9 (vermeintliche) Alternativen für ein Tiefenlager


Warum schiessen wir den Atommüll nicht einfach ins Weltall? Die Antwort darauf – und weitere kuriose Ideen, wie wir unseren Atommüll loswerden könnten.

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Für die Schweiz ist die Devise klar: Ab in die Tiefe mit dem Atommüll.

Mit dem grossen Abstand zur Oberfläche schafft ein geologisches Tiefenlager die nötige Sicherheit.

Doch Moment mal: Gibt es wirklich keine anderen Möglichkeiten?

So funktioniert das Tiefenlager

Die Frage nach Alternativen taucht oft auf. Besonders der Vorschlag, man soll den Atommüll doch ins Weltall schiessen, erfreut sich in den sozialen Medien grosser Beliebtheit. Ganz nach dem Motto: Aus den Augen, aus dem Sinn. Ist das eine gute Idee?

Die Antwort darauf – und acht weitere (vermeintliche) Alternativen zum Tiefenlager:

Die Abfälle im Meer versenken, auch Verklappung genannt, wurde lange Zeit und von vielen Ländern als besonders günstige Alternative tatsächlich angewendet. Auch die Schweiz hat radioaktive Abfälle im Meer versenkt. Konkret im Nordatlantik. Dort installierte die OECD ein internationales Überwachungsprogramm. Erhöhte Strahlenbelastungen konnten keine festgestellt werden.


Das grosse Aber

Die Weltmeere enthalten Milliarden von Tonnen an radioaktiven Stoffen – und das auf ganz natürliche Weise. Die Radioaktivität ist so verdünnt, dass davon keine Gefahr ausgeht. Trotzdem wurde die Verklappung 1993 (mit einigen Ausnahmen) verboten.

Der Hauptgrund ist die sogenannte Tragik der Allmende. Sie beschreibt die übermässige und unkontrollierte Nutzung – in diesem Fall: diejenige der Meeresreichtümer. Eine Verseuchung würde letztlich allen schaden – Mensch und Umwelt.

Gemäss der Internationalen Atomenergie-Organisation IAEA sind bis ins Jahr 2016 rund 392’000 Tonnen hochaktive Abfälle entstanden. Eine der stärksten je gebaute Trägerraketen war die Saturn V. Sie hatte eine Nutzlast von 133 Tonnen.

Es müssten also fast 2950 Raketenstarts durchgeführt werden, um den hochradioaktiven Abfall in den Erdorbit zu schiessen. Seit Sputnik 1 im Jahr 1957 wurden weltweit etwa 4300 Raketenstarts durchgeführt. Die allermeisten davon mit Raketen mit viel geringerer Nutzlast. Das alles ergibt in der Summe: viele Probleme.

Problem 1: Die Erfolgsquote aller Raketenstarts beträgt knapp 90 Prozent. 295 Starts unserer Atommüll-Raketen wären gescheitert, einige davon explodiert. Ein radioaktiver Atommüll-Regen? Keine guten Aussichten.

Problem 2: Mit der berechneten Nutzlast schaffen wir es nur in den Erdorbit. Das reicht aber nicht, denn es besteht die Gefahr, dass die Abfälle wieder auf die Erde stürzen oder mit Satelliten kollidieren. Effektiv bräuchten wir also noch viel stärkere Raketen – oder viel mehr Raketen.

Problem 3: Die Kosten pro Raketenstart variieren stark. Elon Musks Starship-Raketen sollen «nur» 50 Millionen Dollar pro Start kosten. Raketenstarts der NASA hingegen werden schon mal mit 2 Milliarden Dollar angegeben. Wir rechnen konservativ, weil wir in Serie gehen wollen und nehmen die 50 Millionen als Massstab. 2950 mal 50 Millionen gibt: 147,5 Milliarden Dollar. Und das im günstigen Szenario. Nicht dabei: Stilllegung, Zwischenlagerung oder die Transporte zu den Weltraumbahnhöfen. Und nicht vergessen: Es sind nur hochaktive Abfälle, was uns zu Problem Nummer 4 bringt:

Problem 4: Alle schwach- und mittelaktiven Abfälle – und von denen gibt es viel mehr als hochaktive Abfälle – sind immer noch bei uns auf der Erde. Ergo: Wir wären das Problem keineswegs los.

Befördern trifft es ziemlich gut: Wie auf einem Förderband würden radioaktive Abfälle in einer Subduktionszone ins Erdinnere transportiert. Subduktionszonen sind Öffnungen in der Erdkruste, wo tektonische Platten untereinander gleiten.

Dieses Vorhaben wäre viel zu riskant. Die Abläufe in Subduktionszonen sind nicht kontrollierbar. Es wäre nicht abschätzbar, ob, wann und wo die radioaktiven Stoffe wieder an die Oberfläche treten würden. Zudem werden diese Zonen von Erdbeben und vulkanischen Aktivitäten begleitet. Auch das wäre nicht hilfreich (siehe Punkt 5).

Der deutsche Physiker Bernhard Philberth hatte in den 50er-Jahren die Idee, man solle den Atommüll «wie Bomben» über Grönland oder der Antarktis abwerfen. Durch den Aufprall sollten die Abfallbomben zunächst einsinken. Die Abwärme würde den Rest erledigen und die radioaktiven Abfälle immer weiter ins Eis einschmelzen. Das deutsche Atomministerium hielt nicht viel von Philberths Idee. Unter anderem, weil er einen «fanatischen Eindruck» hinterlassen habe.

Gerade der Klimawandel macht deutlich, dass das ewige Eis eben doch nicht ewig ist. Zudem ist es in ständiger Bewegung. Aus diesem Grund mussten die Vereinigten Staaten 1967 das «Camp Century» in Grönland aufgeben. Im Rahmen des Projekts Iceworm sollten hier Abschussbasen für Atomraketen erstellt werden – Kernreaktor zur Energieversorgung inklusive. Den Kernreaktor nahmen die Amerikaner wieder mit, die radioaktiven Abfälle blieben zurück. Und drohen infolge der Eisschmelze an die Oberfläche und ins Nordpolarmeer zu gelangen.

Radioaktivität kann nicht verbrannt werden. Die Abfälle würden im Magma wohl schmelzen. Was dann bei einer Eruption passieren würde, ist klar: Der Ascheregen wäre radioaktiv, die Partikel würden in die Luft geschleudert und über weite Gebiete verteilt. Mit verheerenden Folgen.

Diese Methode ist noch immer Gegenstand der Forschung und wurde auch von der Schweiz in Betracht gezogen, bereits in den 80er-Jahren aber wieder verworfen. Die Bohrtechnik ist zwar weit fortgeschritten. Der Bohrlochdurchmesser ist in grossen Tiefen aber beschränkt. Dickwandige Endlagerbehälter, wie sie in der Schweiz für hochaktive Abfälle gefordert sind, hätten keinen Platz in den Bohrlöchern.

Weiter gibt es viele offene Fragen, zum Beispiel in Bezug auf Wärmeentwicklung, Erkennung von wasserführenden Klüften oder Langzeitverhalten. Generell ist der Untergrund in Tiefen von vier bis fünf Kilometern nur wenig erforscht. Nicht zuletzt könnte die Rückholbarkeit der Abfälle – die in der Schweiz gesetzlich gefordert ist – wohl kaum gewährleistet werden.

Schematische Darstellung aus einem Nagra-Bericht aus dem Jahr 1978, wie die Atommülllagerung in tiefen Bohrlöchern aussehen könnte.

In der Hoffnung, dass zukünftige Technologien eine bessere Lösung bieten (siehe Punkt 9), würden die Abfälle auf unbestimmte Zeit in den Zwischenlagern belassen. Diese Option ist in zweierlei Hinsicht bedenklich: Einerseits sind die Abfälle an der Oberfläche aufgrund der Risiken von Naturkatastrophen, Erosion oder kriegerischen Ereignissen langfristig nicht sicher. Andererseits ist es moralisch fragwürdig, die gesamte Verantwortung der radioaktiven Abfälle immer weiter und auf kommende Generationen aufzuschieben.

Hier kommen im Grundsatz die gleichen Argumente zum Tragen wie bei Punkt 7. Nur dass nicht zwingend auf bessere Lösungen gewartet wird, sondern die Abfälle teilweise gar unter freiem Himmel sich selbst überlassen werden. Wie sich die gesellschaftlichen Verhältnisse in 100 oder 2000 Jahren entwickeln, lässt sich heute nicht voraussagen. Im Untergrund hingegen steht die Zeit praktisch still. Veränderungen laufen nur sehr langsam ab. Deshalb ist ein geologisches Tiefenlager auch passiv sicher, also ohne menschliches Zutun.

Die offene Lagerung von Atommüll unter freiem Himmel ist in Westeuropa verboten. Und selbstredend problematisch: Durch die Witterung korrodieren die Lagerbehälter schneller. Sie sind zudem äusseren Einflüssen wie Flugzeugabstürzen, terroristischen Aktivitäten oder Naturkatastrophen ausgesetzt. So etwa in der geschlossenen russischen Stadt Sewersk in Sibirien. Hier lagern unter anderem Abfälle aus Frankreich, wie die Arte-Dokumentation «Albtraum Atommüll» im Jahr 2009 aufgedeckt hat. Ewig werden die Abfälle nicht sicher sein. Und was freigesetzte Radioaktivität anrichten kann, hat die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl gezeigt.

An der Transmutation wird weltweit geforscht. Bislang existiert aber kein industriereifer Transmutationsreaktor und in der Schweiz ist die Technologie mit der heutigen Gesetzgebung verboten.

Mit der Transmutation lässt sich die Langlebigkeit von hochaktiven Abfällen reduzieren. Das klingt zunächst vielversprechend. Aber auch in einem Transmutationsreaktor entsteht Atommüll. Zudem lassen sich schwach- und mittelaktive Abfälle – der Grossteil unserer Abfälle – nicht transmutieren.

Ein Tiefenlager brauchts trotzdem

Es herrscht internationaler Konsens: Ein geologisches Tiefenlager ist am besten geeignet, um Mensch und Umwelt langfristig vor Atommüll zu schützen.

Viele Alternativen wurden vorgeschlagen und erforscht. Sie sind aber zu unsicher, nicht umsetzbar oder noch nicht ausgereift. Abwarten ist keine Lösung. Die Schweiz hat ein robustes Konzept, ein ideales Gestein und den besten Standort für das Tiefenlager.

Wir können das Problem deshalb jetzt lösen. Ohne, dass sich kommende Generationen darum kümmern müssen.

Bilder: iStock / ZWILAG / Nagra

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