Technischer Bericht NTB 84-38

Sondierbohrung Leuggern Arbeitsprogramm

Die Nagra führt in der Nordschweiz ein umfassendes geologisches Untersuchungsprogramm durch mit dem Ziel, die erdwissenschaftlichen Erkenntnisse zu beschaffen, welche notwendig sind, um die Eignung des Untergrundes zur Endlagerung hochradioaktiver Abfälle beurteilen zu können. Die vielfältigen Untersuchungen gliedern sich in ein Tiefbohrprogramm, eine flächenhafte geophysikalische Erkundung der Gesteins- und Strukturverhältnisse, ein hydrogeologisches Untersuchungsprogramm zur Abklärung der Wasserfliesswege im tiefen Untergrund und ein neotektonisches Untersuchungsprogramm zur Erkennung aktiver Erdkrustenbewegungen im Untersuchungsgebiet.

Am 24. Juni 1980 sind von der Nagra 12 Gesuche für Sondierbohrungen dem Eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement eingereicht worden. Diese Tiefbohrungen sollen die geologischen Verhältnisse im Grundgebirge und seiner Sedimentbedeckung in einem rund 1200 km2 grossen Gebiet der Nordschweiz erkunden. Zusätzlich sollen sie im weiteren regionalen Rahmen hydrodynamische und geochemische Daten liefern für den Bau eines mathematischen Modells der hydrogeologischen Verhältnisse zwischen der Nordabdachung der Alpen im Bereich der Zentral- und Ostschweiz und dem Schwarzwaldmassiv.

Nachdem der Bundesrat am 17. Februar 1982 für 11 der 12 Sondiergesuche die Bewilligung erteilt hat, konnte die Bohrkampagne im Oktober 1982 mit der Sondierbohrung Böttstein beginnen, welche zur Zeit in der Beobachtungsphase steht.

Die zweite Sondierbohrung Weiach startete im Januar 1983 und wird demnächst in die Beobachtungsphase eintreten. Die dritte Sondierbohrung Riniken begann im Juni 1983. Bei einer Bohrtiefe von 1800.50 m wurden die Bohrarbeiten vorerst eingestellt.

Die vierte Sondierbohrung Schafisheim (Beginn 26.11.1983) sowie die fünfte Bohrung Kaisten (Beginn 13.2.1984) haben ihre Endtiefe bei 2006 m respektive 1306 m erreicht.

Die Sondierbohrung Leuggern (K6) mit den Koordinaten 657'633.9/ 271' 207.9 und einer Höhe von 358.8 m ü. M. befindet sich südwestlich des Aare-Rheinzusammenflusses im Tafeljura am Südrand des Schwarzwaldmassivs.

Nach geologischer Prognose wird die Bohrung Leuggern unter den 49 m mächtigen Lockergesteinsschichten die Sedimente des Muschelkalks und des Buntsandsteins durchteufen. Die Schichten fallen mit ca. 3 – 4° gegen Süden ein. Die Kristallinoberfläche wird in einer Teufe von ca. 250 – 260 m erwartet. Es ist vorgesehen, das Kristallin vertikal über eine Strecke von minimal 1000 m zu durchbohren.

Das vorliegende Arbeitsprogramm gliedert sich, nach Voranstellung der von den Behörden erlassenen Auflagen, in einen bohrtechnischen und einen erdwissenschaftlichen Teil.

Der bohrtechnische Teil enthält detaillierte Vorschriften an die Bohrfirma, einerseits zum technischen Vortrieb der Tiefbohrung durch die prognostizierte Gesteinsfolge auf die verlangte Endteufe, andererseits über die zu verwendenden Geräte und Materialien wie Blowout Preventer, Rohrstränge, Bohrlochgarnituren, Spülungschemikalien und Zementqualitäten.

Diese Vorschriften und Spezifikationen sind im Rahmen der technischen Kapazität der zum Einsatz kommenden vollelektrischen Bohranlage auf die vielfältigen Anforderungen des geplanten Kern-, Mess- und Testprogramms abgestimmt.

Tabelle 1 gibt einen Überblick des erdwissenschaftlichen Teils des Arbeitsprogramms. Es ist auch für Leuggern als sechste Bohrung der Tiefbohrkampagne sehr umfangreich und vielfältig, damit es allen geologisch denkbaren Untergrundverhältnissen, besonders im Kristallinbereich, zu genügen vermag.

Es ist vorgesehen, die ganze Strecke des Kristallins und der Sedimente zu kernen. Da die Bohrkerne mit Hilfe des Sonic Televiewer-Logs räumlich orientiert werden, wird dies, neben der lithologisch-sedimentologischen Analyse der möglichen Barrieren- und Wirtgesteine, die vollständige Erfassung der petrographischen Eigenschaften des potentiellen kristallinen Wirtgesteins im Bohrlochbereich und seiner die Wasserwegsamkeit weitgehend bestimmenden Kluftsysteme erlauben.

Ein umfangreiches Programm geophysikalischer Bohrlochmessungen wird die Ergebnisse der Kernanalysen verifizieren und mit zusätzlichen Daten ergänzen. Durch verschiedenartige Mess-Sonden werden Bohrlochlogs aufgenommen, aus denen sich eine Reihe für die Beschreibung des durchbohrten Gebirges wichtiger Parameter berechnen lassen. Eine erste Gruppe von Logs hat zum Ziel, die Gesteine petrographisch zu identifizieren und poröse, d.h. kohlenwasserstoff- oder wasserführende Zonen aufzuzeigen. Eine zweite Gruppe liefert u. a. Angaben über den Grad der Poren- bzw. Kluftfüllung, die Gesteinsdichte und -temperatur, die natürliche Gamma-Strahlung und die den seismischen Wellengeschwindigkeiten zugrunde liegenden Elastizitätsmodule. Wieder andere Sonden messen Streichen und Fallen von Schicht- und Kluftflächen. Eine weitere Gruppe beschafft Angaben über Durchmesser und Abweichungen des Bohrlochs, Güte der Verrohrungszementation und Lage der Verrohrungsmuffen. Schliesslich werden durch Geophon-Versenkmessungen die Geschwindigkeiten seismischer Laufzeiten ermittelt, welche erlauben, die Tiefengenauigkeit der ausgewerteten reflexionsseismischen Profile des regionalen Messnetzes der Nagra wesentlich zu verbessern.

Durch zahlreiche Tests mit verschiedenartigen Methoden, reichend von Förderversuchen im Buntsandstein- und Muschelkalk­Aqufer bis zu markierten Pumpversuchen in gering durchlässigen Kristallinstrecken, sollen die hydraulischen Verhältnisse der Tiefengrundwässer erkundet werden. Es ist geplant, die bei den Tests anfallenden Wasserproben physikalisch-chemisch im Detail zu analysieren und ihren Isotopengehalt zur Abschätzung des Alters der Wässer und deren Residenzzeit in den durchwanderten Gesteinen zu ermitteln.

Das Untersuchungsprogramm wird abgerundet durch felsmechanische und geotechnische Laborexperimente an ausgewählten Bohrkernen zwecks Beschaffung der für den Schacht- und Kavernenbau eines Endlagers benötigten Kennwerte.

Nach Abschluss der Bohr- und Testphase und vor der endgültigen Verfüllung des Bohrlochs wird eine mindestens einjährige Beobachtungsphase folgen zur Überwachung von Druckschwankungen der Tiefengrundwässer und nötigenfalls zu weiteren Wasser­ probenentnahmen aus der Kristallinstrecke durch Langzeit-Fördertests. Die Dauer der Beobachtungsphase richtet sich nach den während der Bohr- und Testphase angetroffenen hydrogeologischen Gegebenheiten sowie nach den Erfahrungen während der Beobachtungsphase in bereits abgeteuften Nagra-Bohrungen.

Der Zeitbedarf der Feldarbeiten, von der Bohrphase bis zum Beginn der Beobachtungsphase wird für die Sondierbohrung Leuggern auf 8 bis 13 1/2 Monate veranschlagt.