Technischer Bericht NTB 08-03

Vorschlag geologischer Standortgebiete für das SMA- und das HAA-Lager.Darlegung der Anforderungen, des Vorgehens und der Ergebnisse

Wichtige Schritte zur Entsorgung der radioaktiven Abfälle der Schweiz sind heute realisiert. Dies betrifft die Behandlung und Verpackung der radioaktiven Abfälle, ihre Charakterisierung und Inventarisierung sowie die Zwischenlagerung und die dazu gehörenden Transporte. Bei der Vorbereitung der geologischen Tiefenlager wurde ein guter technisch-wissenschaftlicher Stand erreicht; der Nachweis der Machbarkeit von langfristig sicheren geologischen Tiefenlagern in der Schweiz für alle hier anfallenden radioaktiven Abfälle wurde erbracht (Entsorgungsnachweise) und vom Bundesrat anerkannt. Die Kenntnisse sind vorhanden, um für die Wahl der Standorte für die geologischen Tiefenlager die nächsten Schritte festzulegen. Auch die gesetzlichen Regelungen sind vorhanden und die organisatorischen Vorkehrungen getroffen, um die in den nächsten Jahren anstehenden Aufgaben umzusetzen. Dazu gehört insbesondere das vom Bundesrat am 2. April 2008 genehmigte Konzept "Sachplan geologische Tiefenlager" (BFE 2008), welches das in den nächsten Jahren durchzuführende Standortwahlverfahren im Detail regelt. Gemäss Sachplan erfolgt die Auswahl von geologischen Standortgebieten und Standorten für geologische Tiefenlager in der Schweiz in drei Etappen. Etappe 1 endet mit der Festlegung von geologischen Standortgebieten, innerhalb derer in den späteren Etappen des Sachplans (Etappe 2 und 3) die Lagerprojekte detaillierter ausgearbeitet werden, was schliesslich zur Festsetzung der Standorte für die Realisierung der geologischen Tiefenlager und zur Erteilung der Rahmenbewilligungen führt.

Die Entsorgungspflichtigen haben gemäss Sachplan im Hinblick auf die Standortwahl als ersten Schritt Vorschläge für geologische Standortgebiete für das geologische Tiefenlager für die schwach- und mittelaktiven Abfälle (SMA-Lager) und für das geologische Tiefenlager für die hochaktiven Abfälle (HAA-Lager) einzureichen. Im vorliegenden Bericht werden die Vorschläge für geologische Standortgebiete begründet und dokumentiert, welche die Nagra im Auftrag der Entsorgungspflichtigen für die Etappe 1 des Sachplanverfahrens erarbeitet hat. 

Gemäss Sachplan hat die Erarbeitung dieser Vorschläge in fünf Schritten zu erfolgen:

  • In einem ersten Schritt wird das Abfallinventar, das auch Reserven für zukünftige Entwicklungen enthält, auf das SMA- und das HAA-Lager aufgeteilt.
  • Anhand dieser Abfallzuteilung werden in einem zweiten Schritt die Barrieren- und Sicherheitskonzepte für die beiden Lager festgelegt. Basierend darauf erfolgt im Hinblick auf die Evaluation der geologischen Standortmöglichkeiten die Ableitung quantitativer und qualitativer Vorgaben und Anforderungen an die Geologie. Dies betrifft den Betrachtungszeitraum, den Platzbedarf des Lagers, die Eigenschaften des Wirtgesteins (Tiefenlage, Mächtigkeit, laterale Ausdehnung, hydraulische Durchlässigkeit), die Langzeitstabilität, die Zuverlässigkeit der geologischen Aussagen und die bautechnische Eignung.

Die Schritte 3 bis 5 umfassen die Evaluation der geologischen Möglichkeiten:

  • Im dritten Schritt wird die grossräumige geologisch-tektonische Situation evaluiert, und es werden die weiter zu betrachtenden Grossräume festgelegt. Bezüglich Langzeitstabilität und räumlicher Verhältnisse und deren Explorierbarkeit können für das SMA-Lager alle geologisch- tektonischen Grossräume der Schweiz in Betracht gezogen werden, während für das HAA-Lager die Alpen, der Faltenjura, der westliche Tafeljura und ein kleiner Teil des Molassebeckens (westliche Subjurassische Zone) ausgeschlossen werden.
  • Im vierten Schritt werden innerhalb der weiter betrachteten Grossräume die bevorzugten Wirtgesteine ausgewählt. Dies erfolgt in verschiedenen Teilschritten und führt zu folgenden Resultaten: Für das SMA-Lager werden der Opalinuston mit seinen Rahmengesteinen, die Tongesteinsabfolge 'Brauner Dogger' mit ihren Rahmengesteinen, die Effinger Schichten und die Mergel-Formationen des Helvetikums vorgeschlagen; für das HAA-Lager der Opalinuston mit seinen Rahmengesteinen.
  • Im fünften Schritt erfolgt die Evaluation der Konfigurationen, d. h. der räumlichen Anordnung der bevorzugten Wirtgesteine innerhalb der weiter betrachteten Grossräume: Unter Berücksichtigung regionaler geologischer Elemente (regionale Störungszonen, übertiefte Felsrinnen als Folge der glazialen Tiefenerosion, Zonen mit Anzeichen kleinräumiger tektonischer Zergliederung, konzeptionell zu meidende Zonen (Neotektonik)) werden bevorzugte Bereiche abgegrenzt, innerhalb derer die bevorzugten Wirtgesteine in geeigneter Tiefe und Mächtigkeit und in genügender lateraler Ausdehnung vorliegen. Die bevorzugten Bereiche werden verwendet, um geologische Standortgebiete abzugrenzen. Gewisse Standortgebiete umfassen mehrere bevorzugte Bereiche und teilweise auch mehr als einen Wirtgesteinstyp.

Das schrittweise Vorgehen bei der Einengung der geologischen Möglichkeiten und der Festlegung von geologischen Standortgebieten ist in Fig. I stark vereinfacht als Schema abgebildet. Das Vorgehen führt zu folgenden geologischen Standortgebieten:

Für das SMA-Lager:

  • Südranden (SH) mit dem Wirtgestein Opalinuston mit seinen Rahmengesteinen
  • Zürcher Weinland (ZH, TG) mit den Wirtgesteinen Opalinuston und Tongesteinsabfolge 'Brauner Dogger' mit ihren Rahmengesteinen
  • Nördlich Lägeren (ZH, AG) mit den Wirtgesteinen Opalinuston und Tongesteinsabfolge 'Brauner Dogger' mit ihren Rahmengesteinen
  • Bözberg (AG) mit dem Wirtgestein Opalinuston mit seinen Rahmengesteinen
  • Jura-Südfuss (SO, AG) mit den Wirtgesteinen Opalinuston mit seinen Rahmengesteinen und den Effinger Schichten
  • Wellenberg (NW, OW) mit dem Wirtgestein Mergel-Formationen des Helvetikums

Für das HAA-Lager:

  • Zürcher Weinland (ZH, TG) mit dem Wirtgestein Opalinuston mit seinen Rahmengesteinen
  • Nördlich Lägeren (ZH, AG) mit dem Wirtgestein Opalinuston mit seinen Rahmengesteinen
  • Bözberg (AG) mit dem Wirtgestein Opalinuston mit seinen Rahmengesteinen

In drei der geologischen Standortgebiete (Zürcher Weinland (ZH, TG), Nördlich Lägeren (ZH, AG) und Bözberg (AG)) besteht grundsätzlich das Potenzial, das SMA-Lager und das HAALager als sogenanntes "Kombilager" gemeinsam erstellen zu können.

Die gemäss Konzept Sachplan vorzunehmende Bewertung ergibt folgende Resultate: Für das SMA-Lager werden die geologischen Standortgebiete Südranden (SH), Zürcher Weinland (ZH, TG) und Bözberg (AG) mit sehr geeignet bewertet, die Standortgebiete Nördlich Lägeren (ZH, AG), Jura-Südfuss (SO, AG) und Wellenberg (NW, OW) mit geeignet. Für das HAA-Lager werden die Standortgebiete Zürcher Weinland (ZH, TG) und Bözberg (AG) mit sehr geeignet, das Standortgebiet Nördlich Lägeren (ZH, AG) mit geeignet bewertet.
 
Die von der Nagra aus Sicht der Sicherheit und Geologie gemäss Vorgaben des Konzepts Sachplan vorgenommene Einengung und Bewertung wird ergänzt durch eine unter der Leitung der Behörden vorgenommene raumplanerische Bestandesaufnahme. Weiter ist es Sache der Behörden und des Bundesrats, neben den technisch-wissenschaftlichen auch weitere Aspekte in die Entscheidungsfindung mit einzubeziehen. 
 
Die in diesem Bericht diskutierte Evaluation und Beurteilung der geologischen Standortmöglichkeiten verwendet alle verfügbaren für die geologische Tiefenlagerung relevanten geologischen Informationen. Im Hinblick auf diese Evaluation wurde die neueste wissenschaftliche Literatur genutzt und die geologische Datenbasis erweitert (z. B. durch Beteiligung an Untersuchungen Dritter oder Erwerb von Daten Dritter); wo sinnvoll, wurden Neuauswertungen vorgenommen (z. B. Seismik, hydraulische Tests). Der erarbeitete technisch-wissenschaftliche Kenntnisstand ist zwar regional unterschiedlich, erlaubt aber, aus sicherheitstechnisch-geologischer Sicht die Prioritäten für die nächsten Schritte gut begründet zu setzen und geologische Standortgebiete für die weiteren Arbeiten im Rahmen des Sachplanverfahrens fundiert vorzuschlagen. 
 
Die eingereichten Vorschläge werden durch die Behörden geprüft, und in etwa 2½ Jahren wird nach einer Anhörung der Entscheid des Bundesrats zu den vorgeschlagenen geologischen Standortgebieten erwartet. Anschliessend folgen die Etappe 2 (Festlegung von mindestens je 2 Standorten für das SMA- bzw. das HAA-Lager innerhalb der in Etappe 1 festgelegten Standortgebiete) und Etappe 3 mit den Rahmenbewilligungsverfahren. Gemäss Planung des Bundes wird in etwa 10 Jahren der Standortentscheid für die geologischen Tiefenlager für SMA und HAA mit der Rahmenbewilligung erwartet. Die Rahmenbewilligung wird durch den Bundesrat erteilt, muss durch das Parlament genehmigt werden und unterliegt dem fakultativen nationalen Referendum.