Technischer Bericht NTB 92-02
Nukleare Entsorgung SchweizKonzept und Realisierungsplan
In der Schweiz sind die Verursacher radioaktiver Abfälle für deren Entsorgung verantwortlich. Das Gesetz schreibt die dauernde und sichere Entsorgung der Abfälle durch Endlagerung vor. Zur Wahrnehmung dieser Aufgabe haben die Elektrizitätsgesellschaften, welche Kernkraftwerke betreiben, sowie die Schweizerische Eidgenossenschaft - zuständig für die radioaktiven Abfälle aus Medizin, Industrie und Forschung - im Jahre 1972 die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) gegründet. Die Nagra ist für die Endlagerung und die damit verbundenen Forschungs- und Projektierungsarbeiten verantwortlich; weitere Arbeiten der Entsorgung, wie die Konditionierung und Zwischenlagerung der Abfälle, werden durch die einzelnen Verursacher oder durch von diesen gebildete, zweckgerichtete Organisationen ausgeführt.
Ein erstes Konzept für die nukleare Entsorgung in der Schweiz wurde im Jahre 1978 vorgestellt [6]. Mit dem Entsorgungskonzept wollte die Elektrizitätswirtschaft noch vor dem Erlass der detaillierteren gesetzlichen Bestimmungen den Behörden, den Politikern und der Öffentlichkeit ihre Grundvorstellungen und Pläne über die Verwirklichung der nuklearen Entsorgung in der Schweiz umfassend darlegen und begründen. Das Konzept erfuhr in der Folge diverse Präzisierungen und Anpassungen an die technische Entwicklung und an neue Erkenntnisse. Es wurde zunächst im sogenannten Zwischenbericht der Nagra 1983 [7] dokumentiert, ausführlicher dann im Zusammenhang mit dem Projekt Gewähr 1985 ([2], [8]).
Seit der Veröffentlichung der Berichte zum Projekt Gewähr 1985 sind mehrere Jahre vergangen. In der Zwischenzeit hat im Jahre 1988 der Bundesrat seinen Entscheid zu diesem Projekt getroffen. Ausserdem sind seither – zum Teil auch aufgrund des bundesrätlichen Entscheids – einige wichtige konzeptionelle Festlegungen erfolgt und entscheidende Schritte zur Realisierung unternommen worden. Dies bietet einen willkommenen Anlass, das nukleare Entsorgungskonzept auf den neuesten Stand zu bringen und zusammenfassend festzuhalten.
Der vorliegende Bericht diskutiert zunächst einige grundsätzliche Aspekte der nuklearen Entsorgung, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sowie technische, wirtschaftliche und organisatorische Einflussfaktoren. Anschliessend wird das Konzept in seiner Gesamtheit und bezüglich der beiden Entsorgungswege für kurzlebige sowie für hochaktive und langlebige mittelaktive Abfälle resp. abgebrannte Brennelemente vorgestellt. Der Stand der entsprechenden Arbeiten wird aufgezeigt und das weitere Vorgehen sowie die angestrebten Ziele und Termine werden dargestellt.
Das Konzept sieht im Einklang mit dem internationalen Stand der Technik und Wissenschaft vor, die radioaktiven Abfälle durch Endlagerung in geologischen Formationen zu beseitigen. Die Abfälle werden dabei vom menschlichen Lebensraum durch eine Reihe von technischen und natürlichen Sicherheitsbarrieren isoliert. Als das oberste Gebot der Endlagerung wird die Gewährleistung der Langzeitsicherheit nach dem definitiven Lagerverschluss verstanden. Massnahmen zugunsten anderer Kriterien (z. B. der Kontrollierbarkeit) dürfen die Langzeitsicherheit nicht beeinträchtigen.
Gemäss Konzept werden abgebrannte Brennelemente im Ausland wiederaufgearbeitet, die resultierenden Abfälle werden in die Schweiz zurückgenommen. Gleichzeitig wird die Option der direkten Beseitigung nicht wiederaufgearbeiteter Brennelemente offengehalten und in der Endlagerplanung berücksichtigt.
Vorgesehen sind zwei Endlagertypen:
- Endlager für kurzlebige schwach- und mittelaktive Abfälle vor allem aus dem Betrieb und Abbruch der schweizerischen Kernkraftwerke sowie aus Medizin. Industrie und Forschung. Das Endlager soll als ein bergmännisch erstelltes System von horizontal zugänglichen Kavernen realisiert werden. Die Anlage muss auch ohne Überwachung langfristig sicher sein. Zusätzlich werden aber Kontrollmöglichkeiten vorgesehen, welche so lange wirksam bleiben, als der Zugangsstollen offen bleibt.
- Endlager für hochaktive und langlebige mittelaktive Abfälle aus der Wiederaufarbeitung des Kernbrennstoffs im Ausland sowie für die direkte Beseitigung abgebrannter Brennelemente ohne Wiederaufarbeitung. Das Endlager soll in tiefen geologischen Formationen angelegt werden, als ein Stollensystem mit Zugang über einen Schacht oder eine Rampe. Als Wirtgesteine werden Kristallingesteine und Sedimentgesteine (Opalinuston und Untere Süsswassermolasse) in Betracht gezogen. Neben der Entsorgungslösung in der Schweiz wird die Option einer Endlagerung im Rahmen internationaler Projekte offengehalten.
Hochaktive Abfälle bzw. abgebrannte Brennelemente werden zum Abklingen ihrer Wärmeproduktion vor der Endlagerung rund 40 Jahre zwischengelagert. Der Bereitstellung eines entsprechenden zentralen Zwischenlagers kommt hohe Priorität zu. Das Endlager wird andererseits wegen der notwendigen Zwischenlagerung später, frühestens ab dem Jahr 2020, benötigt. Kurzlebige Abfälle dagegen liegen bereits heute in endlagerfähiger Form vor und die Bereitstellung eines Endlagers für diese Abfallkategorie ist zeitlich dringlicher.
Im Konzept und Realisierungsplan 1992 werden folgende Prioritäten und Zieltermine festgelegt:
- Die erste Priorität erhält die Realisierung zentraler Zwischenlagerkapazitäten für Abfälle aus Medizin, Industrie und Forschung (Bundeszwischenlager BZL) und für Abfälle aus der Kernenergienutzung (ZWILAG). Im Hinblick auf die Mitte der neunziger Jahre erwartete Rückführung der ersten Wiederaufarbeitungsabfälle aus dem Ausland soll das zentrale Zwischenlager ZWILAG den Betrieb 1997 aufnehmen.
- Ebenfalls erste Priorität erhält das Endlager für kurzlebige schwach- und mittelaktive Abfälle. Vorbehältlich eines positiven Ausgangs der laufenden Standortabklärungen soll das Standortwahl- und Bewilligungsverfahren so abgewickelt werden, dass die Bauarbeiten am Endlager vor dem Jahr 2000 aufgenommen werden können.
- Der Standortnachweis für das Endlager für hochaktive und langlebige mittelaktive Abfälle resp. für abgebrannte Brennelemente - ein Zwischenziel des Programms Endlager HAA - erhält die zweite Priorität. Die regionalen Sediment-Untersuchungen, der Vergleich zwischen den Sedimentgesteinen und dem Kristallin und schliesslich die notwendigen lokalen Untersuchungen sollen dabei so geführt werden, dass der Standortnachweis bis zum Jahr 2000 möglich ist.
Bei allen drei Hauptaufgaben ist die Erreichung der Ziele und vor allem der Termine von einer Verbesserung der politischen und legislativen Randbedingungen abhängig. Nötig ist eine abschliessende Klärung der Kompetenzabgrenzung bezüglich der nuklearen Entsorgung zwischen Bund und Kantonen. Ebenso nötig wäre eine zeitliche Straffung der anstehenden gesetzlichen Bewilligungsverfahren auf allen Ebenen. Besonders nötig ist aber eine breite gesellschaftliche Abstützung der als Ziel unbestrittenen Entsorgung radioaktiver Abfälle, einer Umweltschutzaufgabe von nationaler Bedeutung.