Technischer Bericht NTB 91-22

Sondierbohrung Siblingen:Dokumentation der Wasserprobenentnahmen und Interpretation der hydrochemischen und isotopen-hydrologischen Analysen

Im Rahmen der Standortabklärungen für die Endlagerung der hochradioaktiven und langlebigen mittelradioaktiven Abfälle wurden innerhalb des Untersuchungsprogramms Nordschweiz an Wasserproben der Tiefbohrung Siblingen (SH) hydrochemische und isotopenhydrologische Analysen durchgeführt. Es wurden Wasserproben aus dem Muschelkalk, Buntsandstein und verschiedenen Zonen im Kristallin entnommen und umfangreiche hydrochemische Analysen sowie Isotopen- und Gasbestimmungen durchgeführt. Die Wasserprobenentnahme wurde dokumentiert, die Qualität der Wasserproben evaluiert bzw. die Kontamination durch Bohrspülung anhand der Tracerwerte und Tritium bestimmt und dementsprechend notwendige Korrekturen der Analysenergebnisse durchgeführt. Aufgrund der Ergebnisse geochemischer Modellrechnungen wurde für jede beprobte Zone ein thermodynamisch konsistenter, korrigierter hydrochemischer Datensatz erstellt. Diese Datensätze wurden als Grundlage für die hydrochemische Charakterisierung der Tiefengrundwässer von Siblingen verwendet. Aus diesen Resultaten können Hinweise über die hydrochemischen Verhältnisse im Untergrund und die Evolution, Herkunft und Verweilzeit der beprobten Tiefengrundwässer gewonnen werden. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen dienen ebenfalls der Validierung eines regionalen hydrodynamischen Modells sowie als Basisdaten für Sorptionsuntersuchungen von Radionukliden, welche im Hinblick auf die Sicherheitsanalyse eines potentiellen Endlagers benötigt werden.

Bei dem Wasser aus dem Oberen Muschelkalk (Trigonodus-Dolomit), der obersten beprobten Zone aus 183.55 m mittlerer Bohrtiefe, handelt es sich um ein Ca-Mg-(Na)­SO4-HCO3 Wasser mit relativ niedriger Mineralisation. Die hydrochemische Modellierung ergab eine im Vergleich zu den anderen nordschweizerischen Muschelkalkwässern stärkere Untersättigung an Dolomit. Ausserdem ist dieses Wasser an Gips und Anhydrit untersättigt. Das Muschelkalkwasser wurde unter mit heute vergleichbaren Bedingungen infiltriert. Die Isotopenbestimmungen am gelösten Sulfat haben Werte ergeben, die nicht im Bereich der typischen Muschelkalksulfate liegen. Die Calcite aus offenen Klüften und Drusen im Muschelkalk sind aufgrund ihrer Karbonatisotopen-Werte nichtmarinen Charakters und nicht im Gleichgewicht mit dem Muschelkalkwasser, wie es heute in Siblingen vorliegt. Die 14C-Bestimmungen haben ein Modellalter von mindestens 16'000 Jahren ergeben. Aus hydrogeologischen und hydrochemischen Gründen erscheint dieser 14C-Wert des Muschelkalkwassers zu gering bzw. das Modellalter zu hoch, d. h. ein jüngeres «Alter» wäre als erster Interpretationsansatz zu erwarten gewesen. Die 39Ar-Aktivität gibt keinen Hinweis auf eine unterirdische Produktion und ergibt ein 39Ar-Modellalter von mindestens 900 Jahren. Aufgrund des 39Ar/37Ar­Verhältnisses kann geschlossen werden, dass die Argon-Isotope v. a. durch Rückstoss­Effekte aus Mineralkörnern und Kluftcalcit ins Grundwasser freigesetzt werden. Der Tritiumgehalt lässt sich auf ca. 2 % Bohrspülung zurückführen. Aufgrund des 3H/85Kr- Verhältnisses wird geschlossen, dass die Wasserprobe aus dem Muschelkalk weniger als 2 bis 3 % junges oder rezentes Wasser bzw. Bohrspülung enthält. Es gibt hydrogeologische Hinweise für ein mögliches Infiltrationsgebiet des Muschelkalkwassers innerhalb der SE-Abdachung des Schwarzwalds.

Bei den Wässern aus dem Buntsandstein (fein- bis grobkörnige Sandsteine mit tonigen Zwischenlagen) aus 341.05 m mittlerer Tiefe und dem Kristallin (Cordierit-Biotit­Granit) aus 478.95 m, 527.65 m, 1'158.95 m und 1'495.96 m mittlerer Tiefe von Siblingen handelt es sich um Na-HCO3-SO4-Wässer, die sehr niedrig mineralisiert sind. Aufgrund der Ergebnisse der hydrochemischen Modellierung sind sie an Dolomit, Anhydrit und Gips untersättigt. Die relativ leichten stabilen Sauerstoff- und Wasserstoffisotope und die niedrigen Edelgas-Infiltrationstemperaturen lassen eine Infiltration dieser Wässer unter eiszeitlichen Bedingungen als wahrscheinlich annehmen. Die Ergebnisse der Bestimmungen der Sulfatisotope werden als Mischung von sedimentärem und kristallinem Sulfat gedeutet. Aufgrund der Bestimmungen der Karbonatisotope sind die meisten der Kluftcalcite aus dem tieferen Kristallin wahrscheinlich unter heutigen Bedingungen gebildet worden bzw. sie stehen mehr oder weniger im Gleichgewicht mit den untersten Grundwässern im Kristallin. Dagegen sind die Calcite aus dem oberen Kristallin nicht im Gleichgewicht mit dem Grundwasser aus der entsprechenden Tiefe. Für die Wasserprobe aus dem Buntsandstein wurde ein Modellalter von mehr als 16'000 Jahren berechnet, für die Wasserproben aus dem Kristallin ergaben sich etwas höhere 14C-Modellalter (> 17'000 bis > 22'000 Jahre). Diese Daten sind konsistent mit einer Versickerung dieser Wässer unter eiszeitlichen Bedingungen. Die 39Ar-Aktivität im Buntsandsteinwasser lässt sich grösstenteils auf eine unterirdische Produktion zurückführen. Eine Abschätzung des Modellalters ist daher nicht möglich. Es wird davon ausgegangen, dass ein grosser Teil der 39Ar-Aktivität aus dem Kristallin stammt. Vermutlich wird 37Ar vorwiegend aus Calcit in Klüften und Drusen sowie Fluorit ins Grundwasser freigesetzt. Die Buntsandstein- und Kristallinwässer von Siblingen sind aufgrund ihres relativ hohen Urangehalts mit den entsprechenden Grundwässern entlang des Rheins vergleichbar, die wahrscheinlich aus dem Schwarzwald stammen. Aufgrund der Uran­Thorium-Aktivitätsverhältnisse kann auf eine intensive Gesteins-Wasser-Wechselwirkung innerhalb der letzten 106 Jahre geschlossen werden. Die voneinander abweichenden Tritiumgehalte der jeweiligen Wasserproben im Buntsandstein und Kristallin sind nicht auf Anteile von jungem Grundwasser, sondern auf eine Kontamination durch die verwendete Bohrspülung zurückzuführen. Aufgrund des 3H/85Kr-Verhältnisses im Buntsandstein kann geschlossen werden, dass diese Wasserprobe weniger als 2 bis 3 % junges oder rezentes Wasser bzw. Bohrspülung enthält. Für die Wässer aus dem Buntsandstein und Kristallin wird als mögliches Infiltrationsgebiet der südliche Schwarzwald angenommen.