In Kanada haben sich Gemeinden um ein Endlager beworben – eine hat jetzt den Zuschlag erhalten


Die Gemeinde Ignace und die Wabigoon Lake Ojibway Nation sollen das kanadische Tiefenlager beheimaten. Beide Kommunen haben ihre Bereitschaft für das Projekt signalisiert.

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«So sieht es aus, wenn man Geschichte schreibt», verkündete Laurie Swami, Präsidentin und CEO der kanadischen Nuclear Waste Management Organization (NWMO): Die Wabigoon Lake Ojibway Nation und die Gemeinde Ignace in der Provinz Ontario wurden als Standort für Kanadas Tiefenlager ausgewählt. «Dieses Projekt wird ein Umweltproblem lösen und Kanadas Klimaziele unterstützen.»

Die Gemeinde Ignace hatte bereits im Juli ihre Zustimmung zum Atommülllager signalisiert. Im November gab es nun auch grünes Licht von der Wabigoon Lake Ojibway Nation, eine indigene Gemeinschaft, die seit Jahrhunderten in Nordwest-Ontario lebt.

Die ausgewählte Region liegt zwischen Thunder Bay am Lake Superior und Winnipeg, der Provinzhauptstadt Manitobas.

Sicherheit und Gemeinschaft als Grundpfeiler

Die Wahl des Standorts basiert auf einem partizipativen Ansatz, der im Jahr 2010 lanciert wurde. Die Grundpfeiler für das Verfahren bilden zwei Bedingungen: Einerseits muss der Standort strenge Sicherheitsstandards erfüllen, andererseits mussten informierte und gewillte Gastgeber gefunden werden.

«Wir sehen unsere Rolle als potenzieller Gastgeber für Kanadas nuklearen Abfall als eine der wichtigsten Verantwortungen unserer Zeit», sagte Chief Clayton Wetelainen von der Wabigoon Lake Ojibway Nation (WLON). «Diese Herausforderung können wir nicht ignorieren und zukünftigen Generationen überlassen.»

Die WLON betonte weiter, dass das Projekt nur fortgesetzt werde, wenn nachgewiesen sei, dass das Tiefenlager sicher gebaut werden kann und sowohl die Umwelt als auch die Werte ihrer traditionellen Kultur respektiert werden.

Kim Baigrie, Bürgermeisterin von Ignace, sieht in dem Projekt eine Möglichkeit, «die Region und den künftigen Wohlstand des gesamten Nordwestens von Ontario zu stärken. Die Gemeinde Ignace fühlt sich geehrt und ist hocherfreut.»

Kanadisches Verfahren setzt auf Initiative der Gemeinden

In ihrem Verfahren hatte die NWMO nur Gebiete berücksichtigt, in denen mindestens eine Gemeinde proaktiv Interesse am Projekt signalisierte. Eine weitere Bedingung war die lokale Zusammenarbeit zwischen politischen Gemeinden und indigener Gemeinschaften.

Von ursprünglich 22 Gemeinden hat die NWMO ihren Fokus schrittweise eingeengt, unter anderem anhand zunehmend detaillierter Untersuchungen. Beispielsweise wurden genauso wie in der Schweiz Tiefbohrungen durchgeführt.

Schliesslich verblieben South Bruce (liegt rund 170 Kilometer westlich von Toronto) und Ignace als mögliche Standorte im Verfahren. Beide Gebiete eignen sich geologisch, um ein sicheres Tiefenlager zu bauen.

Nun ist der Entscheid der NWMO also gefallen: Die Menschen in den ausgewählten Gastgebergemeinden hätten ihre Bereitschaft gezeigt, den Prozess weiter voranzutreiben. Anfang November bestätigte die WLON ihre Zustimmung. Die Gemeinde Ignace stimmte dem Vorhaben bereits im Juli zu.

«Dieses Projekt wird ein Umweltproblem lösen und Kanadas Klimaziele unterstützen": Laurie Swami, Präsidentin und CEO sowie Chris Boyle, Vizepräsident und Chefingenieur der kanadischen NWMO.

Umfassende Prüfung

Mit der Entscheidung der NWMO hat Kanada einen wichtigen Meilenstein erreicht. Das Projekt geht nun in die Bewilligungsphase. Es steht vor der vermutlich umfassendsten Umweltverträglichkeitsprüfung in der kanadischen Geschichte und wird nebst den kanadischen Regulierungsbehörden auch von der WLON-Regulierungsstelle überwacht.

Der Bau des Tiefenlagers könnte in den 2030er-Jahren beginnen. Das Lager soll rund 500 Meter unter der Erde in Kristallingestein entstehen.

Ähnlich wie in der Schweiz zeigt dieser Prozess, dass die sichere Entsorgung radioaktiver Abfälle eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe bleibt, die Transparenz, Zusammenarbeit und eine breite Debatte erfordert.

Vergleich Schweiz-Kanada

Gemeinsamkeiten und Unterschiede


Sowohl Kanada als auch die Schweiz streben eine sichere, langfristige Lösung für die Entsorgung radioaktiver Abfälle mit hohen Umweltstandards an. Dennoch unterscheiden sich die Verfahren der beiden Länder in einigen Aspekten.

Gemeinsamkeiten:

  • Fokus auf Sicherheit: Beide Länder legen grossen Wert auf strenge Sicherheits- und Umweltstandards.
  • Einbindung der Öffentlichkeit: In beiden Ländern wird die Bevölkerung aktiv in den Entscheidungsprozess einbezogen.
  • Langfristige Perspektive: Ziel ist es, eine langfristige Lösung zu finden, das Problem nicht den künftigen Generationen in die Schuhe schiebt.
  • Design des Tiefenlagers: Beide Projekte setzen auf eine Reihe von technischen und natürlichen Barrieren, die zusammenarbeiten, um die radioaktiven Abfälle zurückzuhalten.

Unterschiede:

  • Ansatz zur Partizipation: Kanada setzt stark auf die Zustimmung der betroffenen Gemeinden und indigener Gemeinschaften. In der Schweiz spielt die direkte Demokratie mit Referendumsoption eine zentrale Rolle.
  • Struktur des Verfahrens: In der Schweiz wurde schrittweise nach dem geologisch sichersten Standort gesucht. Dies geschah in einem klar definierten Prozess mit drei Etappen. In Kanada dagegen wurden nur Gebiete berücksichtigt, in denen mindestens eine Gemeinde Interesse am Projekt bekundete.
  • Entscheidungsträger: In Kanada sind Gemeinden aktive Mitentscheider. In der Schweiz liegt die endgültige Entscheidung bei Bundesrat, Parlament und, im Falle eines Referendums, beim Stimmvolk.

Titelbild: shutterstock/Montage

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