e-Newsletter 4 – März 2021


Die Suche nach einem Standort für ein Atomendlager kommt voran. Eine Verzögerung wäre dennoch kein Weltuntergang, denn «die Tiefenlagersuche ist kein Wettrennen», sagt Nagra-Geschäftsleitungsmitglied Maurus Alig im ersten Beitrag. Im Zentrum stehe nicht der Zeitplan, sondern die Sicherheit. Wie weit wir in der Standortsuche sind und wie gut die Nagra die Geologie in den drei möglichen Standortregionen schon kennt, erfahren Sie im zweiten Beitrag. Unser dritter Beitrag erklärt, wieso wir jahrelang einen Stollen im Berg heizen. Zudem präsentieren wir Ihnen einen spannenden Artikel vom Bundesamt für Energie über die Akzeptanz von Tiefenlagern.

«Die Tiefenlagersuche ist kein Wettrennen»

Die Suche nach dem besten Ort für ein geologisches Tiefenlager befindet sich in der dritten und somit letzten Etappe. Welche Auswirkungen hätten Verzögerungen in dieser Schlussphase auf das Projekt und die Lagerung des Atommülls in der Schweiz?

Wie liegen wir bei der Suche nach einem geologischen Tiefenlager im Zeitplan?

Wir sind in der letzten Etappe der Standortsuche gut unterwegs. Voraussichtlich im Jahr 2022 können wir die Region bekannt geben, für die wir im Jahr 2024 ein so genanntes Rahmenbewilligungsgesuch einreichen wollen. Das ist ein wichtiger Meilenstein. Bis dahin müssen noch einige geologische Untersuchungen aus den drei potenziellen Standortgebieten Jura Ost, Nördlich Lägern und Zürich Nordost ausgewertet werden, um den besten Ort für ein Tiefenlager zu ermitteln. Da liegt also noch ein Weg vor uns. Ich bin jedoch zuversichtlich.

Wären Verzögerungen in der Schlussphase denn schlimm?

Der Zeitplan ist ambitioniert, und Verzögerungen können wir nicht ausschliessen: Die Geologie hält manchmal Überraschungen bereit. Doch die Standortsuche ist kein Wettrennen. Wir müssen es richtig und sorgfältig machen, um das Generationenprojekt für die Schweiz zum Erfolg zu führen. Diese Verantwortung nehmen wir sehr ernst. Ob wir ein Jahr früher oder später fertigwerden, ist dabei nicht so wichtig. Wir nehmen uns die Zeit, die wir brauchen, und lassen uns nicht hetzen. Und dennoch: Wir sind aktuell gut auf Kurs.

In zehn Jahren kann sehr wahrscheinlich das Stimmvolk über den Vorschlag eines Standortes für das Tiefenlager abstimmen. Was, wenn der Vorschlag an der Urne scheitert?

Wir brauchen eine Lösung, die von der Gesellschaft mitgetragen wird. Deshalb nehmen wir uns genügend Zeit für wichtige Entscheidungen und die Anliegen der Bevölkerung. Wir haben nachgewiesen, dass die sichere Entsorgung des Atommülls in dem Tongestein Opalinuston der Nordschweiz möglich ist. Nun untersuchen wir – unter Aufsicht der Behörden und Mitwirkung zahlreicher Expertengremien – welches der drei potenziellen Gebiete am besten ist, um künftige Generationen zu schützen. Wenn wir das nachvollziehbar begründen können, vertrauen wir auch auf eine Zustimmung an der Urne.

Heute sind die meisten radioaktiven Abfälle im Zwischenlager ZWILAG deponiert. Wäre – für den Fall einer deutlichen Verzögerung des Projekts – auch ein geologisches Tiefenzwischenlager denkbar?

Definitiv nicht. Wir leben heute in einer stabilen Gesellschaft, deshalb ist auch das Zwischenlager an der Erdoberfläche bis zur Errichtung des Tiefenlagers ein sicherer Ort für unsere radioaktiven Abfälle. Das ist aber keine Langzeitlösung. Mit dem Bau eines Tiefenzwischenlagers würde man die Tiefenlagersuche aufschieben und die Verantwortung nachfolgenden Generationen überlassen. Da wir bereits heute in der Lage sind, das Problem zu lösen, erachte ich das nicht als einen verantwortungsvollen Weg.

Wie gehen wir mit Ängsten aus der Bevölkerung vor einem Tiefenlager um?

Wir nehmen die Anliegen und das Informationsbedürfnis der Bevölkerung sehr ernst. Wir suchen das Gespräch, greifen die Ängste auf und möchten die Bürgerinnen und Bürger im wahrsten Sinne des Wortes mitnehmen auf die Reise zu einem sicheren Tiefenlager. Beispielsweise laden wir die Bevölkerung auf die Bohrplätze ein und sind via «Sorgentelefon» 24 Stunden pro Tag für sie zu erreichen.

Die Anwohner von Nuklearanlagen wie dem Zwischenlager haben sich mit der Thematik auseinandergesetzt und Vertrauen gefasst. Das wird hoffentlich auch im Gebiet des geologischen Tiefenlagers so sein. Wenn der Abfall sicher in einem Gebäude an der Oberfläche gelagert werden kann, wie es aktuell gemacht wird, dann kann er auch sicher in einem Bauwerk rund 700 Meter unter der Erde entsorgt werden. Wenn wir das glaubwürdig und nachvollziehbar vermitteln können, haben wir schon viel erreicht.

Es gibt Länder wie Finnland oder Schweden, in denen der Grossteil der Bürger ein Tiefenlager nicht nur akzeptiert, sondern begrüsst. Ist das in der Schweiz vorstellbar?

Das wird die Zukunft zeigen. Wir wären zufrieden, wenn die Bevölkerung das geologische Tiefenlager im Sinne einer solidarischen Verantwortung akzeptieren kann. Aber jetzt machen wir erst einmal einen Schritt nach dem anderen. Wir bleiben im Gespräch und tun unser Bestes, für die Schweiz den besten Ort für ein Tiefenlager zu finden.

Zur Person Maurus Alig:

Alter: 46
Wohnort: Bülach
Hobbies: Fussballjuniorentrainer beim FC Bülach, Sport, Kochen
Job bei der Nagra: Gesamtprojektleiter und Mitglied der Geschäftsleitung

Warum arbeitet Maurus Alig bei der Nagra?
«Weil ich bei der Weiterentwicklung eines unheimlich spannenden Projektes mitwirken darf und (m)einen Beitrag zu einer sicheren Umwelt und damit zu einer besseren Zukunft leisten kann.»

Maurus Alig Bohrplatz

Beitragsbild: Comet Photoshopping, Dieter Enz

Aktueller Stand der Tiefbohrungen

Luftaufnahme Stadel-2

Die Bohrkampagne der Nagra neigt sich dem Ende zu – die Standortsuche für das Atommülllager geht in die finale Phase. Nächstes Jahr gibt die Nagra bekannt, welche Region sich aus ihrer Sicht am besten für das Lager eignet.

Ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zum Tiefenlager für radioaktive Abfälle steht kurz bevor: Nächstes Jahr gibt die Nagra bekannt, welche Region sich aus ihrer Sicht am besten für ein Tiefenlager eignet. «Damit wir das beurteilen können, untersuchen wir seit Jahren den Untergrund und die Gesteine der drei potenziellen Standortregionen Jura Ost, Nördlich Lägern und Zürich Nordost», erklärt Philipp Senn, stellvertretender Bereichsleiter Zusammenarbeit und Öffentlichkeitsarbeit bei der Nagra. Mit sogenannten seismischen Messungen hat die Nagra den Untergrund durchleuchtet – ähnlich wie bei einem Ultraschallbild. Mit den Tiefbohrungen wurden Gesteinsproben entnommen und im Labor untersucht.

In den Regionen Jura Ost und Zürich Nordost ist das Bild des Untergrunds im Grossen und Ganzen vollständig. «Voraussichtlich braucht es in diesen zwei Regionen keine weiteren Untersuchungen», sagt Senn. In der Region Nördlich Lägern, in der Gemeinde Stadel, bohrt die Nagra zurzeit an zwei Orten in die Tiefe. An beiden Orten kommen die Arbeiten gut voran, im Hasliboden sind gut 920 Meter geschafft, im Steinacker knapp 940. Bis Mitte 2021 werden die Bohrarbeiten abgeschlossen. Damit dürfte sich auch das Bild von Nördlich Lägern vervollständigen. «Die Untersuchungen neigen sich dem Ende zu», so Senn. Weitere Bohrungen in den Gemeinden Bachs (Nördlich Lägern) und Rheinau (Zürich Nordost) sind möglich. Dort würden letzte Detailfragen geklärt.

In Stadel bohrt die Nagra seit Mitte Dezember im Gebiet Hasliboden (Bohrung Stadel-3) und seit Ende Januar im Gebiet Steinacker (Bohrung Stadel-2). Im Hasliboden, abgelegen direkt neben der Kiesstrasse, stören Lärm und Baustellenverkehr kaum. Im Steinacker ist die Situation eine andere: Hier stehen Wohnhäuser in der Nähe. Eine Schutzwand schirmt die Anwohnenden gegen Lärm ab – anfangs war der Schutz allerdings nicht gut genug: «Mittlerweile haben wir die Schutzwand verstärkt und den Lärm im Griff», sagt Senn. Für Fragen und Anliegen der Anwohnenden ist die Nagra dank einer Gratis-Hotline (0800 437 333) rund um die Uhr erreichbar.

«Wir kommen dem grossen Ziel näher, die radioaktiven Abfälle der Schweiz sicher zu entsorgen. Nächstes Jahr steht mit unserer Bekanntgabe des am besten geeigneten Standorts ein wichtiger Schritt für das Jahrhundertprojekt Tiefenlager an», erklärt Senn. Das letzte Wort bei der Standortsuche, die vom Bund geführt wird, haben jedoch Bundesrat und Parlament – und, falls ein Referendum zustande kommt, das Schweizer Stimmvolk.

Warum heizt die Nagra einen Stollen im Berg auf?

Die Nagra forscht seit Jahrzehnten an der sicheren Entsorgung von Atommüll in Tiefenlagern. Im Felslabor Grimsel ist 2020 mit «HotBENT» ein neuer, langjähriger Grossversuch gestartet. Die Nagra will damit herausfinden, wie warm es in einem Lagerstollen für hochaktive Abfälle dereinst werden darf. Die Erkenntnisse helfen dabei, Tiefenlager zu optimieren.

Im HotBENT-Versuch geht es um den Bentonit. Die Stollen mit den hochaktiven Abfällen aus den Kernkraftwerken werden mit Bentonit abgedichtet: Die Nagra verwendet ihn, um den Hohlraum zwischen den Abfallbehältern und der Stollenwand dicht auszufüllen. Der Bentonit schliesst so als eine von mehreren Sicherheitsbarrieren die Abfälle im Tiefenlager ein. Er besteht aus Tonmineralen. Bentonit ist deshalb sehr geringdurchlässig für Wasser und quillt bei Feuchtigkeitszutritt auf. Im Tiefenlager geben die hochaktiven Abfälle Wärme an den Lagerstollen ab. Im Versuch wird die Wärme mit Heizelementen (Heizern) simuliert. Am Versuch beteiligen sich neben der Nagra acht weitere internationale Partnerorganisationen.

Schematische Darstellung des Versuchsstollens mit den vier Heizelementen. Mit Bentonit wird der Hohlraum zwischen Endlagerbehälter respektive Heizer und Stollenwand dicht verfüllt.

Es wird heiss für den Bentonit

Bei HotBENT liegen die Temperaturen, denen Bentonit ausgesetzt ist, bei 175 bis 200 Grad Celsius. Dies ist deutlich höher als bei vorhergehenden Versuchen. Wird es dem Bentonit zu warm, besteht die Gefahr, dass er die Abfälle nicht mehr optimal einschliessen kann. Mit HotBENT will die Nagra daher herausfinden, welchen Temperaturen der Bentonit sicher standhalten kann und was geschieht, wenn es noch wärmer würde.

20 Jahre einheizen

Geforscht wird in einem bestehenden Stollen des Felslabors Grimsel. Seit Frühjahr 2020 hat die Nagra den Zugang zu diesem Stollen erweitert und zahlreiche Vorbereitungen getroffen. Im Oktober konnte sie dann das erste Heizelement in den Stollen schieben und die Messinstrumente platzieren. Im November kam die Verfüllmaschine zum Einsatz. Sie hat den Stollen um das erste Heizelement herum mit Bentonitgranulat verfüllt und abgedichtet. Bis Ende Jahr wurde auch das zweite Heizelement in den Stollen gebracht und mit Bentonit verfüllt. Zudem startete der Bau des Zwischensiegels, mit dem der Stollen weiter abgedichtet und verschlossen wird. Bis zu 20 Jahre wird dieser Teil des Versuchs laufen; die Messsensoren in diesem Abschnitt des Stollens sammeln bereits Daten.

Wichtiges Experiment fürs künftiges Tiefenlager

Bis im Frühsommer 2021 werden dann zwei weitere Heizelemente eingebaut. Danach wird der Stollen endgültig verfüllt und versiegelt. Dann werden alle Sensoren, die an mehreren Orten im Stollen installiert sind, fortlaufend Daten liefern. Gemessen werden unter anderem Temperatur, Druck Spannungen, Verschiebungen, Wassersättigung und Gaszusammensetzung.

HotBENT wird die bestehenden Erkenntnisse zu Bentonit und zum Lagerdesign ergänzen und erweitern. «Wenn der Bentonit höhere Temperaturen als bisher angenommen verträgt und trotzdem alle Sicherheitsanforderungen erfüllt, können wir das Tiefenlager optimieren», führt Florian Kober, Projektleiter, aus. «Die Abfallbehälter könnten zum Beispiel näher zusammenrücken, was den Platzbedarf des Lagers verkleinert. Auch die Kosten würden dadurch geringer», so Kober weiter. Solche ein Versuch trägt zur Sicherheit eines zukünftigen geologischen Tiefenlagers für radioaktive Abfälle bei. Die Entsorgung des Atommülls ist ein Jahrhundertprojekt für die Schweiz.

Die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung will kein Tiefenlager in ihrer Gegend. In den letzten Jahren ist die Akzeptanz aber gestiegen. Das zeigt eine neue Studie des Bundes. Lesen Sie hier.