Technischer Bericht NTB 08-01
Entsorgungsprogramm 2008 der Entsorgungspflichtigen
Wichtige Schritte zur Entsorgung der radioaktiven Abfälle in der Schweiz sind heute realisiert, und für die damit verbundenen Aktivitäten besteht mittlerweile eine grosse Erfahrung. Dies betrifft die Behandlung und Verpackung der radioaktiven Abfälle, ihre Charakterisierung und Inventarisierung sowie die Zwischenlagerung und die dazugehörigen Transporte. Bei der Vorbereitung der geologischen Tiefenlager wurde ein guter technisch-wissenschaftlicher Stand erreicht; der Nachweis der Entsorgung aller in der Schweiz anfallenden radioaktiven Abfälle in langfristig sicheren Tiefenlagern in der Schweiz wurde erbracht und vom Bundesrat anerkannt. Die Kenntnisse sind vorhanden, um für die geologischen Tiefenlager die geologischen Standortgebiete für die weiteren Schritte festzulegen. Auch die gesetzlichen Regelungen sind vorhanden und die organisatorischen Vorkehrungen getroffen, um die für die Entsorgung in den nächsten Jahren anstehenden Aktivitäten umzusetzen. Dazu gehört insbesondere das vom Bundesrat am 2. April 2008 genehmigte Konzept Sachplan geologische Tiefenlager, welches das in den nächsten Jahren durchzuführende Standortwahlverfahren im Detail regelt.
Vorliegender Bericht dokumentiert das Entsorgungsprogramm der Entsorgungspflichtigen, wie es gesetzlich verlangt wird (Kernenergiegesetz, Art. 32 und Kernenergieverordnung, Art. 52). Der Bericht wurde von der Nagra im Auftrag der Entsorgungspflichtigen erstellt und deckt alle gesetzlich geforderten Aspekte ab. Dies betrifft die folgenden Themenbereiche:
- Herkunft, Art und Menge der radioaktiven Abfälle: Die Herkunft, die Art und die Menge der in der Schweiz zu entsorgenden radioaktiven Abfälle sind bekannt. Als Referenzfall wird im Entsorgungsprogramm von den bestehenden Kernkraftwerken mit einer Betriebszeit von 50 Jahren ausgegangen sowie von den radioaktiven Abfällen aus Medizin, Industrie und Forschung, die während einer Sammelperiode bis ca. 2050 anfallen (Periode, bis im Referenzfall die Einlagerung der von den Kernkraftwerken herrührenden schwach- und mittelaktiven Abfälle in das SMA-Lager abgeschlossen ist). Im Hinblick auf zukünftige Entwicklungen ist eine genügende Flexibilität notwendig. Deshalb werden zu Planungszwecken auch die Art und Menge der radioaktiven Abfälle ausgewiesen, die bei einer Verlängerung der Betriebszeit der bestehenden Kernkraftwerke und der Sammelperiode der Abfälle aus Medizin, Industrie und Forschung je um weitere 10 Jahre entstehen würden. Weiter wird aufgezeigt, mit welchen Abfällen zu rechnen wäre bei einer zusätzlichen Produktion von 5 GWe während 60 Jahren als Ersatz der bestehenden Kernkraftwerke, der schrittweise auslaufenden Lieferverträge mit Frankreich und zur Berücksichtigung einer moderaten Zunahme des Stromverbrauchs.
Die entstehenden Abfälle werden laufend konditioniert, charakterisiert und inventarisiert. Vor Beginn der Konditionierung eines Abfallstroms wird das vorgeschlagene Konditionierverfahren auch durch die Nagra bezüglich der Endlagerfähigkeit der fertigen Abfallgebinde beurteilt. Dies ist Voraussetzung für die behördliche Freigabe der routinemässigen Konditionierung. Auch im Rahmen der für die verschiedenen Entscheidungspunkte zu erstellenden Sicherheitsberichte werden die konditionierten Abfälle evaluiert, und es ist grundsätzlich möglich, dass gewisse Konditionierverfahren bei wichtigen neuen Erkenntnissen modifiziert werden. Neben der Information über die vorhandenen Abfälle besteht auch für die erst in Zukunft anfallenden Abfälle ein modellhaftes Inventar. Damit ist eine zuverlässige Basis vorhanden für die Planung und Realisierung der geologischen Tiefenlager und für die Bewirtschaftung der vorhandenen Zwischenlager.
- Benötigte geologische Tiefenlager einschliesslich ihres Auslegungskonzepts: Das schweizerische Entsorgungskonzept geht von zwei verschiedenen geologischen Tiefenlagern aus, das SMA-Lager (Lager für die schwach- und mittelaktiven Abfälle) und das HAA-Lager (Lager für die abgebrannten Brennelemente, die verglasten hochaktiven Abfälle aus der Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente und für die langlebigen mittelaktiven Abfälle). Das SMA- und das HAA-Lager können an zwei verschiedenen Standorten, bei einer entsprechenden geologischen Situation aber auch am gleichen Standort (mit den Lagerkammern für beide Lager entweder in der gleichen oder aber in unterschiedlichen geologischen Schichten) erstellt werden, ein sogenanntes 'Kombilager'. Unter Beachtung der gesetzlichen und behördlichen Vorgaben wurden für die verschiedenen Lager die zu berücksichtigenden konzeptuellen Vorgaben und Annahmen definiert, die modellhaft in verschiedenen Projekten umgesetzt wurden. Die vorgeschlagenen Auslegungskonzepte berücksichtigen die Vorgabe in der Kernenergiegesetzgebung, dass die Langzeitsicherheit durch gestaffelte passive Sicherheitsbarrieren zu gewährleisten ist. Für die zukünftige Realisierung existieren für einzelne Elemente der Lager verschiedene Alternativen zur Ausgestaltung, bei welchen die standort-spezifischen Gegebenheiten berücksichtigt werden. In den zukünftigen Verfahren ist sicherzustellen, dass zur Berücksichtigung der in Zukunft anfallenden Informationen und Erkenntnisse (Resultate der Exploration der Standorte, Kenntniszuwachs durch Forschung und Entwicklung) der notwendige Handlungsspielraum zur optimalen Gestaltung der Lageranlagen erhalten bleibt. Bei der Planung sind auch die Abfälle infolge zukünftiger Entwicklungen bezüglich Kernenergie und bezüglich Verwendung radioaktiver Materialien in Medizin, Industrie und Forschung zu berücksichtigen; deshalb ist bei der Planung auf eine Erweiterungsfähigkeit der Lagerkapazität der geologischen Tiefenlager zu achten
- Zuteilung der Abfälle zu den geologischen Tiefenlagern: Die Standortwahl und die Lagerauslegung haben die Zuteilung der Abfälle auf die verschiedenen Lager zu berücksichtigen. Für die Erarbeitung von Vorschlägen für die geologischen Standortgebiete wurde eine solche Zuteilung vorgenommen, welche die spezifischen Eigenschaften der Abfälle berücksichtigt. Die Abfallzuteilung wurde bei der Ableitung der Anforderungen an die Geologie als Grundlage für die Erarbeitung von Vorschlägen für die geologischen Standortgebiete mit einbezogen. Die Abfallzuteilung wird im Rahmen der verschiedenen nuklearen Bewilligungsverfahren schrittweise verfeinert.
- Realisierungsplan für die Erstellung der geologischen Tiefenlager: Die gesetzlichen und behördlichen Vorgaben sowie die Festlegung weiterer konzeptueller Vorgaben und Annahmen bilden den Ausgangspunkt für die Ableitung eines Realisierungsplans für das SMA- bzw. HAA-Lager. Die Vorgaben und Annahmen erlauben es, den grundsätzlichen Ablauf festzulegen und die notwendigen Arbeiten aufzulisten. Nach Abschätzung des Zeitbedarfs für die Abwicklung der technischen Arbeiten und für die behördlichen Verfahren kann der Realisierungsplan definiert werden. Dieser geht von einer rechtsgültigen Rahmenbewilligung in 2018 und in Anlehnung an die Kostenstudie von einer Betriebsaufnahme für das SMA-Lager in 2035 und für das HAA-Lager in 2050 aus. Dabei wird angenommen, dass es zu keinen zeitaufwendigen Rekursen kommt, und dass die technischen Arbeiten zügig abgewickelt werden können.
Der Realisierungsplan berücksichtigt die standortbezogenen Arbeiten für das SMA- und HAA-Lager sowie die standortunabhängigen, eher generischen Arbeiten, welche im Rahmen eines Forschungs- und Entwicklungsprogramms abgewickelt werden. Die im Realisierungsplan vorgesehenen Arbeiten berücksichtigen die Empfehlungen der Behörden und ihrer Experten in ihren Gutachten und Stellungnahmen zu den bisherigen Nagra-Arbeiten. Die Nagra hat bzgl. Umsetzung der Hinweise und Empfehlungen in den Gutachten und Stellungnahmen zum Entsorgungsnachweis HAA einen separaten Bericht verfasst.
Das im Gesetz vorgesehene schrittweise Bewilligungsverfahren lässt es zu, den notwendigen Handlungsspielraum zur optimalen Gestaltung der Lageranlagen zu erhalten. Ebenso ist es gemäss Gesetz möglich, die bei jedem Bewilligungsschritt absehbaren Abfälle infolge zukünftiger Entwicklungen in der Kernenergie und bei der Verwendung radioaktiver Materialien in Medizin, Industrie und Forschung zu berücksichtigen. Werden die Gesuche bzw. die Bewilligungen entsprechend gehandhabt, so kann die zukünftig anfallende Information (Resultate der detaillierten Exploration der Standorte, Kenntniszuwachs durch Forschung und Entwicklung) optimal genutzt werden, und auch eine allfällige sich aufdrängende Erweiterung der Lagerkapazität der geologischen Tiefenlager kann berücksichtigt werden. Ebenso ist die schrittweise Verfeinerung der Abfallzuteilung möglich.
Die Verantwortung für die Entsorgung liegt bei den Entsorgungspflichtigen. Diese haben die Nagra mit der Wahrnehmung aller Aufgaben im Hinblick auf die Realisierung der geologischen Tiefenlager betraut. Die Nagra unterhält ein auf die speziellen Anforderungen ausgerichtetes formelles Management-System, innerhalb dessen alle Arbeiten abgewickelt werden. Für diese Arbeiten stützt sich die Nagra auf hochqualifizierte Mitarbeiter und neben den auf dem Markt erhältlichen qualifizierten Auftragnehmern teilweise auch auf über mehrjährige Verträge abgesicherte Kompetenzzentren, auf Institute im In- und Ausland und auf Partnerprojekte.
- Dauer und benötigte Kapazität der zentralen und der dezentralen Zwischenlagerung: Die anfallenden radioaktiven Abfälle müssen zwischengelagert werden, bis sie in die entsprechenden geologischen Tiefenlager verbracht werden können. Für das SMA-Lager ist dies gemäss Realisierungsplan ca. 2035, für die abgebrannten Brennelemente, für die verglasten hochaktiven Abfälle und die langlebigen mittelaktiven Abfälle ist dies unter Berücksichtigung der notwendigen Abkühlzeiten der einzulagernden Abfälle ca. 2050 möglich. Für die bestehenden Kernkraftwerke und für die bis 2050 erwarteten Abfälle aus Medizin, Industrie und Forschung kann genügend Zwischenlagerkapazität zur Verfügung gestellt werden, um die anfallenden Abfälle bis zu ihrer Einlagerung in die geologischen Tiefenlager sicher zwischenzulagern. Falls sich die Inbetriebnahme der geologischen Tiefenlager weiter nach hinten schieben sollte, können die Zwischenlager auch länger betrieben werden. Die für den Transport der Abfälle erforderliche Infrastruktur und Technologie ist vorhanden und erprobt, und für die zukünftig notwendige Infrastruktur sind Konzepte vorhanden.
- Finanzplan für die Entsorgungsarbeiten bis zur Ausserbetriebnahme der Kernanlagen: Zur Festlegung der Beiträge für den Stilllegungs- und Entsorgungsfonds und der zu tätigenden Rückstellungen der Eigentümer der Kernanlagen werden die Kosten der Entsorgung und der Stilllegung periodisch geschätzt. Die letzte Kostenstudie wurde 2006 durchgeführt; diese wurde von den Behörden (HSK) geprüft und am 6. Dezember 2007 von der Verwaltungskommission des Stilllegungs- und Entsorgungsfonds genehmigt. Die Kostenstudie 2006 ist die Basis für die im vorliegenden Entsorgungsprogramm aufgeführten Kosten. Die Finanzierung der zukünftigen Kosten erfolgt einerseits direkt durch die Eigentümer (Kosten vor Ausserbetriebnahme der Kernkraftwerke) und andererseits über den Stilllegungsfonds für die Kosten der Stilllegung der Kernanlagen und über den Entsorgungsfonds für die Kosten der Entsorgungsaufgaben nach Ausserbetriebnahme der Kernkraftwerke. Das Berechnungsmodell für die Rückstellungen basiert auf der aktuellen Kostenstudie, und es wird dadurch sichergestellt, dass die gebildeten und die zukünftig noch zu tätigenden Rückstellungen sämtliche erwarteten Kosten abdecken unter Berücksichtigung der Kapitalerträge (Annahme einer Anlagerendite von 5 % und einer Teuerungsrate von 3 %).
- Informationskonzept: Im Hinblick auf die Realisierung der benötigten Tiefenlager sind ein aktiver Dialog mit den Interessierten und eine umfassende Information der Öffentlichkeit zu allen Fragen der nuklearen Entsorgung entscheidend. Die Bevölkerung soll in die Lage versetzt werden, die unterschiedlichen Rollen der beteiligten Akteure zu verstehen. Im Rahmen des Sachplans geologische Tiefenlager und der nachfolgenden Bewilligungsverfahren nach Kernenergiegesetz liegt die Federführung und damit die Verfahrensinformation bei den Bewilligungsbehörden (in erster Linie dem BFE), die dafür zuständig sind, der Bevölkerung in geeigneter Weise die Mitwirkung an den Verfahren zu ermöglichen. Sie können dazu die Aufsichtsbehörden und fallweise die Nagra mit ihrem Fachwissen beiziehen. Die Aufsichtsbehörden (insbesondere die HSK bzw. das ENSI) nehmen zu Gesuchen und dem Betrieb von Kernanlagen betreffend Sicherheit Stellung und gewährleisten mit ihrer Tätigkeit als unabhängige Instanz die Einhaltung der Sicherheitsbestimmungen. Sie informieren die Öffentlichkeit über die Ergebnisse ihrer Aufsicht und sind deren Ansprechpartner für Sicherheitsfragen. Die Nagra ist von den Entsorgungspflichtigen mit der Vorbereitung, dem Bau und dem Betrieb der Tiefenlager beauftragt. In dieser Rolle informiert die Nagra über ihre Arbeiten, Untersuchungsresultate, Projekte und später über den Bau und Betrieb der Anlagen. Sie pflegt einen aktiven Dialog mit Interessierten.
Die Nagra informiert frühzeitig, regelmässig und ohne Vorbehalte über den Stand ihrer Arbeiten und über ihre Vorhaben. Ihre Informationsarbeit hat zum Ziel, die Anliegen der verschiedenen Anspruchsgruppen kennen zu lernen und diese über die nukleare Entsorgung allgemein sowie die Tätigkeiten der Nagra im Besonderen zu informieren. Der Schweizer Öffentlichkeit werden die Gründe transparent dargelegt, warum die radioaktiven Abfälle in geologischen Tiefenlagern eingeschlossen werden sollen. Die Bevölkerung und die Politiker sollen in die Lage versetzt werden, den Handlungsbedarf zu erkennen und sich zu den konkreten Projekten im Sachplanverfahren eine objektive Meinung bilden zu können. Durch ausgebildetes Fachpersonal sowie einen kontinuierlichen Anpassungsprozess an die Bedürfnisse der Anspruchsgruppen und die Verfahrensschritte werden die einzusetzenden Instrumente für die Information und Kommunikation auf aktuellem Stand gehalten.
Das vorgelegte Entsorgungsprogramm dokumentiert die Rahmenbedingungen und das grundsätzliche Vorgehen für die zeitgerechte Realisierung der benötigten langfristig sicheren Tiefenlager und gibt Auskunft zu den in der Kernenergieverordnung aufgeführten Themenkreisen, jedoch ohne dem Sachplanverfahren vorzugreifen. Das Entsorgungsprogramm enthält auch einen Vorschlag der Entsorgungspflichtigen, wie die Lager auf konzeptueller Ebene auszulegen sind (inkl. vorhandener Alternativen), wie bei der Realisierung die einzelnen Schritte ausgestaltet werden sollen, wie der Realisierungsplan dazu aussieht und welche finanziellen Mittel dafür notwendig sind. Nach erfolgter Begutachtung und Genehmigung des Entsorgungsprogramms ist eine aktive und zielstrebige Mitarbeit aller Beteiligten erforderlich, damit es in absehbarer Zeit zu den erwünschten Fortschritten bei der Realisierung der geologischen Tiefenlager kommt.
Für die nahe Zukunft ist das Arbeitsprogramm klar definiert. Bis zur nächsten Aktualisierung des Entsorgungsprogramms in etwa fünf Jahren werden bedeutende Fortschritte erwartet, insbesondere die Festlegung von möglichen geologischen Standortgebieten bzw. Standorten in den vom Bundesrat zu genehmigenden Objektblättern für die Etappe 1 (Vororientierung) und für die Etappe 2 (Zwischenergebnis) gemäss Sachplan geologische Tiefenlager.