Der Stein ist unscheinbar, kleiner als eine Walnuss. Er stammt aus einem Ort im Schwarzwald, wo bis Anfang der 1990er-Jahre im Granitfels Uranerz abgebaut wurde. Legt man den Geigerzähler auf den Stein, geht ein Alarmton los: Der Messwert steigt etwa auf das 100-Fache der normalen, natürlichen Radioaktivität.
Ein Unbehagen beschleicht einen. Denn man sieht, hört, riecht und schmeckt sie nicht: die ionisierende Strahlung, umgangssprachlich radioaktive Strahlung genannt. Sie entsteht zum Beispiel, wenn radioaktive Atome zerfallen. Kein Wunder also, dass Radioaktivität Angst auslösen kann. Zugleich ist sie weltweit so gut erforscht, dass sicher mit ihr umgegangen werden kann. Und in der Schweiz basiert der gesetzlich vorgeschriebene Strahlenschutz auf einer vorsichtigen Grundannahme.
Diese Annahme basiert auf dem Modell, wonach das Krebsrisiko mit der Strahlendosis steigt. Und zwar linear, das heisst: Eine noch so kleine Dosis kann diesem Modell zufolge Krebs verursachen. Allerdings liegen bis heute keine von internationalen Fachgremien anerkannte Studien vor, die einen solchen Zusammenhang bei niedrigen Dosen wissenschaftlich belegen.
Und trotzdem: Auch der Strahlenschutz in der Schweiz geht von dieser konservativen und somit vorsichtigen Annahme aus. Die verbleibende Ungewissheit wird auf diese Weise abgedeckt – entsprechend streng sind die Grenzwerte.
Klein, aber energiereich
Warum können radioaktive Stoffe die Gesundheit gefährden? Die Atomkerne bestimmter chemischer Elemente sind instabil und zerfallen. Solche Elemente sind also radioaktiv. Dabei senden sie ionisierende Strahlung aus, die aus Teilchen bestehen kann. Diese sind zwar winzig, aber mit sehr hoher Geschwindigkeit unterwegs. Dadurch enthalten sie viel Energie und dringen so in Körperzellen ein, wo sie Schäden verursachen können.
Die Einheit Sievert ist das Mass für die gesundheitliche Belastung durch ionisierende Strahlung. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese natürlichen oder künstlichen Ursprungs ist. Jede Person in der Schweiz wird im Durchschnitt mit etwa 6 Millisievert (mSv) pro Jahr belastet, also 6000 Mikrosievert.
Die Strahlung aus dem Gestein im Untergrund, aus dem Kosmos sowie aus dem eigenen Körper tragen je etwa 0,35 mSv bei. Muskeln zum Beispiel enthalten das Element Kalium, wovon ein sehr kleiner Teil von Natur aus radioaktiv ist. Von medizinischen Behandlungen wie dem Röntgen kommen im Durchschnitt 1,5 mSv hinzu.
Der mit Abstand grösste Anteil stammt jedoch von Radon: etwa 3,3 mSv pro Jahr. Das radioaktive Gas kommt natürlicherweise vor. Es entsteht durch den Zerfall von Uran, das in geringen Mengen im steinigen Untergrund vorhanden ist. Es steigt bis an die Erdoberfläche, wo es in der Luft verdünnt wird. So ist es für die Gesundheit unbedenklich.
Aber: Gelangt Radon aus dem Erdboden über undichte Fundamente in geschlossene Räume, so kann es sich in der Atemluft anreichern. Beim Zerfall von Radon trifft ionisierende Strahlung auf das Gewebe der Lunge. Dabei gilt: Je mehr Radon in der Luft und je länger es eingeatmet wird, desto grösser ist das rechnerische Krebsrisiko.
Auch der Opalinuston strahlt
In der Schweiz müssen die radioaktiven Abfälle in einem geologischen Tiefenlager entsorgt werden. Mit dem Lager im tiefen Untergrund sind Mensch, Umwelt und vor allem das Grundwasser auch langfristig vor radioaktiven Stoffen geschützt.
Das Herzstück des Tiefenlagers ist der Opalinuston. Das dichte Gestein schliesst die strahlenden Abfälle sicher ein. Das Tongestein besteht unter anderem aus verwittertem Granit, der von Natur aus Spuren von Uran enthält. Aus dem Grund ist der Opalinuston selbst leicht radioaktiv.
Das Gesetz schreibt vor, dass das Schweizer Tiefenlager zu einer zusätzlichen Strahlenbelastung von maximal 0,1 mSv führen darf. Die Sicherheitsanalysen der Nagra zeigen allerdings, dass es zu einer solchen Zusatzbelastung bei Weitem nicht kommen würde – trotz konservativer, also besonders vorsichtiger Annahmen.
Zum Vergleich: Im Schweizer Mittelland liegt die natürliche Radioaktivität etwa bei 0,1 Mikrosievert pro Stunde. Dieser ist man ständig ausgesetzt. Nach 10 Stunden erhält man so eine Dosis von 1 Mikrosievert. Etwa die Hälfte davon hat ihren Ursprung im Weltall und wird kosmische Strahlung genannt. Die andere Hälfte, die terrestrische Strahlung, stammt vom Gestein im Untergrund – eben zum Beispiel von uranhaltigem Granit.
Je nach Wohnort kann die Strahlung von oben oder unten unterschiedlich hoch sein. Wer etwa in Davos wohnt, ist einer stärkeren kosmischen Strahlung ausgesetzt als im Mittelland. Denn in der Höhe ist die schützende Schicht der Atmosphäre dünner.
Locarno im Tessin zum Beispiel ist auf uranhaltigem Gneis gebaut. Daher ist die Strahlung dort um etwa 50 Prozent höher als beispielsweise in Zürich. Hochgerechnet auf ein Jahr hat das eine um rund 0,5 mSv erhöhte Strahlenbelastung zur Folge. Das entspricht dem Fünffachen der gesetzlichen Vorgabe für das geologische Tiefenlager.