Technischer Bericht NTB 88-15

Anhydritvorkommen als Wirtgestein für die Lagerung schwach- und mittelaktiver Abfälle dargestellt am Beispiel des Bois de la Glaive:Statusbericht

Anhydrit kann ein nahezu ideales Wirtgestein für ein Endlager radioaktiver Abfälle darstellen. Er weist im Allgemeinen eine sehr geringe hydraulische Durchlässigkeit auf und besitzt zudem die Fähigkeit, sich in Anwesenheit von Wasser in Gips umzuwandeln, wodurch offene Wasserwegsamkeiten versiegelt werden können. Die bautechnischen Eigenschaften sind ausgezeichnet.

Daneben weist Anhydrit aber auch verschiedene Nachteile auf. Die oben aufgeführten positiven Eigenschaften liegen nur vor, wenn der Anhydrit eine gewisse Reinheit besitzt und wenn insbesondere keine ausgedehnten, zusammenhängenden Fremdgesteinseinschlüsse die Formation durchziehen. Anhydrit und in noch stärkerem Masse das Umwandlungsprodukt Gips sind besser wasserlöslich als die anderen in der Schweiz untersuchten potentiellen Wirtsgesteine. Gips – und unter extremen Umständen auch Anhydrit – sind karstanfällig.

Das zur Diskussion stehende Standortgebiet des Bois de la Glaive im unteren Rhonetal wird vermutlich durch eine mächtige Anhydritmasse aufgebaut . Alle bestehenden Erkenntnisse deuten darauf hin, dass es sich dabei um ein potentiell geeignetes, untersuchungswürdiges Standortgebiet handelt.

Die Durchführung einer Sicherheitsanalyse für ein Endlager im Anhydrit erfordert die quantitative Modellierung von speziellen Prozessen. Diese betreffen vor allem die Kinetik der Auflösungs- und Vergipsungsprozesse, die Entwicklung über lange Zeiträume von oberflächlichen und randlichen Gipsschichten sowie die Einflüsse von Fremdgesteinseinschlüssen, von tektonischen Ereignissen und von Erosionsprozessen. Im vorliegenden Bericht werden die verfügbaren Kenntnisse und Grundlagen zusammengetragen und soweit als möglich die oben aufgezählten Prozesse quantifiziert, wobei sich die Aussagen einerseits auf Anhydrit im Allgemeinen und andererseits auf die Verhältnisse am Bois de la Glaive beziehen. Der Bericht soll eine Grundlage für die Durchführung von Sicherheitsanalysen und für die Ausarbeitung von Untersuchungsprogrammen im Feld und im Labor bilden.

Eine abschliessende Quantifizierung der oben aufgezählten sicherheitsrelevanten Prozesse ist derzeit nicht möglich. Zwar sind die physikalischen und chemischen Gleichgewichtseigenschaften des Systems Anhydrit/Gips/Wasser/Luft gut bekannt und die publizierten Modellansätze für die Beschreibung von Auflösungsprozessen können als gesichert gelten. Unsicherheiten bezüglich massgebender Prozesse und Modellansätze bestehen jedoch noch für die Vergipsung, die zeitliche Entwicklung der oberflächlichen Gipsschichten und die glaziale Erosion. Darüber hinaus liegen nur sehr wenige standortspezifische Daten vor, so dass zu keinem der erwähnten Prozesse standortspezifische, belastbare, quantitative Aussagen gemacht werden können.