Technical Report NTB 91-12

Grimsel Test SiteStructural geology and water flow paths in the migration shear zone

Einleitung: Die Scherzone im Ventilationsstollen des Felslabors Grimsel (FLG) bei VT 420 ist die direkte Fortsetzung der Migrationsscherzone AU 96, an welcher hydraulische und Tracer-Migrationstests durchgeführt werden. Ein 20 cm dicker Bohrkern wurde bei VT 420 derart entnommen, dass die äusserst fragilen und teilweise kohäsionslosen Strukturen der Scherzone weitgehend erhalten geblieben sind. Der Bohrkern wurde anschliessend mehrfach mit Epoxid-Harz gehärtet, und Dünnschliffe wurden in allen drei Hauptebenen der Gesteinsdeformation (d. h. parallel/senkrecht zur Schieferung und Streckungslineation) hergestellt. Durch Vakuum-Imprägnation mit fluoreszierendem Harz wurde die mikroskopische Beobachtung des Gesteinsporenraums bis in den unteren μm-Bereich ermöglicht.

Duktile Scherzone: Die duktile Scherzone streicht bei VT 420 WSW-ENE mit einem steilen Einfallen nach SSE und ist 0.15 – 0.90 m mächtig. Sie steht parallel zur regionalen Schieferung des Grimsel-Granodiorits und ist somit eine S-Scherzone. Die Scherrichtung ist subvertikal und steht parallel zur Streckungslineation. Bei Blickrichtung nach E ist der Schersinn sinistral, es handelt sich also um eine steile Überschiebung, für welche ein minimaler Scherbetrag von 3 m abgeschätzt werden kann. Die Bildung der duktilen Scherzone hängt mit der alpinen grünschieferfaziellen Metamorphose und der Ausbildung der regionalen Schieferung zusammen. Der Deformationsstil ist rein duktil und beinhaltet die Bildung mylonitischer Zonen, welche sich durch Glimmerreichtum und eine gegenüber dem Nebengestein deutlich erniedrigte Korngrösse auszeichnen. Die Scherzone ist deutlich asymmetrisch, mit einer scharfen Nordgrenze (sehr hoher Deformationsgradient) und einer undeutlichen, fliessenden südlichen Berandung.

Spröddeformation: Während der postorogenen regionalen Hebung der Alpen wurde die bis dahin kompakte und dichte Scherzone reaktiviert und durch differentielle Blockbewegungen spröd deformiert. Dabei sind mehrere mm mächtige Horizonte kohäsionsloser Bruchbrekzien («Fault breccias», «Kluftletten») entstanden, hauptsächlich in den stark mylonitischen Bereichen der duktilen Scherzone, welche eine präexistente Schwächezone mit reduzierter Festigkeit (Glimmerreichtum, hohe Deformationsgradienten) darstellen. Die Bruchbrekzien können genetisch als «Fault gouges» interpretiert werden und bestehen aus kaum gerundeten Gesteinsfragmenten, welche in einer sehr feinkörnigen, glimmerreichen Matrix eingebettet sind. Diese ist weitgehend kohäsionslos, weil auf die Spröddeformation keine hydrothermale Umwandlung mit Zementation folgt. Als Entstehungshypothesen der «Fault gouges» werden neben differentiellen Hebungsbewegungen auch periodische Bewegungen wie Gezeiteneffekte oder Wasserstandsänderungen in den nahegelegenen Staubecken in Betracht gezogen.

Quantitative Porosimetrie: Zur Charakterisierung und Quantifizierung des verbundenen Porenraums der verschiedenen Gesteinstypen in der Scherzone wurden mehrere Methoden angewandt (Hg-Druckporosimetrie, Wasser-Gravimetrie, Imprägnation mit Polymethylmethacrylat PMMA). Wegen ihrer Kohäsionslosigkeit kann die Porosität der «Fault gouges» nicht gemessen werden, wird aber aufgrund der Dünnschliffbeobachtungen auf 10 – 30 Vol.% geschätzt. Ultramylonitische Partien haben wegen ihres dichten, rekristallisierten Gefüges nur geringe Porositäten (0.5 Vol.%). Die Porosität nimmt mit abnehmender duktiler Deformation zu und erreicht im granodioritischen Nebengestein Werte > 1 Vol.%. Die Porosität von wenig deformiertem Granodiorit nimmt mit zunehmender Distanz von der Stollenwand ab (10 % auf den ersten 20 cm), was als künstlicher Auflockerungseffekt beim Fräsen des Stollens betrachtet wird (Mikrorissbildung).

Extrapolation der beobachteten Strukturen auf grössere Massstäbe: Die Untertag­Beobachtungen, welche sich auf die Grösse des Stollenquerschnitts beschränken müssen, wurden durch eine geologische Kartierung an der Oberfläche ergänzt. Ähnliche Strukturen wie im Stollen wurden im Meter – Dekameter-Bereich am Räterichsboden-Stausee angetroffen. Es wird angenommen, dass die beobachteten Strukturmuster bis in den 100 m-Bereich extrapoliert werden können.

Bedeutung für den Wasserfluss und Stofftransport: Der heutige Wasserfluss durch die Migrationsscherzone wird durch Strukturen dominiert, welche im Zuge der spröden Deformation entstanden sind: Die «Fault gouges» sind hydrothermal nicht zementiert und daher hochporös. Sie werden umgeben von dichtem mylonitischem Material, welches aber Kanäle parallel den Glimmerplättchen aufweist und eine Verbindung zum höherporösen granodioritischen Nebengestein gewährleistet. Dieses enthält ein gut verbundenes Netz von Korngrenzporen und transgranularen Poren mit Öffnungsweiten um 1 μm. Feldspäte im Granodiorit weisen zudem extrem feine Korrosionsstrukturen auf, welche auf alpine Wässer zurückgehen.

Vorschlag für ein revidiertes konzeptuelles Modell: Revidierte konzeptuelle Modelle werden bezüglich der Porenraumgeometrie, der hydrodynamischen Modellierung und der Transportmodellierung vorgeschlagen. Mittels Dünnschliffbeobachtungen können mikroskopisch-geometrische Parameter wie zum Beispiel Öffnungsweiten, Ausdehnung und Orientierung von Poren abgeleitet werden. Das geometrische Modell besteht aus 3 Bereichen: 1) Bruchbrekzien, charakterisiert durch ein Kluftsystem variabler Öffnung und Orientierung, gefüllt mit einem porösen Medium, 2) Mylonite, welche durch ein anisotropes Netzwerk von Schichtsilikatporen beschrieben werden und 3) Granodioritische Gneise mit einem schwach anisotropen Gefüge von Korngrenzporen. Diese 3 Bereiche sind miteinander verbunden. Durch Mittelungsprozesse kann der mikroskopische Porenraum auch auf den Meso- und Makrobereich übertragen werden. Ferner wird der Einfluss der Advektion, der Dispersion und der Diffusion in den 3 Bereichen qualitativ abgeschätzt. Advektion und mechanische Dispersion scheinen die wesentlichen Prozesse in der Kluftbrekzie zu sein, währenddem molekulare Diffusion im Netzwerk der Domänen 2 und 3 dominiert. Dadurch scheint der Ansatz eines dualen Porenraumtransportes in der Migrationsscherzone gerechtfertigt zu sein.