Technischer Bericht NTB 82-10

Sondierbohrung WeiachArbeitsprogramm

Die Nagra hat in der Nordschweiz ein umfassendes geologisches Unter­suchungs­programm in Angriff genommen. Es soll die erdwissenschaftlichen Erkenntnisse beschaffen, welche notwendig sind, um die Eignung des Untergrundes zur Endlagerung hoch­radioaktiver Abfälle zu beurteilen. Die vielfältigen Untersuchungen gliedern sich in ein Tiefbohrprogramm, eine flächenhafte geophysikalische Erkundung der Gesteins- und Strukturverhältnisse, ein hydrogeologisches Untersuchungsprogramm zur Abklärung der Wasserfliesswege im tiefen Untergrund und ein neotektonisches Unter­suchungs­programm zur Erkennung aktiver Erdkrustenbewegungen im Untersuchungs­gebiet.

Am 24. Juni 1980 sind von der Nagra 12 Gesuche für Sondierbohrungen dem Eidgenössischen Verkehrs‑ und Energiewirtschaftsdepartement eingereicht worden. Diese Tiefbohrungen sollen die geologischen Verhältnisse im Grundgebirge und seiner Sediment­bedeckung in einem rund 1'200 km2 grossen Gebiet der Nordschweiz erkunden. Zusätzlich sollen sie im weiteren regionalen Rahmen hydrodynamische und geo-chemische Daten liefern für den Bau eines mathematischen Modells der hydro­geologischen Verhältnisse zwischen der Nordabdachung der Alpen im Bereich der Zentral- und Ostschweiz und dem Schwarzwaldmassiv.

Nachdem der Bundesrat am 17. Februar 1982 für 11 der 12 Sondiergesuche die Bewilligung erteilt hat, hat die Bohrkampagne im Oktober 1982 mit der Sondierbohrung Bött­stein begonnen.

Die Sondierbohrung Weiach mit Koordinaten 676 750/268 620 liegt im Grenzgebiet zwischen Tafeljura und Molasse 900 m südlich des Rheins und rund 8 km nordwestliche von Bülach. Nach geologischer Prognose wird sie unter rund 30 m mächtigen Nieder­terrassen­schottern eine flach nach Süden einfallende, rund 820 m mächtige Folge von Mergeln und Sandsteinen des Tertiärs, Kalken, Mergeln und Tonen des Juras sowie Mergeln, Evaporiten und Sandsteinen der Trias durchfahren.

Erste Auswertungen neuer reflexionsseismischer Messungen lassen im Gebiet von Weiach unter der Trias einen permo-karbonischen Resttrog vermuten, der mit einer bis zu 750 m mächtigen wahrscheinlich vorwiegend tonigen Abfolge gefüllt sein könnte. Sollte dies zutreffen, so würde das kristalline Grundgebirge mit Graniten und Gneisen vertikal nur über eine Strecke von rund 400 m durchbohrt werden; bei Fehlen des Permo-Karbons würde dagegen die Kristallinstrecke rund 1'000 m betragen. In beiden Fällen wird die Endteufe der Sondierbohrung bei 2'000 m liegen.

Das vorliegende Arbeitsprogramm gliedert sich, nach Voranstellung der von den Behörden erlassenen Auflagen, in einen bohrtechnischen und einen erdwissen­schaft­lichen Teil.

Der bohrtechnische Teil enthält detaillierte Vorschriften an die Bohrfirma, einerseits zum technischen Vortrieb der Tiefbohrung durch die prognostizierte Gesteinsfolge auf die verlangte Endteufe, anderseits über die zu verwendenden Geräte und Materialien wie Blowout Preventer, Rohrstränge, Bohrlochgarnituren, Spülungschemikalien und Zement­qualitäten.

Diese Vorschriften und Spezifikationen sind im Rahmen der technischen Kapazität der zum Einsatz kommenden stationären und vollelektrischen Bohranlage National 80 B auf die vielfältigen Anforderungen des geplanten Kern, Mess‑ und Testprogramms abgestimmt.

Tabelle 1 gibt einen Überblick des erdwissenschaftlichen Teils des Arbeitsprogramms. Es ist auch für Weiach, als zweite Bohrung der Tiefbohrkampagne, sehr umfangreich und vielfältig, damit es allen geologisch denkbaren Untergrundverhältnissen, besonders im noch wenig bekannten Kristallinbereich zu genügen vermag. Zudem haben ver­schiedene der geplanten Untersuchungen ähnliche Zielsetzungen, was einen Vergleich der wissenschaftlichen Aussagekraft verschiedener Mess und Beobachtungsmethoden zwecks Optimierung der Untersuchungsprogramme für die Folgebohrungen erlauben sollte.

Da die ganze Strecke orientiert gekernt werden soll, wird dies, neben der lückenlosen lithologisch-sedimentologischen Analyse der möglichen Barrierengesteine, die voll­ständige Erfassung der petrographischen Eigenschaften des potentiellen kristallinen Wirt­gesteins im Bohrlochbereich und seiner die Wasserwegigkeit weitgehend bestimmenden Kluftsysteme erlauben.

Ein umfangreiches Programm geophysikalischer Bohrlochmessungen wird die Ergeb­nisse der Kernanalyse verifizieren und mit zusätzlichen Daten ergänzen. Durch verschie­den­artige Mess-Sonden werden Bohrlochlogs aufgenommen, aus denen sich eine Reihe für die Beschreibung des durchbohrten Gebirges wichtiger Parameter berechnen lassen. Eine erste Gruppe von Logs hat zum Ziel, die Gesteine petrographisch zu identifizieren und poröse, d. h. kohlenwasserstoff‑ oder wasserführende Zonen aufzuzeigen. Eine zweite Gruppe liefert u. a. Angaben über den Grad der Poren‑ bzw. Kluftfüllung, die Gesteins­dichte und ‑temperatur, die natürliche Gamma-Strahlung und die den seismischen Wellengeschwindigkeiten zugrunde liegenden Elastizitätsmodule. Wieder andere Sonden messen Streichen und Fallen von Schicht‑ und Kluftflächen. Eine weitere Gruppe beschafft Angaben über Durchmesser und Abweichungen des Bohr­lochs, Güte der Verrohrungszementation und Lage der Verrohrungsmuffen. Schliesslich werden durch Geophon-Versenkmessungen die Geschwindigkeiten seismischer Lauf­zeiten ermittelt, was die Tiefengenauigkeit der ausgewerteten reflexionsseismischen Profile des regionalen Messnetzes der Nagra wesentlich verbessern wird.

Durch zahlreiche Tests mit verschiedenartigen Methoden, reichend von "open hole"-Förder­versuchen im Muschelkalk-Aquifer bis zu markierten Pumpversuchen in gering durch­lässigen Kristallinstrecken, sollen die hydraulischen Verhältnisse der Tiefen­grund­wässer erkundet werden. Es ist geplant, die bei den Tests anfallenden Wasserproben physikalisch-chemisch im Detail zu analysieren und ihren Isotopengehalt zur Abschätzung des Alters der Wässer und deren Residenzzeit in den durchwanderten Gesteinen zu ermitteln.

Das Untersuchungsprogramm wird abgerundet durch felsmechanische und geo­technische Laborexperimente an ausgewählten Bohrkernen, zwecks Beschaffung der für den Schacht‑ und Kavernenbau eines Endlagers benötigten Kennwerte.

Nach Abschluss der Bohr‑ und Testphase und vor der endgültigen Verfüllung des Bohr­lochs wird eine mindestens einjährige Beobachtungsphase folgen zur Überwachung von Druckschwankungen der Tiefengrundwässer und nötigenfalls zu weiteren Wasser­proben­entnahmen aus der Kristallinstrecke durch Langzeit-Fördertests.

Der Zeitbedarf der Feldarbeiten, von der Bohrplatzerstellung bis zum Beginn der Beobach­tungsphase wird für die Sondierbohrung Weiach auf 11 1/2 – 20 Monate veran­schlagt.