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«Wir sind die Stimme der Region»


Hanspeter Lienhart wurde 2011 zum ersten Präsidenten der Regionalkonferenz Nördlich Lägern gewählt. Ende 2022 trat er von seinem Amt zurück. Wie er diese Rolle interpretiert und den Standortvorschlag der Nagra erlebt hat.

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Die Nagra hat Nördlich Lägern als Standort für das Tiefenlager vorgeschlagen und Sie sind Ende Jahr zurückgetreten. Warum zu diesem Zeitpunkt?
Ich hatte meinen Rücktritt ein Jahr im Voraus angekündigt und schon damals betont, dass er unwiderruflich sei. Für mich persönlich war dieser Meilenstein der richtige Moment, um zurückzutreten. Ein Kapitel ist abgeschlossen, ein neues beginnt.

Wie hat denn das neue Kapitel aus Sicht der Regionalkonferenz im letzten Herbst begonnen?
Alle haben gespannt auf den Vorschlag der Nagra im Herbst 2022 gewartet. Die Ungewissheit hatte in den letzten beiden Jahren Spekulationen genährt. Es war deshalb dringend nötig, dass die Nagra den Standortvorschlag kommunizierte. Damit wurde Transparenz geschaffen. Der Prozess kann jetzt wieder mit allen Beteiligten weitergeführt werden.

Und mit einer neuen Führung.
Ja, die Lösung mit einem Co-Präsidium für meine Nachfolge finde ich sehr gut: Mit Christopher Müller haben wir jemanden mit viel Erfahrung, auch vom beruflichen Hintergrund her ist er gut geeignet. Reto Grossmann drückt als Gemeinderat von Stadel die unmittelbare Betroffenheit der Standortgemeinde aus. Diese Ausgewogenheit finde ich gut und wichtig.

Wie wurde der Standortvorschlag in der Region aufgenommen?
Es ist sicher kein Lotto-Sechser für unsere Region. Ich habe das Gefühl, die meisten Menschen haben die Situation einfach mal zur Kenntnis genommen – im Wissen darum, dass der Prozess noch lange dauern wird.

«Es ist sicher kein Lotto-Sechser für unsere Region.»


Hanspeter Lienhart zum Standortvorschlag der Nagra.

Wie haben Sie Ihre Rolle als Präsident der Regionalkonferenz interpretiert?
Mir war die gute Moderation ein grosses Anliegen. Auch die Zusammenarbeit im Vorstand, mit der Prozessbegleitung, der Kommunikation und der Geschäftsstelle war mir sehr wichtig. Ich hatte das Glück, dass ich immer auf Topleute zählen konnte.

Andere hätten sich mehr Widerstand der Regionalkonferenz gewünscht.
In der Regionalkonferenz ging es nie darum, ob wir für oder gegen ein Tiefenlager sind. Der Prozess will, dass der radioaktive Abfall in einem Tiefenlager entsorgt wird. Das zu erklären und die Leute wieder zurück ins Boot zu holen, war oft herausfordernd. Aber wir haben es geschafft. Wir sind die Stimme der Region.

Wo verschaffte sich diese Stimme Gehör?
Zum Beispiel bei der Oberflächenanlage: Da konnten wir mitgestalten, indem wir eine Stellungnahme abgaben. Dafür holten wir zuvor alle Meinungen innerhalb der Regionalkonferenz ab. Wir haben dazu beigetragen, dass der an der Oberfläche sichtbare Teil der Infrastruktur im Haberstal gebaut werden soll. Wie erachten diesen Standort in unserer Region als am «wenigsten ungeeignet».
Fragen wie «Wo ist der Opalinuston am besten?» müssen nicht wir entscheiden. Es war wichtig und richtig, dass wir uns nie auf einen Expertenstreit eingelassen haben. Gab es Unklarheiten, erteilte die Regionalkonferenz den Auftrag, diese zu klären. Ich stelle fest: Alle Stakeholder und auch wir selbst sind an diesem Prozess gereift.

Wie gross war der Aufwand, den Sie persönlich in den elf Jahren betreiben mussten?
Zu Beginn wusste ich nicht, wie aufwendig das werden würde – aufwendig im positiven Sinn. Für die Sache hat sich der Aufwand sicher gelohnt, für mich persönlich waren die vielen Erfahrungen und Begegnungen bereichernd.

Wie kam es überhaupt dazu, dass Sie dieses Amt übernommen haben?
Das war quasi von Amtes wegen. Ich habe lange die Planungsregion Zürcher Unterland präsidiert. Ich habe mich deshalb bereit erklärt, auch das Präsidium der Regionalkonferenz zu übernehmen.

Hanspeter Lienhart war elf Jahre Präsident der Regionalkonferenz Nördlich Lägern.

«Wir alle sind an diesem Prozess gereift.»


Wie sich die Partizipation im Sachplanverfahren entwickelt hat.

Die Jungen für eine Teilnahme an einer Partizipation zu begeistern, ist schwierig. Das ist beim Tiefenlager nicht anders, obwohl es als Generationenprojekt angesehen wird. Was läuft falsch?
Ich habe mir dazu viele Gedanken gemacht. Ich war früher ein Anti-AKW-Aktivist. Wir sind damit aufgewachsen. Heute ist das anders. Der Atommüll ist nicht das aktuellste Thema der Jugend. Ich glaube, die meisten Menschen sind der Meinung, dass die radioaktiven Abfälle mit der grösstmöglichen Sorgfalt entsorgt werden müssen. So gesehen ist der Prozess akzeptiert. Es gibt keinen Abwehreffekt bei den Jungen wie beim Klimawandel. Wir bei der Anti-AKW-Bewegung haben uns damals mit dem Elan der Jugend gegen etwas gewehrt, das wir nicht wollten. Aber der Atommüll, der ist schon da. Das ist eine andere Ausgangslage.

Manchmal sind die Leute richtig enttäuscht, dass das Thema generell nicht mehr Interesse weckt. Darüber muss man doch nicht enttäuscht sein! Ich würde viel eher die Sachlichkeit in diesem Prozess hervorheben. Was wäre denn die Alternative? Ich denke nicht, dass das Thema besser zu bearbeiten wäre, wenn es emotional aufgeladen wäre.

Apropos emotional: Was war denn der schwierigste Moment in den elf Jahren?
Als die Etappe 3 gestartet ist im Jahr 2019. Nach meinem Empfinden ist man sich damals der internationalen Ausstrahlung des Prozesses erst so richtig bewusst geworden. Das gegenseitige Verständnis kam etwas abhanden. Bemängelt wurde der Einbezug der deutschen Anliegen. Und generell hatte das Verhältnis zwischen Deutschland und der Schweiz gelitten. Wir haben eine Arbeitsgruppe eingesetzt und auch viele Gespräche geführt. Mit grossem Aufwand konnten wir wieder alle an einen Tisch bringen. Rückblickend war das vielleicht der grösste Erfolg für die Partizipation.

Und was ist mit dem Jahr 2015, als das ENSI die Region Nördlich Lägern entgegen dem Vorschlag der Nagra wieder ins Spiel brachte?
Damals war sicher der Medienhype am grössten. Aus meiner Sicht noch grösser als beim Standortvorschlag im letzten Herbst. Aber sehen Sie: Für den Prozess war der damalige Entscheid sehr wichtig. Das ENSI hat bewiesen, es kann die Nagra zurückpfeifen und sagen ‘ihr müsst das besser begründen’. Die Nagra ist nicht unfehlbar. Aber das weiss sie, sie hat es zuletzt auch so kommuniziert. Mein Eindruck ist, dass die Glaubwürdigkeit des Prozesses gestärkt wurde.

Wo sehen Sie in unmittelbarer Zukunft die grössten Hürden?
Zentral ist jetzt, dass das partizipative Verfahren nicht abgeschwächt wird. Die nächsten Schritte sind wichtig und auch diese müssen transparent sein. Ein grosses Thema sind natürlich die Abgeltungen. Für den weiteren Prozess und die Akzeptanz des Verfahrens ist es essenziell, dass dafür eine Agenda aufgestellt wird. Es ist gut, dass die Abfallverursacher unsere Forderungen aufgenommen haben und jetzt ihren Willen kundtun, dass es auch wirklich zu ernst gemeinten Abgeltungsverhandlungen kommt. Ansonsten wird die Akzeptanz bröckeln. Denn eines dürfen wir keinesfalls vergessen: Diese Region trägt eine gesamtschweizerische Bürde.

Zur Person
Hanspeter Lienhart sass 24 Jahre für die SP im Stadtrat von Bülach. 2011 gründete er ein eigenes Unternehmen und wurde zum ersten Präsidenten der Regionalkonferenz Nördlich Lägern gewählt.

Lienhart absolvierte eine Lehre als Chemielaborant und schlug danach eine Gewerkschafts- und Politikerkarriere ein. Er ist verheiratet, hat einen Sohn und zwei Enkelinnen.

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