Rund 20 Kilometer: Das ist der Abstand zwischen dem geplanten Tor zum Endlager im Zürcher Unterland und dem Kino Cameo in Winterthur. „Ganz in der Nähe“, sagte Filmemacherin Katharina Flieger dort kürzlich auf einem Podium. Sie hat die Filmreihe „Endlagern – Filme zum Atommüll“ mitorganisiert. Aus der vierteiligen Reihe zeigte das Winterthurer Kleinkino am 12. Dezember den Schweizer Dokumentarfilm „Die Reise zum sichersten Ort der Erde“ von Edgar Hagen. Danach fand das Podiumsgespräch statt.
Ist Nördlich Lägern der sicherste Ort der Schweiz, um dort im tiefen Untergrund hoch radioaktive Abfälle für hunderttausende Jahre zu lagern? Diese Frage schwang mit während des 100-minütigen Films. Kein Zufall, die Filmreihe entstand aus aktuellem Anlass: Am 19. November übergab die Nagra dem Bund das sogenannte Rahmenbewilligungsgesuch für ein geologisches Tiefenlager in der Region.
Wo ist die «Toilette»?
China, USA, Frankreich, Grossbritannien, Schweiz, Australien, Deutschland, Schweden oder Japan: Edgar Hagens Filmkamera reist um die Welt auf der Suche nach dem sichersten Ort für Atommüll. Es ist eine Geschichte der Misserfolge, die der Film erzählt. Der Verzögerungen, der Widerstände und Proteste. Und des gescheiterten Versuchs, den unliebsamen Abfall abzuschieben, ins Ausland oder auf den Meeresgrund.
War es nur ein Scheitern oder auch ein Dazulernen? Ob das Glas halb leer oder halb voll ist, hat mit der Erzählweise zu tun. Finnland zum Beispiel kommt in dem gezeigten Film nicht vor. Als erstes Land der Welt beginnt es 2025 mit der Endlagerung hoch radioaktiver Abfälle. Hagen sagt zu Beginn seines Films, dass er den sichersten Ort sehen wolle, die „Toilette für die gewaltige Menge“ an Atommüll. Gegen Ende seiner Reise lässt er die Frage, ob er diesen Ort nun gesehen habe, offen.
Sicherheit sehen? Der Grund für die im Film unbeantwortete Frage hat mit dem zu tun, was auf dem Podium als „mehrfache Unsichtbarkeit“ bezeichnet wurde. Radioaktivität, geologischer Untergrund und Zukunft: Sie alle sind unsichtbar, den menschlichen Augen und Sinnen verborgen. Daraus entstehen Wunsch und Notwendigkeit nach Sichtbarmachung, also nach Visualisierungen. Danach, das Problem des Atommülls und die Entsorgung als Lösung anschaulich und verständlich zu machen. Kommunikation und Kunst versuchen das.
Wie lässt sich Vertrauen schaffen in die Stabilität des unsichtbaren Untergrundes? Mit dieser Frage beschäftigt sich Rony Emmenegger. Als Humangeograf forscht er an der Schnittstelle von Geologie und Gesellschaft. Die Cameo-Filmreihe hat er mitorganisiert.
Geologie und Gesellschaft begegnen sich
Der stabile Opalinuston für die Endlagerung radioaktiver Abfälle ist das eine, das Vertrauen der Gesellschaft in dieses Gestein das andere. Emmenegger sagte auf dem Podium, dass die Kommunikation die Stabilität des Gesteins auch erzeugen wolle. Hagen spricht in seinem Film von Strategien und Marketing, um Sicherheit zu versprechen. Anders ausgedrückt: Die stabilste Geologie nützt nichts, wenn die Gesellschaft kein Vertrauen in das erforschte Gestein hat.
Dank der Bohrkerne, welche die Nagra durch Tiefbohrungen an die Erdoberfläche gezogen hat, könne man nun „dem geologischen Untergrund begegnen“, sagte Emmenegger weiter. So wurde die Geologie ein Stück weniger unsichtbar. Als die Nagra im September 2022 Nördlich Lägern als Standort vorschlug, hielt ihr CEO Matthias Braun an der Medienkonferenz ein Stück Opalinuston in den Händen und sagte: „Die Geologie hat gesprochen.“
Als weiteres Mittel der Veranschaulichung nannte Emmenegger die Führungen im Felslabor Mont Terri, ein „Ort der Kommunikation“. Dort wird im Opalinuston geforscht und experimentiert. Es gehe da nicht nur um reine Wissensvermittlung, sondern auch um Erlebnis, Emotionen und Ästhetik, sagte Emmenegger. Und zur Kunst meinte er: „Sie hat das Potenzial, Debatten anzustossen.“
Die Kommunikation für die Gegenwart ist das eine. Wie aber kommuniziert man in die sehr ferne Zukunft? Etwa darüber, dass im Untergrund stark strahlende Abfälle lagern, dass man da besser nicht in die Tiefe gräbt? Ob mit Worten oder Piktogrammen: Von Menschen fabrizierte Warnhinweise könnten schon nach ein paar tausend Jahren nicht mehr verstanden werden.
Leuchtende Katzen im Haberstal
Mit der Frage der Markierung des Endlagers beschäftigt sich Katharina Flieger in einem Dokumentar-/Animationsfilm, an dem sie derzeit arbeitet – der Arbeitstitel: „Die Strahlenkatzen aus dem Haberstal“. Das Gebiet Haberstal ist der Ort bei Stadel, wo das oberirdische Tor zum Tiefenlager gebaut werden soll.
Das Kommunikationskonzept der Strahlenkatzen stammt aus den 1980er-Jahren. Die Idee: Ins Erbgut von Katzen wird die Fähigkeit eingepflanzt, bei Radioaktivität zu leuchten. Steigt wegen des Atommülls unter den Katzenpfoten die Strahlung gefährlich an, beginnen die Tiere zu leuchten, zu strahlen. Und dass das sichtbare Leuchten der Katzen als Warnhinweis zu verstehen ist, soll wie eine Sage von einer Generation zur nächsten weitererzählt werden.
Zwar habe das Katzenkonzept eine „gewisse Absurdität“, wie Marcel Rickli auf dem Podium einräumte. Der Fotograf beschäftigt sich wie Katharina Flieger auf künstlerische Art mit den Strahlenkatzen. Aber nach über 40 Jahren werde das Konzept noch immer diskutiert. Das Züchten solcher Katzen sei eher unwahrscheinlich, sagte auch Flieger. „Es ist eher eine Metapher, ein Motiv, das Ausstrahlung hat.“ Ein Symbol der Kommunikation also, um die dreifache Unsichtbarkeit zu veranschaulichen – Radioaktivität, Untergrund und Zukunft.
Kino Cameo
Das Winterthurer Kino Cameo zeigt im Dezember 2024 und Januar 2025 folgende fünf Endlager-Filme je zwei Mal:
Into Eternity – A Film for the Future (Michael Madsen, FI/DK/SE 2010)
Der grüne Berg (Fredi M. Murer, CH 1990)
Burial (Emilija Škarnulytė, LT/NO 2022)
Sonne unter Tage (Mareike Bernien und Alex Gerbaulet, D 2022)
Die Reise zum sichersten Ort der Erde (Edgar Hagen, CH 2013)
Der Film „Die Reise zum sichersten Ort der Erde“ wird am Freitag, 27. Dezember, nochmals gezeigt, die beiden Filme „Burial“ und „Sonne unter Tage“ am Montag, 6. Januar 2025.
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