feinen Poren eingeschlossenes Wasser, das sich praktisch nicht bewegt. Dieses Porenwasser enthält noch fünf bis zwanzig Gramm gelöste Salze pro Liter aus Meerwasser. Weil solche Anteile von Meerwasser seit vielen Millionen Jahren im Opalinuston erhalten geblieben sind, gehen Wissenschaftler davon aus, dass sich die Eigenschaften des Gesteins auch in den nächsten paar 100 000 Jahren kaum verändern werden. Er eignet sich daher als Wirtgestein für ein geologisches Tiefenlager.

Opalinuston konserviert auch Versteinerungen

In der Bohrung Benken wurde im Opalinuston dieser sehr gut erhaltene Ammonit der Art «Leioceras opalinum» gefunden. Er wurde durch das Tongestein vor äusseren Einflüssen geschützt und konserviert. Der Name ist auf das opalisierende Schillern der Schale zurückzuführen, das über eine Zeit von zirka 173 Millionen Jahren erhalten geblieben ist.

Fossilien Tonsteine

Naturreaktor durch tonhaltiges Gestein eingeschlossen

Die Natur erlaubt in Oklo einen Blick in ein Lager für radioaktive Abfälle nach zwei Milliarden Jahren.

Vor zirka zwei Milliarden Jahren sind in einem westafrikanischen Uranerzvorkommen in Oklo (Gabun) auf natürliche Weise Kernreaktoren entstanden.

Uran-235 (damals noch ca. 3 % natürlicher Anteil des Uranerzes) setzte eine sich selbst erhaltende Kettenreaktion in Gang, die durch Wasser in den Spalten des Urangesteins moderiert wurde. Dadurch wurden einige Tonnen hochaktiver Abfall (Spaltprodukte) und Plutonium produziert, die im tonhaltigen Gestein eingeschlossen blieben.

Die Natur hat in Oklo somit ein Kernkraftwerk und ein «geologisches Lager für hochaktive Abfälle» geschaffen. Die radioaktiven Stoffe haben sich seither kaum vom Entstehungsort wegbewegt. Und zwar ohne optimierte geologische Bedingungen im ungestörten Opalinuston und ohne technische Sicherheitsbarrieren beispielsweise aus Bentonit, wie sie in einem Schweizer Tiefenlager vorgesehen sind.

Titelfoto: Versteinerter Wald bei Dunarobba, Italien, Wikipedia Commons, Cantalamessa, CC BY-SA 3.0