Verhaltenskodex für die Nagra: Ziel ist der Prozess, keine Hochglanzbroschüre


Im Oktober 2012 geriet die Nagra durch die Veröffentlichung einer internen Aktennotiz in die Kritik. Die Entsorgung radioaktiver Abfälle ist eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe.Um sie lösen zu können, muss die Nagra transparent agieren, sich ständig hinterfragen und an Verbesserungen interessiert sein. Als Folge der Ereignisse erarbeitet die Nagra derzeit unter der Leitung von VR-Präsident Pankraz Freitag und mit fachlicher externer Begleitung einen Verhaltenskodex für das Unternehmen und seine Mitarbeitenden. Ziel ist, die Transparenz nach innen und nach aussen zu erhöhen.

Wissenschaftler bei der Nagra (Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle) scheinen hervorragende Bedingungen zu haben, fasst Professor Dr. Jean-Paul Thommen, Titularprofessor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Zürich, die Eindrücke aus ersten Gesprächen mit Mitarbeitenden der Nagra zusammen. Die Wissenschaftler arbeiten an vorderster Front von Forschung und Entwicklung. Sie pflegen eine enge Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen und unterliegen – anders als in der Privatwirtschaft – nicht in erster Linie ökonomischen Zwängen. Der Unternehmensethiker Thommen unterstützt die Nagra bei der Erarbeitung eines Verhaltenskodexes.

Die Nagra arbeitet in einem Spannungsfeld zwischen Wissenschaft, Politik und Emotionen. Die Entsorgung radioaktiver Abfälle ist zwar eine anerkannt wichtige Aufgabe, aber eine in der Öffentlichkeit weitestgehend unbeliebte Angelegenheit. Im Oktober 2012 gipfelte dies in Fragen wie: Arbeitet die Nagra bei dem Standortauswahlverfahren ergebnisoffen? Kann man ihr trauen? Es wurde mehr Transparenz von der Nagra gefordert. «Die Mitarbeitenden der Nagra müssen stärker sensibilisiert werden für dieses Spannungsfeld», erklärt Thommen. Dies sei eine Voraussetzung für eine angemessene Zusammenarbeit mit allen Anspruchsgruppen.

Die wissenschaftliche Kompetenz der Nagra stehe ausser Frage, erklärt VR-Präsident Freitag. Der öffentliche Druck, dem die Organisation ausgesetzt ist, ebenfalls. «In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns», sagt Freitag. Im Zuge der Erarbeitung des Verhaltenskodexes werde unter anderem auch das Organisations- und Führungsverständnis überprüft. «Wir brauchen eine solide Grundlage für die Bewältigung der komplexen Problemstellungen in diesem anspruchsvollen gesellschaftlichen Umfeld», so Freitag.

Mit Thommen hat Freitag einen ausgewiesenen Experten für Unternehmenskultur und -ethik ins Boot geholt. «Das Ziel ist, gemeinsam mit allen Mitarbeitenden einen Verhaltenskodex zu erarbeiten, nicht eine Hochglanzbroschüre herauszugeben», erklärt Thommen. Nur durch einen gemeinsam gestalteten Prozess können Richtlinien für glaubwürdiges Handeln in der Unternehmenskultur verankert werden.

Neben den Mitarbeitenden werden auch externe Anspruchsgruppen in den Prozess einbezogen. «Bei der Erfüllung unserer Aufgabe sind wir stark von der Aussenwirkung abhängig», erklärt Freitag. Wissenschaftlich gut zu sein, sei eine Voraussetzung für eine sichere Entsorgung. Wissenschaftlichkeit alleine reiche aber nicht aus: «Wir stehen im Fokus der Öffentlichkeit und müssen darum höhere Ansprüche an eine transparente Arbeitsweise erfüllen als andere», fährt Freitag fort.

Der Verhaltenskodex wird in diversen Workshops bis Ende 2013 gemeinsam mit allen Mitarbeitenden sowie externen Vertretern erarbeitet und anschliessend veröffentlicht.