Technischer Bericht NTB 80-01

Projektstudie für die Endlagerung radioaktiver Abfälle mittlerer Toxizität (schwach- und mittelaktive Abfälle) in geologischen Formationen

Der vorliegende Bericht wurde mit dem Zweck erarbeitet, Möglichkeiten der bau- und betriebstechnischen Machbarkeit einer Endlagerstätte für schwach- und mittelaktive Abfälle sowie die massgeblichen Schritte für deren Realisierung aufzuzeigen. Dieser Bericht stellt die Zusammenfassung einer von der Nagra in Auftrag gegebenen Projektstudie dar, mit dem Ziel, eine breitere Öffentlichkeit über die technische Konzeption eines Endlagers zu orientieren.

Besonderes Gewicht wurde auf die Bearbeitung der einzelnen Systemelemente eines Lagerkonzeptes während der Bau-, Einlagerungs- bzw. Betriebs- und Versiegelungsphase gelegt.

Die wesentlichste Grundlage für die Bearbeitung der Projektstudie bilden dabei Herkunft, Zusammensetzung und Menge der einzulagernden Abfälle. Die in diesem Bericht erläuterte Endlagerstätte ist zur Aufnahme der folgenden schwach­ und mittelaktiven Abfälle in verfestigter Form vorgesehen:

  • Abfälle aus dem Kernkraftwerksbetrieb
  • Sekundärabfälle aus der Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen
  • Abfälle aus der Stilllegung von Kernkraftwerken
  • Abfälle aus Forschung, Medizin und Industrie

Die Lagerung abgebrannter Brennelemente aus Kernkraftwerken und Forschungsreaktoren bzw. der hochaktiven Abfälle aus der Wiederaufarbeitung sind nicht Gegenstand dieser Projektstudie. Ebenfalls ausgeklammert ist die Lagerung von Abfällen mit kurzer Isolationszeit. Diese Abfallkategorien sind Gegenstand weiterer Projektstudien der Nagra.

Ausgehend von einer 40jährigen Betriebszeit von 8 schweizerischen Kernkraftwerken mit insgesamt 6000 MWe Leistung sowie den über diesen Zeitraum anfallenden übrigen Abfällen, sind gesamthaft 300000 Fässer à 200 I Inhalt an schwachaktiven und 90000 Fässer an mittelaktiven Abfällen der Endlagerung in diesem Lagertyp zuzuführen.

Die in Kap. 2 formulierten Grundannahmen und Anforderungen bezüglich Abfallspezifikationen, Mengengerüst, Sicherheit, Geologie und Standort wurden durch die Nagra als Modellannahmen vorgegeben und teils mit der Nagra zusammen erarbeitet. Alle weiteren Schritte bei der Bearbeitung der Projektstudie basieren auf diesen Grundannahmen sowie auf abgeleiteten Annahmen bzw. Anforderungen und auf Konsequenzen, die sich aus der Gesamtheit dieser Annahmen ergeben.

In Ergänzung zu den Grundannahmen werden in Kapitel 3 die wichtigsten strahlenschutztechnischen und betrieblichen Aspekte festgelegt. Der Zonenplan zeigt die Raum-, Zonentyp- und Gebietseinteilung mit ihren betrieblichen Konsequenzen auf Zugänge, Lüftungsauslegung und Arbeitsbedingun­gen. Die zu erwartenden Ortsdosisleistungen sowie die Strahlenbelastung des Betriebspersonals werden abgeschätzt. Im weiteren werden die für einen rationellen Betriebsablauf notwendigen Handhabungsschritte gezeigt, die funktionellen und betrieblichen Anforderungen definiert und für die wich­tigsten Räumlichkeiten des Endlagers die erforderlichen Planungs- und Auslegungskriterien aufgestellt.

Kapitel 4 enthält die grundsätzlichen Überlegungen und Bewertungen betr. Eignung von Tunnel, Kaverne und Schacht als Endlagerzonen für radioaktive Abfälle. Diese drei Bauformen werden in Bezug auf die generelle Auslegung der Endlagerzone sowie auf bautechnische, funktionelle und betriebliche Aspekte behandelt. Überlegungen zur Endlagerung von Spezialabfällen sowie zusammenfassende Betrachtungen über die Rückholbarkeit mittelaktiver Abfälle bilden den Schluss dieses Kapitels.

Der Bau und die Ausrüstung der beiden Erschliessungsschächte werden im Kapitel 5 behandelt.

Aufbauend auf den definierten Kriterien für das Betriebskonzept, wird in Kapitel 6 das Raumprogramm sowohl des Betriebsgebäudes als auch der Endlagerbereiche erläutert.

Ausgehend vorn Barrierenprinzip, wird im Kapitel 7 dargelegt, wie die Endlagerzonen ausgekleidet und gesichert werden können. Eng mit der Auskleidung verflochten ist die Frage der Wasserisolation, für deren Ausbildung verschiedene Varianten zur Verfügung stehen. Ein Überblick über den Zweck, die Anforderungen an das Verfüllmaterial und die Verfülltechniken leitet über zur Beurteilung möglicher Verfüllmaterialien. Überlegungen über die schrittweise Versiegelung einzelner Teile des Endlagers bis zur Versiegelung des letzten Zugangsschachtes runden das Kapitel 7 ab.

Die in Kapitel 8 enthaltenen Betrachtungen von Störfällen während der Betriebsphase der unterirdischen Anlage umfassen die nachfolgenden Ereignisse:

  • Wassereinbruch, Wassereintritt aus Klüften, Schichtflächen oder durch Poren
  • Niederbrüche, Einsturz von Teilen des Lagers
  • Brände
  • mechanische Beschädigung der Abfälle (Umkippen, Absturz von Fässern)
  • chemische Reaktionen (Gasbildung)
  • Wärmestau
  • Bildung von Erdgasen (Methangas)

Der Wassereinbruch oder generell der Kontakt von Abfällen mit eingedrungenem Wasser während der Betriebsphase zählt dadurch zu den wichtigsten in Betracht zu ziehenden Störfällen, da am ehesten eine Aktivitätsfreisetzung im Lager erfolgen könnte. Während mechanische Beschädigungen von Abfällen lediglich zu lokalen Kontaminationen mit begrenzten Auswirkungen führen, könnten bei Bränden, namentlich in unverfüllten Endlagerzonen, Schäden grösseren Ausmasses entstehen. Mittels Begrenzung der spez. Aktivität sowie spez. Massnahmen bezüglich Belüftung kann der Bildung von Gasgemischen aus chem. Reaktionen (Radiolysegasbildung) entgegengewirkt werden.

In Kapitel 9 wird eine nach einem Matrixsystem aufgebaute Gesamtanlage erläutert. Dabei wird die Synthese einzelner Anlageteile zu einer Gesamtanlage vorgenommen und gezeigt, dass zweckmässige Lösungen für die gestellten Aufgaben zur Verfügung stehen. Das betrachtete Gesamtkonzept erlaubt eine zusammenhängende Beschreibung der Bau- und vor allem der Betriebsabläufe vom Baubeginn bis zur Versiegelung der Anlage.

Dazu wird ein Beispiel für den Aufbau eines Terminplans (Balkendiagramm) für den Bau der ersten Etappe des Endlagers skizziert. Die Hauptbauarbeiten inkl. elektromechanischer Ausrüstung lassen sich nach dem erstellten Terminprogramm in rund 4 Baujahren abwickeln. Die aus verschiedenen Gründen in 2 Etappen à 20 Betriebsjahre vorgesehene Gesamtanlage erlaubt durch das Vorhandensein von zwei Schächten nicht nur eine kürzere Bauzeit der Anlage, sondern danach auch eine einfache, schnelle und sichere Einlagerung der Abfälle.

Die Gesamtkosten, eingerechnet die kapitalisierten Betriebskosten der Anlage für beide Etappen (Inbetriebnahme Anfang 1992), können aus heutiger Sicht mit 450 bis 500 Mio Franken angegeben werden.

Unter Berücksichtigung von Bauteuerung, Erschliessung, Sondierungen etc. lassen sich aus dieser Kostenschätzung die spez. Einlagerungskosten, bestehend aus Raumkosten und Betriebsaufwand, abschätzen.

Als Schlussfolgerungen lassen sich die wesentlichsten Aussagen der Projektstudie PI wie folgt zusammenfassen:

  • Die bau- und betriebliche Realisierbarkeit einer Endlagerstätte zur Aufnahme von 400000 Fässern schwach- und mittelaktiver Abfälle gilt nach dem heutigen Stand der Technik als erwiesen.
  • Weder die erforderliche horizontale noch die vertikale Ausdehnung der Endlagerstätte stellen Anforderungen dar, welche nicht durch verschiedene Wirtgesteinsformationen erfüllt werden könnten.
  • Alle 3 untersuchten Grundformen (Tunnel, Kaverne, Schacht) kommen für die Konzipierung von Endlagerstätten in Frage, und es gibt Lösungen, um das Personal optimal zu schützen.
  • Namentlich aus Sicherheitsgründen wird vorgeschlagen, die Einlagerungsstrategie so zu wählen, dass die Einlagerungszonen schrittweise verfüllt werden.
  • Der Bau und die Ausrüstung der gesamten Anlage bieten keine besonderen Schwierigkeiten. Erhöhte bautechnische Anforderungen würden Zonen mit grossem Wasserandrang bzw. Druck und gleichzeitigem Auftreten von wenig standfestem Gebirge bzw. Lockergestein stellen. Mit solchen Zonen wäre nur im Bereich der Zugänge zu rechnen, nicht aber in der Endlagerzone.
  • Die weitergehende Behandlung der bautechnischen und betrieblichen Fragen kann nur standortbezogen sinnvoll durchgeführt werden.
  • Für die Wasserisolation, Verfüllung und Versiegelung der Endlagerstätte sind technisch durchführbare Lösungen vorhanden. Eine fundierte Beurteilung der gesamten Schutzwirkung der künstlichen Barrieren ist jedoch erst nach Abschluss weiterer vertiefter Studien möglich.
  • Eine wichtige Aufgabe besteht in der Formulierung bzw. der weiteren Präzisierung von Anforderungen an die künstlichen Barrieren im Rahmen einer umfassenden Sicherheits- und Risikoanalyse.