Technischer Bericht NTB 99-08

Geologische Entwicklung der Nordschweiz, Neotektonik und Langzeitszenarien Zürcher Weinland

Die Nagra untersucht im Zürcher Weinland im Rahmen des Entsorgungsnachweises den Opalinuston als potenzielles Wirtgestein für ein geologisches Tiefenlager für hochaktive und langlebige mittelaktive Abfälle (BE/HAA/LMA). Die Bearbeitung von geologischen Langzeitszenarien bezieht sich auf einen Zeithorizont von einer Million Jahren. Sie soll zeigen, inwieweit das Wirtgestein und die umgebenden Rahmengesteine ihre Schutzfunktionen für ein geologisches Tiefenlager gewährleisten können. Die daraus abgeleiteten Kenntnisse und Daten bilden eine wichtige Grundlage für die Sicherheitsanalyse. Als Basis dienten der gesamte bisher erarbeitete Geodatensatz Nordschweiz sowie speziell neue Kenntnisse über die Verhältnisse in der Nordostschweiz. Es wurden alle nach derzeitigem Kenntnisstand relevanten Prozesse und Ereignisse berücksichtigt, welche die zukünftige geologische Entwicklung des Zürcher Weinlands beeinflussen könnten. Die geologischen Rekonstruktionen, die auf teilweise voneinander unabhängigen Daten und Methoden beruhen, vermitteln für den Zeitraum der letzten 10 Millionen Jahre ein relativ konsistentes Bild über die endogene Dynamik der Nordschweiz und ihrer Umgebung.

Aus diesen umfassenden Kenntnissen über die regionale Geologie und Tektonik wurde zusammen mit den Daten der neotektonischen Analysen ein regionales geodynamisches Konzept abgeleitet, das die rezenten und damit auch die unmittelbare geologische Zukunft bestimmenden Prozesse und Strukturen aufzeigen soll. Die weitere geologische Entwicklung über den Zeitraum von etwa einer Million Jahren kann auf dieser Basis mit begründeten Annahmen in denkbaren Szenarien aufgezeigt werden. Im Hinblick auf die Sicherheit eines Tiefenlagers ergeben sich daraus folgende Erkenntnisse:

  1. In weiten Bereichen der Nordschweiz und insbesondere im Zürcher Weinland verblieb die Formation des Opalinustons seit ihrer Entstehung vor 180 Millionen Jahren bis heute in weitgehend ungestörter Lagerung.
  2. Die einzige grössere Störungszone, die das gesamte Deckgebirge des Zürcher Weinlands versetzt, ist die entlang der Nordostbegrenzung des 3D-seismischen Messgebiets verlaufende Neuhauser Störung.
  3. Die Entstehung neuer Störungszonen kann im Zürcher Weinland praktisch ausgeschlossen werden.
  4. Empirische Untersuchungen an Untertagebauten in Erdbebengebieten zeigen, dass die Untertageschäden im Vergleich zu den Schäden an der Oberfläche mit zunehmender Tiefe rasch abnehmen. Im Bereich der vorgesehenen Lagertiefe von 650 m unter der Erdoberfläche sind sie auch bei grösseren seismischen Ereignissen praktisch bedeutungslos. Deshalb werden keine sicherheitsrelevanten Auswirkungen durch Erdbeben auf ein geologisches Tiefenlager im Opalinuston erwartet.
  5. Aufgrund der tektonischen Situation und mangels geothermischer Anzeichen (Anomalien) ist eine Beeinträchtigung der geologischen Barrieren durch magmatische Intrusion oder Vulkanismus nicht zu erwarten.
  6. Basierend auf den Daten der verschiedenen Quellen (Geomorphologie, Versenkungs- und Hebungsgeschichte, Geodäsie) wird die langfristige Hebungsrate im Zürcher Weinland auf maximal 0.1 mm/a, resp. 100 m/Ma geschätzt. Es wird angenommen, dass die lineare Erosion mit der Hebung Schritt hält, also ebenfalls 0.1 mm/a beträgt. Durch die Tieferlegung der Erosionsbasis des Rheins bis zum Erreichen des Gleichgewichts könnten insgesamt bis zu 100 m zusätzlich erodiert werden. In einer Million Jahre beträgt die Überdeckung eines in 650 m Tiefe angelegten Lagers somit noch mindestens 450 m.
  7. Zukünftige Gletschervorstösse werden dem heute existierenden Talnetz folgen; der glaziale Abtrag entlang der Haupttäler hält mit der regionalen und lokalen Hebung Schritt, bewegt sich also in der gleichen Grössenordnung wie die lineare Erosion. Die seitlichen Höhenzüge bleiben weitgehend erhalten und die glaziale Tiefenerosion bleibt auf bereits bestehende übertiefte Rinnen beschränkt. Es ist zu erwarten, dass die Malmkalke aufgrund ihrer Erosionsresistenz einen 'Schutzdeckel' in Form einer topographischen Erhöhung bilden. Dies wird jedoch bei der Abschätzung der Erosionsraten pessimistischerweise nicht berücksichtigt.