Infopavillon Landrat Januar 2023 Opt

Offene Fragen kennen keine Grenzen


Das Schweizer Tiefenlager soll nahe an der Grenze zu Deutschland gebaut werden. Ein enger Austausch zwischen den beiden Ländern ist dabei unabdingbar. Wie kann das gelingen?

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Wo fängt Betroffenheit an und wo hört sie auf? Nicht immer eignen sich die politischen Grenzen, um das zu definieren. Beim Schweizer Tiefenlager in Nördlich Lägern reicht die Betroffenheit bis über den Rhein hinaus, der an dieser Stelle die Grenze zwischen der Schweiz und Deutschland bildet.

Ein enger Austausch zwischen den beiden Ländern ist unabdingbar. Das geschieht zum Beispiel in der Regionalkonferenz. Es gibt aber auch eine «Expertengruppe-Schweizer-Tiefenlager» (ESchT) oder die Deutsche Koordinationsstelle Schweizer Tiefenlager (DKST). Martin Steinebrunner ist seit 2016 Geschäftsführer der DKST. Kürzlich war er erneut zu Gast im Infopavillon in Windlach.

«Hätten wir so nicht erwartet»
Schon im Herbst besuchte Steinebrunner ein erstes Mal den Infopavillon und zeigte sich begeistert: «Einerseits vom Modell. Zum anderen von all den Fragen, die hier gestellt werden.» Besonders die Frage ‘Dürfen wir das?’ hat es ihm angetan. «Ich nehme an, das ist kein Marketing-Gag, sondern beschäftigt die Menschen hier wirklich. Wir hätten das von einer Organisation wie der Nagra so nicht erwartet.»

Modelle und Visualisierungen gab es schon vor dem Standortvorschlag. «Aber immer nur generisch. Nie wusste man, wie es konkret vor Ort aussehen wird.» Das Modell mache das Tiefenlager zum ersten Mal «erfahr- und begreifbar». Das sei eine neue Dimension in diesem Projekt.

All das motivierte ihn, dem Infopavillon einen weiteren Besuch abzustatten und eine eigene Delegation mitzubringen.

Deutschland zu Gast im Infopavillon (v.l.): Sebastian Wilske (Verbandsdirektor Regionalverband Hochrhein-Bodensee), Martin Steinebrunner, Jörg Gantzer (Erster Landesbeamter Landkreis Waldshut) und Landrat Dr. Martin Kistler zusammen mit Philipp Senn und Olivier Moser von der Nagra.

«Es erfordert Respekt»
«Die Emotionen waren mit Händen greifbar», erinnert sich Steinebrunner an eine Infoveranstaltung in Hohentengen im Herbst, kurz nach dem Standortvorschlag. Erst jetzt, da das Projekt konkreter geworden ist, würden sich die Menschen dafür interessieren. Bei den direkt Involvierten gehe das schnell vergessen: «Ich bin schon seit acht Jahren dabei. Wenn man sich damit auseinandersetzt, nimmt man automatisch an, dass das auch andere tun würden.» Diese Selbstverständlichkeit müsse man ablegen.

Was die Involvierten auch wissen: Die Sicherheit hat höchste Priorität. Dies sei schwierig zu erklären, wenn jemand zum ersten Mal von einem Tiefenlager höre. «Sicherheit ist ja nicht plötzlich da», so Steinebrunner, der damit die Aussenperspektive aufzuzeigen versucht. Doch genau dieser Eindruck sei bei einigen Menschen entstanden. «Man muss tagtäglich neu dafür sorgen, dass die Sicherheit gewährleistet ist. Das erfordert Respekt.» Und genau mit diesem Respekt müsse man auch die offenen Fragen adressieren, den Menschen zuhören und Informationen bereitstellen. Wie könnte der Austausch über die Grenze hinweg konkret vonstattengehen? «Zuallererst: Man darf die Meinungen nicht beeinflussen», warnt der DKST-Geschäftsführer. «Man muss den Menschen zeigen, was auf sie zukommt.» Es dürfe auch mal in die Tiefe gehen. «Das technische versteht vielleicht nicht jeder. Aber es ist wichtig zu zeigen, dass das keine triviale Aufgabe ist.»

Lukas Oesch, Leiter Public Affairs bei der Nagra, möchte den grenzübergreifenden Austausch ebenfalls ausbauen: «Auch die Menschen auf der anderen Seite des Rheins sind ein Teil der Region.» Das habe man denjenigen Menschen, die weder Regionalkonferenz noch DKST kennen, noch zu wenig zeigen können. Oesch ist deshalb froh, dass das Projekt seit letztem Herbst mit dem Standortvorschlag fassbarer geworden ist: «Wir können jetzt konkret über das vorliegende Projekt sprechen und nicht mehr nur im Konjunktiv – das hilft uns.»

«Etwas Misstrauen braucht es immer»
Wichtig sei jetzt, so Steinebrunner, Präsenz vor Ort zu markieren. «In kleineren Gruppen, damit die Menschen ihre Fragen stellen können.». Der Anlass in Hohentengen habe gezeigt, dass es sehr viele Fragen gebe. Die können jedoch nicht alle an einem Abend beantwortet werden. Er schlägt zu diesem Zweck vor, dass das Tiefenlager-Modell aus dem Infopavillon den Weg nach Hohentengen findet. Ein Vorschlag, den Lukas Oesch begrüsst: «Eine gute Idee, die ich bereits in die Nagra getragen habe. Wenn wir damit den Menschen, die sich für das Projekt interessieren, etwas näherkommen, dann ist das eine gute Sache.»

Weitere Bestrebungen sind bereits im Gange: «Ein spannendes Erlebnis sind unsere Besuchstage im Felslabor Mont Terri. Bisher hatten wir leider kaum Besucherinnen und Besucher aus Deutschland. Wir sind bestrebt, das zu ändern. Alle sollen die gleiche Möglichkeit haben, um mitzudiskutieren und Fragen zu stellen.»

Alle offenen Fragen zu beantworten sei eine «Daueraufgabe. Man muss oft das gleiche erzählen – aber es ist notwendig», sagt Martin Steinebrunner. Am Ende soll eine gesunde Mischung aus Vertrauen und Misstrauen entstehen. «Etwas Misstrauen braucht es immer. Nur so bleibt man kritisch genug.»

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