Technischer Bericht NTB 08-04

Vorschlag geologischer Standortgebiete für das SMA- und das HAA-Lager. Geologische Grundlagen

Am 2. April 2008 genehmigte der Bundesrat das vom Bundesamt für Energie (BFE) erstellte Konzept 'Sachplan geologische Tiefenlager' (kurz: SGT), welches das durchzuführende Standortwahlverfahren für das geologische Tiefenlager für die schwach- und mittelaktiven Abfälle (SMA) und für das geologische Tiefenlager für die hochaktiven Abfälle (HAA) im Detail regelt.

Gemäss SGT erfolgt die Auswahl von geologischen Standortgebieten und Standorten für geologische Tiefenlager in der Schweiz in drei Etappen. Etappe 1 endet mit der Festlegung von geologischen Standortgebieten, innerhalb derer in den späteren Etappen des Sachplanverfahrens (Etappe 2 und 3) die Lagerprojekte detaillierter ausgearbeitet werden, was schliesslich zur Festsetzung der Standorte für die Realisierung der geologischen Tiefenlager und zur Erteilung der Rahmenbewilligungen führt. Die Entsorgungspflichtigen haben gemäss SGT im Hinblick auf die Standortwahl als ersten Schritt Vorschläge für geologische Standortgebiete einzureichen, die unter Berücksichtigung der Kriterien und weiterer Vorgaben im SGT erarbeitet wurden.

Die Vorschläge für geologische Standortgebiete sind in einem Bericht dokumentiert (Nagra 2008a), welcher die Nagra im Auftrag der Entsorgungspflichtigen für die Etappe 1 des Sachplanverfahrens erstellt hat. Er dient der Darlegung des Vorgehens und der Argumente für die Festlegung von geologischen Standortgebieten für das SMA- bzw. das HAA-Lager als Vorschläge für die Etappe 1 und folgt formal den Kriterien und Vorgaben des SGT. Er wird unter anderem ergänzt durch den vorliegenden Bericht, in welchem die geowissenschaftlichen Grundlagen, welche zu den Ergebnissen im Standortwahlverfahren geführt haben, noch ausführlicher dargelegt und illustriert sind als in Nagra (2008a).

Diese geowissenschaftlichen Grundlagen basieren einerseits auf einer Auswertung der bisherigen Untersuchungen der Nagra im Zusammenhang mit der geologischen Tiefenlagerung von HAA und SMA in der Schweiz (Untersuchungsprogramme Kristallin und Opalinuston in der Nordschweiz, Untersuchungen an SMA-Standorten in den Alpen, Forschungsarbeiten in Felslabors im Kristallingestein und im Tongestein), andererseits wurden im Hinblick auf das Standortwahlverfahren auch umfangreiche neue geowissenschaftliche Arbeiten durchgeführt, namentlich:

  • Eine Darstellung der geologischen Verhältnisse in der Schweiz basierend auf den neuesten wissenschaftlichen Publikationen.
  • Ein Inventar der Sedimentgesteine in der Schweiz aufgrund von 27 stratigraphischen Sammelprofilen. 
  • Eine umfassende Neuauswertung der Daten verschiedener Seismikkampagnen der Nagra und Kampagnen Dritter auf digitaler Basis mit einer einheitlichen Tiefenumrechnung. Darauf basierend wurden digitale Höhenmodelle der Markerhorizonte Basis Tertiär, Basis Malm und Basis Opalinuston unter Einbezug von zusätzlichen Oberflächendaten und einer umfangreichen, erweiterten Bohrungsdatenbank erstellt.
  • Erstellung eines digitalen Höhenmodells der Felsoberfläche (Basis Quartär) im zentralen und östlichen Mittelland aufgrund von mehreren tausend Bohrungen und anderen Informationen.
  • Kompilation aller verfügbaren Daten betreffend hydraulische Durchlässigkeit und Porenwasserzusammensetzung von potenziell möglichen Wirtgesteinen.
  • Durchführung und Auswertung von Zusatzuntersuchungen (mineralogische Untersuchungen, hydraulische Tests, Porenwasseruntersuchungen) in Bohrungen Dritter in potenziell möglichen Wirtgesteinen
  • Weiterführung laufender und Durchführung neuer Experimente in den Felslabors der Nagra.
  • Internationale Zusammenarbeit und Verfolgung von Technik und Wissenschaft in ausländischen Tiefenlagerprojekten

Die Ergebnisse der für die Etappe 1 des SGT relevanten geowissenschaftlichen Arbeiten nach dem Entsorgungsnachweis sind in rund 50 Referenzberichten der Nagra, in mehreren Publikationen in Fachzeitschriften und in zahlreichen Berichten der Felslaborprojekte (v. a. Mont Terri) dokumentiert.

Gemäss Sachplan hat die Erarbeitung der Vorschläge für geologische Standortgebiete in fünf Schritten zu erfolgen:

  • In einem ersten Schritt wird das Abfallinventar, das auch Reserven für zukünftige Entwicklungen enthält, auf das SMA- und das HAA-Lager aufgeteilt.
  • Anhand dieser Abfallzuteilung werden in einem zweiten Schritt die Barrieren- und Sicherheitskonzepte für die beiden Lager festgelegt. Basierend darauf erfolgt im Hinblick auf die Evaluation der geologischen Standortmöglichkeiten die Ableitung quantitativer und qualitativer Vorgaben und Anforderungen an die Geologie. Dies betrifft den Betrachtungszeitraum, den Platzbedarf des Lagers, die Eigenschaften des Wirtgesteins (Tiefenlage, Mächtigkeit, laterale Ausdehnung, hydraulische Durchlässigkeit), die Langzeitstabilität, die Zuverlässigkeit der geologischen Aussagen und die bautechnische Eignung.

Die ersten beiden Schritte sind in einem separaten Bericht (Nagra 2008b) detaillierter dokumentiert. Die Schritte 3 bis 5 umfassen die Evaluation der geologischen Möglichkeiten, für welche im vorliegenden Bericht die geologischen Grundlagen und die wichtigsten geowissenschaftlichen Aspekte ausführlich dargelegt sind:

  • Im dritten Schritt wird die grossräumige geologisch-tektonische Situation evaluiert, und es werden die weiter zu betrachtenden Grossräume festgelegt. Für das SMA-Lager – für welches der Betrachtungszeitraum bezüglich Langzeitsicherheit 100'000 Jahre beträgt – gibt es aus Sicht der geologischen Langzeitstabilität in der Schweiz keine geologisch-tektonischen Grossräume, die als Ganzes ungeeignet wären und deshalb ausgeschlossen werden müssen. Regional und lokal muss jedoch bei der Platzierung der Lagerkammern zur Gewährleistung der Langzeitstabilität kritischen Zonen ausgewichen werden. Für das SMA-Lager ist der erforderliche Platzbedarf vergleichsweise gering, und es besteht eine erhebliche Flexibilität bei der Anordnung der einzelnen Lagerkammern; deshalb muss aus Gründen der räumlichen Verhältnisse keiner der Grossräume zurückgestellt werden, obschon bezüglich der tektonischen Zergliederung und der resultierenden Platzverhältnisse erhebliche Unterschiede zwischen den verschiedenen geologisch-tektonischen Grossräumen bestehen. Für das HAA-Lager – für welches der Betrachtungszeitraum bezüglich Langzeitsicherheit 1 Million Jahre beträgt – müssen aus Gründen der Langzeitstabilität (u. a. Hebung und Erosion im Betrachtungszeitraum) die Alpen ausgeschlossen werden; auch für den Faltenjura, den westlichen Tafeljura und die westliche Subjurassische Zone bestehen Vorbehalte bezüglich ihrer langfristigen geologischen Stabilität. Wegen der starken tektonischen Zergliederung und der resultierenden ungenügenden Platzverhältnisse werden der Faltenjura, der westliche Tafeljura und die westliche Subjurassische Zone für das HAA-Lager ausgeschlossen.
  • Im vierten Schritt werden innerhalb der weiter betrachteten Grossräume die bevorzugten Wirtgesteine ausgewählt. Dies erfolgt in verschiedenen Teilschritten und führt zu folgenden Resultaten: Für das SMA-Lager werden der Opalinuston mit seinen Rahmengesteinen, die Tongesteinsabfolge 'Brauner Dogger' mit ihren Rahmengesteinen, die Effinger Schichten und die Mergel-Formationen des Helvetikums vorgeschlagen; für das HAA-Lager der Opalinuston mit seinen Rahmengesteinen. Die Kristallingesteine und die tonreichen Gesteine der Unteren und Oberen Süsswassermolasse erfüllen zwar die Mindestanforderungen an ein Wirtgestein, werden jedoch aufgrund der grossen Variabilität der Gesteinseigenschaften und der damit verbundenen schwierigen Explorierbarkeit zurückgestellt. Bei den Molassegesteinen ist die relativ hohe horizontale hydraulische Durchlässigkeit, welche durch einzelne Sandsteinlagen und –rinnen verursacht wird, ein weiterer Grund für ihr zurückstellen.
  • Im fünften Schritt erfolgt die Evaluation der Konfigurationen, d. h. der räumlichen Anordnung der bevorzugten Wirtgesteine innerhalb der weiter betrachteten Grossräume: Unter Berücksichtigung regionaler geologischer Elemente (regionale Störungszonen, übertiefte Felsrinnen als Folge der glazialen Tiefenerosion, Zonen mit Anzeichen kleinräumiger tektonischer Zergliederung, konzeptionell zu meidende Zonen (Neotektonik)) werden bevorzugte Bereiche abgegrenzt, innerhalb derer die bevorzugten Wirtgesteine in geeigneter Tiefe und Mächtigkeit und in genügender lateraler Ausdehnung vorliegen. Die bevorzugten Bereiche werden verwendet, um geologische Standortgebiete abzugrenzen. Gewisse Standortgebiete umfassen mehrere bevorzugte Bereiche und teilweise auch mehr als einen Wirtgesteinstyp.

Das Vorgehen führt zu folgenden geologischen Standortgebieten:

Für das SMA-Lager:

  • Südliches Schaffhausen (SH) mit dem Wirtgestein Opalinuston mit seinen Rahmengesteinen
  • Zürcher Weinland (ZH, TG) mit den Wirtgesteinen Opalinuston und Tongesteinsabfolge 'Brauner Dogger' mit ihren Rahmengesteinen 
  • Nördlich Lägeren (ZH, AG) mit den Wirtgesteinen Opalinuston und Tongesteinsabfolge 'Brauner Dogger' mit ihren Rahmengesteinen
  • Bözberg (AG) mit dem Wirtgestein Opalinuston mit seinen Rahmengesteinen
  • Jura-Südfuss (SO, AG) mit den Wirtgesteinen Opalinuston mit seinen Rahmengesteinen und den Effinger Schichten
  • Wellenberg (NW, OW) mit dem Wirtgestein Mergel-Formationen des Helvetikums

Für das HAA-Lager:

  • Zürcher Weinland (ZH, TG) mit dem Wirtgestein Opalinuston mit seinen Rahmengesteinen
  • Nördlich Lägeren (ZH, AG) mit dem Wirtgestein Opalinuston mit seinen Rahmengesteinen
  • Bözberg (AG) mit dem Wirtgestein Opalinuston mit seinen Rahmengesteinen

In drei der geologischen Standortgebiete (Zürcher Weinland (ZH, TG), Nördlich Lägeren (ZH, AG) und Bözberg (AG)) besteht grundsätzlich das Potenzial, das SMA-Lager und das HAA-Lager als sogenanntes 'Kombilager' gemeinsam erstellen zu können.

Die gemäss Konzept Sachplan vorzunehmende Bewertung ergibt folgende Resultate: Für das SMA-Lager werden die geologischen Standortgebiete Südliches Schaffhausen (SH), Zürcher Weinland (ZH, TG) und Bözberg (AG) mit sehr geeignet bewertet, die Standortgebiete Nördlich Lägeren (ZH, AG), Jura-Südfuss (SO, AG) und Wellenberg (NW, OW) mit geeignet. Für das HAA-Lager werden die Standortgebiete Zürcher Weinland (ZH, TG) und Bözberg (AG) mit sehr geeignet, das Standortgebiet Nördlich Lägeren (ZH, AG) mit geeignet bewertet.

Die von der Nagra aus Sicht der Sicherheit und Geologie gemäss Vorgaben des Konzepts Sachplan vorgenommene Einengung und Bewertung wird ergänzt durch eine unter der Leitung der Behörden vorgenommene raumplanerische Bestandesaufnahme. Weiter ist es Sache der Behörden und des Bundesrats, neben den technisch-wissenschaftlichen auch weitere Aspekte in die Entscheidungsfindung mit einzubeziehen.

Die in diesem Bericht diskutierte Evaluation und Beurteilung der geologischen Standortmöglichkeiten verwendet alle verfügbaren für die geologische Tiefenlagerung relevanten geologischen Informationen. Im Hinblick auf diese Evaluation wurde die neueste wissenschaftliche Literatur genutzt und die geologische Datenbasis erweitert (z. B. durch Beteiligung an Untersuchungen Dritter oder Erwerb von Daten Dritter); wo sinnvoll, wurden Neuauswertungen vorgenommen (z. B. Seismik, hydraulische Tests). Der erarbeitete technisch-wissenschaftliche Kenntnisstand ist zwar regional unterschiedlich, erlaubt aber, aus sicherheitstechnisch-geologischer Sicht die Prioritäten für die nächsten Schritte gut begründet zu setzen und geologische Standortgebiete für die weiteren Arbeiten im Rahmen des Sachplanverfahrens fundiert vorzuschlagen.

 

Die eingereichten Vorschläge werden durch die Behörden geprüft, und in etwa 2½ Jahren wird nach einer Anhörung der Entscheid des Bundesrats zu den vorgeschlagenen geologischen Standortgebieten erwartet. Anschliessend folgen die Etappe 2 (Festlegung von mindestens je 2 Standorten für das SMA- bzw. das HAA-Lager innerhalb der in Etappe 1 festgelegten Standortgebiete) und Etappe 3 mit den Rahmenbewilligungsverfahren. Gemäss Planung des Bundes wird in etwa 10 Jahren der Standortentscheid für die geologischen Tiefenlager für SMA und HAA mit der Rahmenbewilligung erwartet. Die Rahmenbewilligung wird durch den Bundesrat erteilt, muss durch das Parlament genehmigt werden und unterliegt dem fakultativen nationalen Referendum.

 

Beilagen:

 

Titelblatt und Inhaltsverzeichnis des Beilagenbandes (84 KB)

Beil. 2.1-1: Informationsquellen geologischer Daten in der Schweiz (1.1 MB)
Beil. 2.2-1: Geologischer Profilschnitt Mitte (496 KB)
Beil. 2.2-2: Geologischer Profilschnitt Ost (507 KB)
Beil. 2.2-3: Geologischer Profilschnitt West (494 KB)
Beil. 2.4-1: Orogener Fahrplan der Schweizer Alpen (Eozän - Gegenwart) (726 KB)
Beil. 2.5-1: Tektonische Übersicht 1:500'000 (576 KB)
Beil. 2.7-1: Herdmechanismen in der Schweiz und Umgebung, 1976 - 2006 (3.1 MB)
Beil. 4-2-1: 27 Stratigraphische Sammelprofile (Beil. 4.2-1/1 bis 4.2-1/27) (1.5 MB)
Beil. 5.2-1: Fazies-Korrelation Süd (Faltenjura - Jura-Südfuss) (1.7 MB)
Beil. 5.2-2: Fazies-Korrelation Nord (Tafeljura) (1.2 MB)
Beil. 5.2-3: Isohypsenkarte Basis Opalinuston (4.5 MB)
Beil. 5.2-4: Isohypsenkarte Basis Malm (4.5 MB)
Beil. 5.2-5: Isohypsenkarte Basis Tertiär (4.5 MB)
Beil. 5.2-6: Tektonische Übersicht Nordschweiz 1:250'000 (1.2 MB)
Beil. 5.2-7: Geologisches Profil 22 (Seismiklinien 83-NS-22 & 85-SE-07 (4.6 MB)
Beil. 5.2-8: Geologisches Profil 01 (Seismiklinie 83-BN-01) (2 MB)
Beil. 5.2-9: Geologisches Profil 02 (Seismiklinie 83-NF-02) (2.5 MB)
Beil. 5.2-10: Geologisches Profil 08 (Seismiklinie 83-SE-08) (2.5 MB)
Beil. 5.2-11: Geologisches Profil 06 (Seismiklinie 83-NF-06) (1.8 MB)
Beil. 5.2-12: Geologisches Profil 12 (Seismiklinie 83-SE-12) (2.9 MB)
Beil. 5.2-13: Geologisches Profil 10 (Seismiklinie 82-NF-10) (3.6 MB)
Beil. 5.2-14: Geologisches Profil 30 (Seismiklinien 82-NF-30, 83-NF-31ST & 83-NF-31HR) (3.8 MB)

Beil. 5.2-15: Geologisches Profil 55 (Seismiklinien 83-NF-55 & 83-SE-06) (3.3 MB)
Beil. 5.2-16: Geologisches Profil 15 (Seismiklinien 83-NF-15 ST & 83-NF-15 HR) (2.5 MB)

Beil. 5.2-17: Geologisches Profil 70 (Seismiklinie 82-NS-70) (4 MB)

Beil. 5.2-18: Geologisches Profil 58 (Seismiklinie 91-NO-58) (2.1 MB)
Beil. 5.2-19: Geologisches Profil 62 (Seismiklinie 91-NO-62) (2.5 MB)
Beil. 5.2-20: Geologisches Profil 61 (Seismiklinie 91-NO-61) (2.4 MB)
Beil. 5.2-21: Geologisches Profil 65 (Seismiklinie 84-NF-65) (3.6 MB)
Beil. 5.2-22: Geologisches Profil 75 (Seismiklinie 91-NO-75) (3.4 MB)
Beil. 5.2-23: Geologisches Profil 77 (Seismiklinie 91-NO-77) (2.3 MB)
Beil. 5.2-24: Geologisches Profil 68 (Seismiklinie 91-NO-68) (3.7 MB)
Beil. 5.2-25: Geologisches Profil 79 (Seismiklinie 91-NO-79) (2.9 MB)
Beil. 5.2-26: Geologisches Profil 74 (Seismiklinie 91-NO-74) (2.5 MB)
Beil. 5.2-27: Tektonische Charakterisierung Nordschweiz (2.1 MB)
Beil. 5.2-28: Quartärmächtigkeiten Nordschweiz (2.1 MB)

 

Alle Beilagen als .zip-Ordner (89 MB)