Der Nagra stehen spannende Zeiten bevor
Herr Guzzella, was hat Sie motiviert, das Amt als Verwaltungsratspräsident zu übernehmen?
Ich interessiere mich schon seit meiner Jugend für Technik und insbesondere für Energiefragen. Einige Teilgebiete der Nagra sind mir bekannt, viele sind aber Neuland. Mithelfen zu dürfen, dass das Projekt «Tiefenlager» die gesetzten Ziele erreicht, ist daher eine grosse Motivation für mich, insbesondere da der Nagra spannende Zeiten bevorstehen. Unter der Leitung des neuen CEOs Matthias Braun werden wir im nächsten Jahr einen Vorschlag für den Standort des geologischen Tiefenlagers machen. Im Jahr 2024 wird dann ein Rahmenbewilligungsgesuch eingereicht werden. Den Evaluationsprozess durch die Exekutive, die Legislative und schliesslich den Souverän begleiten zu dürfen, ist hoch spannend.
Vor Ihrem Amtsantritt waren Sie ein halbes Jahr Nagra-Verwaltungsrat. Was hat Sie in dieser Zeit am meisten überrascht?
Ich bin vielmehr beeindruckt als überrascht worden. Beeindruckend fand und finde ich erstens die hohe fachliche Qualität der Arbeiten der Nagra in den Bereichen Geologie und Modellierung der Untergrunddynamik. Zweitens hat mich die Qualität der Nagra-Publikationen beeindruckt, sowohl die ans breite Publikum, als auch die an die Fachwelt gerichteten Veröffentlichungen. Und drittens hat mich der freundliche und offene Empfang aller Nagra-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter sehr gefreut.
Ihre Vorgängerin Corina Eichenberger hat in ihrer Abschiedsrede an der letzten Nagra-GV gesagt, sie übergebe Ihnen «eine Nagra auf Kurs». Teilen Sie diese Einschätzung?
Auf jeden Fall. Das Projekt ist sehr gut unterwegs, in der Standortsuche befinden wir uns im Endspurt. Die Nagra hat in den letzten Jahrzehnten dafür die nötigen theoretischen und experimentellen Grundlagen geschaffen. Corina Eichenberger und der abtretende CEO Thomas Ernst haben in den letzten Jahren hervorragende Arbeit geleistet, für die ich sehr dankbar bin.
In der Vergangenheit haben Sie öffentlich dafür plädiert, die Kernenergie auch in Zukunft zu nutzen. Die Nagra hat in den letzten Jahren stets betont, dass sie energiepolitisch neutral sei. Bleibt die Nagra neutral?
Selbstverständlich, die Nagra als Organisation bleibt neutral. Die Nagra hat einen klaren Auftrag, nämlich ein geologisches Tiefenlager vorzubereiten. Für oder gegen die Kernenergie zu werben, gehört nicht zu ihrem Auftrag und alle Mitarbeitenden können selbstverständlich ihre eigene Meinung haben zum Thema Kernenergie.
Auch ich persönlich erlaube mir eine persönliche Meinung. Der durch die Menschheit verursachte Klimawandel ist eine ernsthafte Bedrohung für die kommenden Generationen. Die Elektrifizierung weiter Bereiche wird mithelfen, die schlimmsten Szenarien zu vermeiden, allerdings nur, wenn die dafür eingesetzte elektrische Energie weitgehend ohne Ausstoss von Treibhausgasen erfolgt. Die Kernenergie leistet dazu einen Beitrag. Daher sollten wir meiner Meinung nach auch diese Option in Betracht ziehen. Hätte man in den 1950er Jahren in der Schweiz statt auf die Kernenergie auf Kohle gesetzt – es gab namhafte Stimmen, die das vorschlugen – hätte man statt den circa 10’000 Kubikmeter hochaktive Abfälle, die wir in ein Tiefenlager einbringen werden, etwa 500 Milliarden Kubikmeter CO2 in die Atmosphäre geblasen. Dass dies vermieden wurde, erachte ich als einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz.
Sie haben betont, dass Sie mit den Genossenschaftern eng zusammenarbeiten wollen. Wie lässt sich die Zusammenarbeit verstärken?
Die Eigner der Nagra haben diese Organisation geschaffen, um ein konkretes Ziel zu erreichen: Die radioaktiven Abfälle langfristig sicher in einem geologischen Tiefenlager zu entsorgen. Dieses Ziel gilt es mit der nötigen Qualität und innerhalb des gegebenen Zeit- und Finanzrahmens zu erreichen. Als Präsident des Verwaltungsrats werde ich alles tun, damit alle Akteure, also Eigner, Verwaltungsrat und Geschäftsleitung optimal auf dieses Ziel hinarbeiten – und dies mit Freude, Respekt und Engagement.