
Thomas Meyer, auf dem Auto, in dem Sie vorgefahren sind, steht «Amt für Ironie». Was wollen Sie damit sagen?
Es zeigt primär, dass man diverse meiner Aktionen nicht zu ernst nehmen sollte. Aber mit dem Tiefenlager hat diese Aufschrift nichts zu tun.
Ist sie eher eine Begleiterscheinung Ihres Lebens?
Ich denke, sie ist die Ausdrucksform meines Naturells. Aber es ist lustig, wie die Menschen auf diese Aufschrift reagieren. Viele fragen mich, ob es dieses Amt tatsächlich gibt. Ich antworte mit: Nein, aber es sollte existieren. Dann könnte man Leuten Bussen geben für schlechte Witze.
Wer würde das einfordern, Sie?
Ja, und zwar mit Blaulicht!
Seit April begleiten Sie das Projekt Tiefenlager als Kulturgast der Regionalkonferenz. Wie kam es dazu?
Ich kenne Christopher Müller, den Co-Präsidenten der Regionalkonferenz, schon seit 15 Jahren und durfte früher regelmässig für seine Firma arbeiten. Er meinte, es wäre cool, das Projekt Tiefenlager auch künstlerisch zu begleiten. Ich war begeistert, weil es sehr viel hergibt – nicht zuletzt wegen der grossen Widersprüche.
Sie haben mal geschrieben: «Ich bin ein Tschernobyl-Kind, das hat extrem viel mit mir gemacht.» Wie bringt man das zusammen mit Ihrem Engagement in Stadel?
Da haben wir bereits den ersten Widerspruch. Was mich an diesem Projekt gereizt hat, ist Kreativität und Freude. Die empfinde ich auch mit dieser Prägung durch Tschernobyl. Ich war damals zwölf Jahre alt und erinnere mich, dass tagelang nicht klar war, was das Unglück nun genau bedeutet. Müssen wir nun in den Untergrund? Klar war nur, dass es eine sehr grosse, sehr problematische Sache war.
Eine diffuse Bedrohung.
Diffus waren die genauen Auswirkungen, aber die Bedrohung war sehr konkret. Das hat mich kritisch werden lassen und ich kam zum Schluss, Atomkraft sei gefährlich. Später habe ich gelernt, dass Tschernobyl mehr oder weniger mutwillig herbeigeführt wurde und die Konstruktion der russischen Reaktoren sehr günstig war; es gab nicht mal ein Containment. Das Kernkraftwerk Beznau ist zwar ebenfalls uralt, wurde aber immer wieder modernisiert. Aber es bleibt dabei: Der Betrieb eines KKW hat immer ein Restrisiko. Und es bleibt Müll, der extrem lange aktiv und gefährlich ist. Wenn man einen Container öffnen würde, hätte man ein halbes Tschernobyl generiert. Atomare Abfälle sind, Stand heute, ein riesiges Problem. Trotzdem, oder gerade darum, finde ich es hochinteressant, das Projekt Tiefenlager zu begleiten.
Können Sie das genauer erklären?
Atomkraft ist ein Irrweg, die militärische Nutzung erst recht. Die Atommächte haben ihren Finger ständig auf dem roten Knopf, das geringste Missverständnis könnte zur Katastrophe führen. Ich finde, dass es die Kernspaltung nie hätte geben sollen. Gleichzeitig war ich in einem Kernkraftwerk und tief beeindruckt von diesem Wunderwerk der Technik. Bei mir kann das parallel bestehen – und ich glaube, bei vielen anderen ist das auch der Fall.
Sie haben das KKW in Beznau und das Zwischenlager in Würenlingen besucht. Was haben Sie gelernt?
Unter anderem, dass ein KKW primär ein riesengrosser Tauchsieder mit einer Dampfmaschine ist. Ich war fast etwas enttäuscht, weil ich eine komplexere Funktionsweise erwartet hätte, eher wie ein Raumschiff. Aber es ist faszinierend. Da steht man in dieser riesigen Halle, die Tür geht auf, und draussen stehen Isolatoren, von denen eine Stromleitung wegführt. Hier fängt also der Strom an. Dann geht er ins Unterwerk und später auf Hochspannungsmasten, die man in der Ferne sieht.

Lieber hören, statt lesen?
Dieses Interview entstand im Rahmen der dritten Ausgabe des Jahrhundertmagazins «500m+» der Nagra. Hannes Hug interviewte die Protagonistinnen und Protagonisten im Treffpunkt der Nagra in Stadel – der Gemeinde, in der die Oberflächenanlage des Tiefenlagers gebaut werden soll.
Zehn spannende Gespräche ermöglichen neue Perspektiven auf das Tiefenlager. Zu hören ist der Jahrhundertpodcast auf der Website des Jahrhundertmagazins 500m+ oder überall, wo es Podcasts gibt.
Ihre Aufgabe besteht darin, dass Projekt Tiefenlager künstlerisch zu begleiten. Gab es genaue Vorgaben?
Es gab überhaupt keine Vorgaben – über dieses Vertrauen habe ich mich sehr gefreut. Ich habe mich für einen Blog entschieden, den ich mit echten und KI-generierten Fotos bebildere. Für mich ist es die beste und einfachste Art, immer wieder Inhalte zu liefern. Ich habe einen Gedanken, schreibe ihn auf und erstelle ein Bild dazu. Dann geht der Post online und ist allen zugänglich.
Sie haben mithilfe von KI-Figuren wie Benny Brennstab erschaffen, die sehr comic-haft aussehen …
… ich habe bei der Generierung stets den Prompt «cute comic character» benutzt.
Das könnte man als verharmlosend und infantilisierend bezeichnen.
Diese Vorwürfe sind gekommen. Ich begegne ihnen mit dem Argument, dass die Thematik auch für Kinder zugänglich sein soll. Ich wollte eine Frequenz treffen, die auch Kinder erreicht, da das Thema auch sie und deren Kinder betrifft. Die zweite Absicht bestand darin, eine Diskussion herbeizuführen. Mir war klar, dass Vorwürfe kommen werden. Aber ich wollte auch, dass sie kommen.
Wer hat sie kritisiert?
Vor allem Menschen, die vom Tiefenlager in seiner aktuellen Konzeption nicht überzeugt sind. Zudem misstrauen sie der Nagra, die ihre Meinung in den letzten Jahrzehnten mehrfach geändert hat. Ein anderes Argument ist: Warum muss es genau jetzt in den Boden? Warum warten wir nicht, bis wir eine überzeugendere Lösung finden? Dass man den herzigen Benny Brennstab aus dieser Perspektive blöd findet, kann ich nachvollziehen.
Das Interview aus dem Jahrhundertmagazin mit Matthias Braun
Sind Sie auf die Kritik eingegangen?
Jemand meinte, auch die Gefahr müsse thematisiert werden, zum Beispiel mit Susi Strahlung. Ich gab der Person recht und habe mich nochmals an den KI-Bildgenerator gesetzt. Auch der Verein «Nördlich Lägern ohne Tiefenlager» (LoTi) hat mich zum Gespräch eingeladen. Sie kamen mit der Idee von Lotti Lotterfass, die ihren Grundzweifel am Konzept ausdrücken soll. Dasselbe tut Reto Restrisiko.
Sie gingen also sammeln, könnte man sagen.
Mir war wichtig, überall zu sammeln. In den Werken, im Zwischenlager, bei Befürwortern und Gegnern.
Haben Sie deren Sorgen und Ängste berührt oder waren Sie streng wissenschaftlich unterwegs?
Ich war letztlich als Privatperson unterwegs – und gewisse Argumente haben mich überzeugt, andere nicht. Die hohen Sicherheitsstandards zum Beispiel finde ich überzeugend. Und die Frage, ob man warten sollte, bis man mehr weiss, finde ich berechtigt. Wobei die Nagra ja betont, dass das Tiefenlager erst in hundert Jahren definitiv geschlossen wird. Zudem wird so gebaut, dass die Container wieder hervorgeholt werden können. Anfangs etwas einfacher, später wird es aufwendiger.
Wurden Sie überrascht bei diesen Begegnungen?
Nicht unbedingt. Ich weiss, wie der Mensch politisch funktioniert: Er arbeitet mit Gefühlen, nicht primär mit Fakten. Das sieht man bei jeder Abstimmung. Viele haben keine Ahnung, worum es geht – ich oft auch nicht. Viele befassen sich gar nicht mit der Thematik. Sie finden es super, dass der Müll vergraben wird, Hauptsache nicht bei ihnen.
«Ich weiss, wie der Mensch politisch funktioniert: Er arbeitet mit Gefühlen, nicht primär mit Fakten. Das sieht man bei jeder Abstimmung.»
Thomas Meyer, über seine Erfahrungen als erster Kulturgast der Regionalkonferenz Nördlich Lägern
Wäre es Ihnen lieber, die Menschen würden ihre Widersprüche transparent machen?
Ueli Maurer meinte mal, dass er von gewissen Vorlagen nur zu sechzig Prozent überzeugt gewesen sei. Dennoch habe er so tun müssen, als stehe er hundert Prozent hinter ihnen. Eine sehr ehrliche Aussage, wie ich finde. Viele Menschen haben grosse Probleme, Widersprüche auszuhalten. Es ist anstrengend, weil es einen zwingt, sich zu informieren.
Ein Tiefenlager in Stadel, diesem pittoresken, in eine schöne Landschaft eingebettetes Dorf – ist das nicht auch ein Widerspruch?
Wenn es nicht hierhin passt, dann passt es nirgendwo hin. Natürlich ist es ein Kontrast, aber diese Kontraste findet man überall.
Als Kolumnist haben Sie sich früher als «Federhure» bezeichnet. Wofür würden Sie sich, auch gegen Bezahlung, nicht engagieren lassen?
Da fallen mir schon Dinge ein, aber wenn ich länger darüber nachdenke, beginnen auch sie mich zu faszinieren. Ich gehe gerne dorthin, wo es unangenehm ist, dann wird es interessant. Aber wenn jetzt die SVP käme und Texte für eine ökologiekritische Kampagne bräuchte, würde ich ablehnen.
Die Verfilmung Ihres Buchs war die erste Schweizer Netflix-Produktion. Wie gross ist das Netflix-Potenzial des Tiefenlagers in Stadel?
Es ist immer eine Frage der Herangehensweise; meiner Meinung nach gibt es keine langweiligen Themen. Es gibt einen langweiligen Umgang mit Themen, aber die Themen sind alle gleich interessant. Man kann überall etwas ergründen und forschen.
Letzte Frage, die ich allen stelle: Wenn Sie im geplanten Tiefenlager eine Botschaft hinterlassen könnten, was stünde auf Ihrem Zettel?
Ich hoffe, dass niemand jemals hinuntersteigen und den Zettel lesen wird. Falls doch, wäre eine Entschuldigung angebracht.

Thomas Meyer ist Kolumnist und Autor. Schweizweit bekannt wurde er mit dem 2018 verfilmten Roman «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse». Als Kulturgast der Regionalkonferenz – einer rund 120-köpfigen Projektgruppe, die sich beim Bau des Tiefenlagers für die Interessen der Region einsetzt – begleitete er das Vorhaben rund um die Verwahrung des Schweizer Atommülls in der Region Nördlich Lägern zwischen Mai und Oktober 2024 mit unregelmässigen Blogbeiträgen.
Bilder: Maurice Haas / Nagra
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Eigentlich sei das, was die Nagra mache, Science-Fiction, sagt Nagra-CEO Matthias Braun in der dritten Ausgabe des Jahrhundertmagazins «500m+». Allerdings Science-Fiction, die auf harten Fakten beruht – und auf Schwarmintelligenz.