«Wir arbeiten Seite an Seite aufs gleiche Ziel hin»


Könnte Gas das Tiefenlager gefährden? Typhaine Guillemot sucht Antworten auf solche Fragen. Ihre Arbeit hilft, die Prozesse im Gestein zu verstehen.

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«Ich wollte raus aus der akademischen Welt. Als ich in der Klimaforschung arbeitete, war es für mich frustrierend, keine greifbaren Lösungen für ein grosses Problem entwickeln zu können. Hier bei der Nagra arbeite ich an einem konkreten Thema für eines der wichtigsten Projekte des Jahrhunderts in der Schweiz. Ich werde die Eröffnung des Tiefenlagers wahrscheinlich noch miterleben. Das ist superaufregend!

Als Projektmanagerin im Bereich Material Performance muss ich bestimmen, wie viel Gas sich im Tiefenlager dereinst bilden könnte. Das ist wichtig, weil Gas hohen Druck erzeugen kann. Wir müssen nachweisen, dass wir die Gasmenge, die aus den radioaktiven Abfällen und aus Baumaterialien entsteht, genau vorhersagen können. Die grösste Herausforderung liegt darin, so nahe wie möglich an der Realität zu sein und die Prozesse zu verstehen, die sich im Gestein abspielen. Beispielsweise verursacht die Korrosion Wasserstoff, aber es gibt auch Mikroben, die Wasserstoff konsumieren und dadurch den Druck im Tiefenlager reduzieren. Mit unserer Arbeit müssen wir zeigen, dass die Gasentwicklung keine negative Auswirkung auf die Wirksamkeit der Barrieren hat.

Typhaine Guillemot, Projektleiterin Materialverhalten

Die Menschen hinter dem Jahrhundertprojekt


Typhaine kommt aus der Bretagne, hat in Orléans Umweltnaturwissenschaften studiert und an der Université de Bourgogne in Klimawissenschaften doktoriert. Danach war sie als Postdoc an der Eawag und später in einem von der Nagra finanzierten Postdoc-Programm am Paul Scherrer Institut tätig. Wasser ist ihr Element: Sie schwimmt und taucht oft. Um die kulinarische Sehnsucht nach ihrer Heimat zu lindern, bäckt sie viel. In dieser Serie stellen sich die Menschen hinter dem Jahrhundertprojekt gleich selbst vor.

Ein emotionales Thema
Meine Hauptaufgabe besteht darin, jene Prozesse zu bestimmen und besser zu verstehen, die nach dem Verschluss des Tiefenlagers untertage ablaufen und den langfristigen Betrieb beeinflussen könnten. Dafür müssen wir die aktuellen wissenschaftlichen Daten berücksichtigen und aussagekräftige Versuche entwickeln oder weiterbearbeiten. Die Nagra führt Langzeitexperimente in den beiden Felslaboren im Jura (Mont Terri) und im Grimsel durch, ausserdem am Paul Scherrer Institut (PSI) und im Zwischenlager in Würenlingen. Beim PSI arbeitete ich an einem Langzeitprojekt für die Nagra mit.

Heute bin ich nicht mehr «im Feld», sondern manage Projekte mit externen Vertragsnehmenden. Wir skalieren Kurzzeitexperimente in kleinem Massstab möglichst so, dass wir Langzeitvoraussagen treffen können. Wir sprechen hier von einem Zeithorizont von bis zu einer Million Jahren – das ist keine einfache Aufgabe.

Die ganze Thematik der radioaktiven Abfälle ist für manche Leute beängstigend und emotional. Ich bekomme manchmal zu hören, ich müsse wohl Atomkraftbefürworterin sein, weil ich von der Atomindustrie bezahlt werde. Fakt ist: Der Abfall ist nun mal da, und heute wird er an der Oberfläche gelagert. Kurz- und mittelfristig ist er dort sicher. Langfristig, über Tausende von Jahren, ist aber das Tiefenlager die sicherste Lösung. Ich denke, es ist sinnvoll und nachvollziehbar, dass die Verursacher des Atomabfalls auch das Abfallmanagement finanzieren.

Kein abgeschlossener Prozess
An diesem Projekt sind und waren über Generationen hinweg sehr viele Menschen beteiligt, stets dem neuesten Stand der Wissenschaft verpflichtet. Unser Fokus liegt auf der Sicherheit. Für das Rahmenbewilligungsverfahren werden wir beweisen, dass wir ein robustes Konzept haben. Alle arbeiten Seite an Seite aufs gleiche Ziel hin: ein sicheres Tiefenlager zu bauen. Ich bin sehr optimistisch, dass wir auf dem richtigen Weg sind, und stolz darauf, Teil dieses Jahrhundertprojekts zu sein.»

Nagra Geschäftsbericht 2023

Das Portrait ist Teil des Geschäftsberichts 2023. Lesen Sie weitere spannende Geschichten in der vollständigen Ausgabe.

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